Kolumbien Hauptthema an der diesjährigen Glencore Aktionärsversammlung

Jun 19, 2023 | Allgemein, Feature, Rohstoffe & Infrastruktur, Schweizer Unternehmen, Themen, Unternehmensverantwortung & Wirtschaftspolitik, Wirtschaft & Menschenrechte

Dieses Jahr trat eine ausserordentlich grosse Delegation aus Kolumbien an der Glencore Aktionärsversammlung auf. Es waren je ein Vertreter der Gewerkschaft Sintramienergetica und Sintracarbón sowie zwei Delegierte des Holländischen internationalen Gewerkschaftsbundes CNV, drei Vertreter des indigenen Volkes der Yukpa, eine Vertreterin des Frauennetzwerkes El Paso, die Direktorin der NGO Tierra Digna, ein kolumbianischer Journalist von El Turbión sowie Begleitpersonen aus der Schweiz und England anwesend.

Die holländische Gewerkschaft CNV und Sintramienergetica sprachen darüber, wie es in Kolumbien keinen Dialog in gutem Glauben gebe um Lösungen zu finden. Kurz nach dem Prodeco die Bergbautitel an den Staat zurückgegeben habe, habe Glencore 100% der Kohlemine El Cerrejón aufgekauft. Diese Veränderungen seien weder mit den Arbeitern noch mit der betroffenen Bevölkerung konsultiert worden. Prodeco operiere aber weiter und verkaufe Kohle, u.a. nach Europa, und mache dabei viele Millionen Profit. Prodeco wolle die Gewerkschaft zerstören und habe deshalb die Aufhebung des Schutzes für die Gewerkschaftsvertreter verlangt. Auch kranke Arbeiter sollen so entlassen werden. Das Arbeitsministerium habe die Aufhebung des Schutzes und damit die Entlassungen nicht autorisiert, da Prodeco ja weiterhin in Betrieb sei. Das heisst dass die Arbeiter Ausbildung bekommen sollten, um andere Arbeiten übernehmen zu können. Glencore Prodeco habe immer noch keinen horizontalen, offenen Dialog mit Arbeitern und Gemeinschaften geführt, um Lösungen für die Arbeitsplätze, Umschulung, Sozialpläne und wirtschaftliche Diversifikation zu suchen. Stattdessen klage nun Prodeco vor dem Weltbank Schiedsgericht gegen den kolumbianischen Staat. Luis Fernando Ramirez von Sintramienergetica fragte: 1) Wie viel Kohle vermarktet Glencore Prodeco im Moment; 2) Wie garantiert Glencore die Umsetzung der ILO-Konventionen 87 und 98 und 3) Was für soziale Schutzmassnahmen gedenkt Glencore Prodeco für die Arbeiter zu ergreifen? Chairman Khalidas Madhavpeddi antwortete, Prodeco habe im Laufe der letzten 30 Jahre 3 Milliarden USD investiert und ca. 3 Milliarden USD an Royalties und Steuern bezahlt. Die Titelrückgabe und die Reduzierung der Anzahl Arbeiter sei mit der Regierung vereinbart worden und sie würden höhere Abgangsentschädigungen bezahlen als die Regierung verlange. Prodeco habe immer noch gut 1000 Arbeiter~, die gleichviel verdienen würden wie früher. Prodeco sei weiterhin gewillt, seine Verpflichtungen zu erfüllen und sie würden mit den Gewerkschaften im Dialog stehen. Einige der Punkte die Luis Fernando und Maurice van Beers von CNV vorgetragen haben, seien aber nicht korrekt. Juan Carlos Solano von Sintracarbon beklagte Gesundheitsprobleme der Arbeiter, die nicht korrekt behandelt werden, sowie übertriebenes Outsourcing, Themen die mit einem Dialog in gutem Glauben gelöst werden sollten. Auch würden die Arbeiter nicht an den Diskussionen über die Energietransition beteiligt. Ebenso kritisierte er die Änderung der Arbeitsschichten von 4 auf 7 Tage ohne den Lohn zu erhöhen, sowie die Entlassung von 226 Arbeitern, und fragte, wann Glencore diese Lohnschuld begleiche. Madhavpeddi sagte, dass die Änderungen im Dienstplan früher in diesem Jahr kommuniziert worden seien, was nun zu 4 Arbeits-/Schichtgruppen geführt habe, und es mit der Gewerkschaft konstruktive Diskussionen gegeben habe, um mit dem neuen Schema  die Gesundheit und Sicherheit der Belegschaft zu stärken. Seiner Ansicht nach seien die Verhandlungen bisher sehr konstruktiv gewesen und sollten früher oder später, jedenfalls dieses Jahr, zu einem Ende kommen. Aus Firmenperspektive würden die Dinge also gut laufen und die Verhandlungen weiter gehen. Auf all die anderen Fragen ging Madhavpeddi nicht ein.

Hilda Arrieta vom Frauennetzwerk aus El Paso, Cesar, liess Fragen, wie Glencore den Schaden an Frauen und Jugendlichen im afrokolumbianischen Territorium wiedergut machen wolle, die keine Perspektiven haben und deren Lebensgrundlagen durch die Mine zerstört wurden, wie sie Umweltnormen einhalten und wie sie die Gesundheitsschäden wiedergutmachen. Madhavpeddi sagte, Prodeco beschäftige aktuell etwa 1000 Personen zwischen Direktangestellten und Subcontractors; Wenn sie Leute entlassen, würden sie deutlich mehr Abgangsentschädigung leisten als der Staat verlange, und über die Titelrückgabe seien sie mit der Regierung in Gesprächen. Damit war die Antwort auch schon fertig. Im Namen von Tierra Digna sprach Stephan Suhner von der ask! über den juristischen Prozess für Transparenz und Mitsprache, dass es seit Dezember 2022 ein Urteil gebe für die Dialogtisch, der aber immer noch nicht von Prodeco einberufen worden sei, und dass es mindestens 5 konkrete Drohungen gegen Führungspersonen der Gemeinschaften gebe. Wir fragten, 1) wie bedrohte Führungspersonen geschützt werden, 2) wann der Dialogtisch einberufen werde, und 3) ob Glencore für eine gerechte Transition bereit sei, die entstandenen Schäden wieder gutzumachen. Madhvapeddi bedankte sich für das  langjährige Engagement von Stephan Suhner zu Kolumbien. Glencore Prodeco engagiere sich stark mit den Gemeinschaften über den Umwelt-Übergangsplan. Der Dialogtisch und damit die nächsten konstruktiven Schritte Prodecos könnten erst erfolgen, nachdem der kolumbianische Staat und die Behörde für Umweltlizenzen gewisse Entscheidungen getroffen haben. Im Moment gebe es aber vom Staat noch keine Neuigkeiten. Glencore habe auch ein konstruktives Engagement mit der kolumbianischen Zivilgesellschaft, mit Unterstützung der Schweizer Regierung und der Botschaft in Bogotá. Glencore sei bereit, mit Tierra Digna und Prodeco virtuell an einem Treffen dabei zu sein. Drohungen lehne Glencore aber dezidiert ab und verurteile sie. Zu diesem Punkt ergänzte der CEO Gary Nagle und war dabei sehr insistierend. Diese Drohungen müssten zur Anzeige gebracht werde, Glencore sei bereit, das zu unterstützen. Zudem werde bald über die Resultate der dritten menschenrechtlichen Folgeabschätzung HRIA kommuniziert.

Die drei Yukpa-VertreterInnen legten die Zerstörung ihres Lebensraumes und die Verletzungen Ihrer Rechte wie auch die hohe Kindersterblichkeit und die Gefahr der kulturellen und physischen Ausrottung dar. Sie hätten ihr angestammtes Land verloren, das Paradies in dem sie lebten, sei durch die Minen in eine Hölle verwandelt worden. Vielleicht kenne das Board von Glencore diese Situation und die schreckliche Situation gar nicht, weshalb sie hierhergekommen seien, um sie aus erster Hand zu informieren. Wenn Glencore nun trotz der Informationen nichts unternehme, werde sie Komplizin eines Genozids. Die Schäden die Glencore verursache, zu stoppen, sei eine Frage von Leben und Tod für die Indigenen. Juan Pablo Gutierrez fragte, ob Glencore den Prozess der Ausrottung von Indigenen stoppen werde oder mit dem Kohleabbau fortfahre. Madhavpeddi bedankte sich, dass die Yukpas den langen Weg auf sich genommen hätten, um hier zu sprechen. Das Oberste Gericht habe eine Beschwerde der Yukpas in vierter Instanz abgelehnt, eine dafür eingesetzte Kommission überprüfe die Sache nun, diese Entscheidung werde abgewartet. Esneda Saavedra sprach länger auf Spanisch und wurde dann auf Englisch übersetzt. Sie erwähnte, wie die Umweltverschmutzung u.a. für den Tod von bis zu 40 Kindern pro Jahr mitverantwortlich ist. Sie fragte, was Glencore unternehme, um diese Situation zu überwinden, die Umweltschäden zu reparieren und wie Glencore all die Schäden und das Leid der Yukpa und der Bewohner von Becerril und La Jagua wiedergutmachen werden? Glencore antwortete, dass sie mit dieser Behauptung überhaupt nicht einverstanden seien, dass die Luftqualität zu Todesfällen führe. Sie würden alles was möglich ist machen, um Verschmutzung zu verhindern und sie denken nicht, dass es dort irgendein Verschmutzungsproblem gebe, das den Tod von Menschen/Kindern verursache. Sie hätten keine Kenntnis über solche Vorkommnisse. Punkt fertig.

Fast alle anwesenden ausser die kolumbianische Koordinatorin von CNV konnten sprechen. Stephan Suhner konnte kein zweites Mal mehr das Wort ergreifen und hätte gerne noch gefragt, was die Rolle des Mutterkonzerns und des Boards sei, wenn alle Probleme lokal gelöst werden sollen, es dort ja überall konstruktive Beziehungen gebe, respektive was es beim Board auslöse, wenn fast zwei Dutzend Personen v.a. aus dem Globalen Süden an die AGM kommen, um Lösungen zu erbeten. Ebenso fragte sich Stephan Suhner, was die dritte menschenrechtliche Folgeabschätzung HRIA wert sei, wenn Glencore beispielsweise von den Problemen der Yukpa keine Ahnung habe.

Richard Solly vom London Mining Network sprach ziemlich gegen Schluss und seine Intervention war DAS Highlight der AGM. Er hatte Fragen zu Carbones del Cerrejón in Kolumbien und der Antapaccay-Kupfermine in Peru, aber bevor er seine Fragen stellte, bemerkte er, dass er seit 30 Jahren an den Hauptversammlungen verschiedener Bergbauunternehmen in London teilnehme und noch nie an einer Versammlung teilgenommen habe, bei der Gemeindevertreter aus der ganzen Welt so völlig unzureichende Antworten auf ihre Fragen erhielten, die zwar höflich vorgetragen wurden, aber in ihrer Kürze und Unzulänglichkeit eine Form von tiefer Respektlosigkeit gegenüber den Menschen darstellten, die wegen der Aktivitäten von Glencore schwer leiden. Er sagte, dass Anglo American, deren ehemaliger CEO Cynthia Carroll jetzt im Verwaltungsrat von Glencore sitzt und im Saal anwesend war, sich bei seinen Generalversammlungen Mühe gibt, die gestellten Fragen ausführlich, wenn auch aus unserer Sicht unzureichend, zu beantworten. Er sagte, er sei entsetzt über die völlig unzureichenden Antworten des Vorsitzenden und vertraue darauf, dass es nächstes Jahr anders sein wird.

Er fragte dann nach Cerrejon Coal. Unter welchen Bedingungen würde Glencore erwägen, seine Klage gegen die kolumbianische Regierung wegen des Gerichtsurteils zugunsten der Rechte der indigenen Wayuu im Fall des Arroyo Bruno zurückzuziehen? Welche neuen Abhilfemassnahmen oder Aktionen hat Glencore nach der Aufforderung der Schweizerischen Nationalen Kontaktstelle zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten ergriffen? Welche Massnahmen sind im Falle eines Verkaufs von Kohleaktiva durch Glencore vorgesehen, um einen verantwortungsvollen Abgang und die Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Minenschliessungsplan zu gewährleisten? Vermarktet Glencore nach der Übernahme der Kohlevermarktung kolumbianische Kohle direkt von der Schweiz aus? Welche Politik verfolgt Glencore, um die Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung in der Nähe der Minenbetriebe zu bekämpfen? Richard sagte, dass er, sobald der Vorsitzende eine angemessene Antwort auf diese Fragen gegeben habe, nach Peru fragen würde.

Der Vorsitzende sagte, er sei der Meinung, Richard hätte seine Antworten bereits verworfen, bevor er sie gegeben habe. Richard sagte, er solle seine Antworten geben und dann könnten wir sehen, ob sie angemessen seien. Der Vorsitzende sagte, Richard hätte alle Antworten, die er vor meinen Fragen gegeben hatte, abgelehnt. Richard wies darauf hin, dass sie zu kurz und völlig unzureichend seien, und schlug vor, dass Cynthia Carroll ihn vielleicht in dieser Angelegenheit beraten könnte. Der Vorsitzende sagte, er versuche, die Fragen der Aktionäre kurz und bündig zu beantworten und so viele Fragen wie möglich zu beantworten. Richard fragte, ob er die Fragen, die er gerade gestellt hatte, beantworten würde.

Madhavpeddi begann mit der Frage, ob das Unternehmen im Falle eines Verkaufs des Kohlegeschäfts weiterhin seinen Verpflichtungen nachkommen werde. Er sagte, die Antwort lautet ja. Zum Arroyo Bruno sagte der Vorsitzende, dass sowohl er als auch der Vorstandsvorsitzende im vergangenen Jahr in dem Gebiet gewesen seien und die gesamte Länge des Baches abgegangen seien und sich von der Renaturierung und den Arbeiten zur Wiederherstellung des Baches überzeugt hätten, der heute mehr fließe als früher. Er sagte, dass es dort jetzt Jaguare gibt. Es gibt eine enorme Menge an Flora und Fauna, und er wurde “so ziemlich so wiederhergestellt, wie er einmal war, wenn nicht sogar noch besser.” Richard wies darauf hin, dass der ursprüngliche Verlauf noch nicht wiederhergestellt wurde. Geschäftsführer Gary Nagle fügte hinzu, dass der Bruno Creek aufgrund einer Genehmigung der Regierung verlegt wurde. Wie jeder gesetzestreue Bürger hält sich Glencore an die Anordnungen der Gerichte und wird die endgültige Entscheidung der Gerichte abwarten, wenn der Prozess endlich seinen Lauf genommen hat. Im Moment baue Cerrejon auf Anweisung des Gerichts in dem Gebiet nicht ab und werde die endgültige Entscheidung des Gerichts abwarten.

Die Tatsache, dass Carbones del Cerrejón Coal den Arroyo Bruno überhaupt illegal umgeleitet hat, wurde nicht erwähnt. Die Tatsache, dass Cerrejon Coal angewiesen wurde, den Bach wieder in seinen ursprünglichen Lauf zurückzuführen, und dies nicht getan hat, wurde nicht erwähnt. Dies scheint jedoch mit dem Verhalten von Glencore an anderen Orten übereinzustimmen – Gerichtsentscheidungen anzufechten, bis keine weitere Anfechtung mehr rechtlich möglich ist, und in der Zwischenzeit den Geist und die Energie der betroffenen Gemeinden, die die Klage überhaupt erst eingereicht haben, auszuschöpfen. Glencore kann sie leicht überbieten – sie ist reich!

Nach dem Ende des Treffens hatten verschiedene Delegierte die Möglichkeit, mit dem CEO, dem Präsidenten oder anderen Glencore-Managern zu sprechen. Stephan Suhner sprach mit Gary Nagle und Kalidas Mahdavpeddi und äußerte sich besorgt über die Drohungen, den fehlenden Dialog und die Nichtumsetzung des Tutela-Urteils im Fall der Prodeco-Mine in Kolumbien und sagte, dies schaffe ein Umfeld, in dem Drohungen entstehen können. Er behauptete nicht, dass Prodeco/Glencore die Drohungen ausspricht oder in Auftrag gibt, sondern dass sie sehr vorsichtig sein müssen mit dem, was sie tun und sagen, um keine Grundlage für Drohungen zu schaffen. Er sagte auch, dass Prodecos Menschenrechtsfolgenabschätzung unzureichend sei. Gary Nagle sagte, er stimme zu, dass es keine Drohungen geben sollte. Anna Krutikov, Glencores Verantwortliche für Nachhaltigkeit, sagte, sie werde die Angelegenheit mit Prodeco besprechen, insbesondere die Tatsache, dass Prodeco im Dezember 2022 die Tutela mit den Adressen, Handynummern und anderen Kontaktdaten derjenigen, die den Fall vorgebracht hatten, auf seiner Website veröffentlicht hatte, woraufhin die Drohungen gegen sie begonnen hatten. Dies sei nicht akzeptabel, stimmte sie zu.

Ein ausführlicher Bericht zur gesamten Aktionärsversammlung auf Englisch ist hier abrufbar: https://londonminingnetwork.org/2023/06/the-worst-of-the-worst-the-2023-glencore-agm/