Auf der Dienstreise im November 2022 besuchte ich die Bergbaugemeinden im Cesar, die im Einflussbereich der Minen von Glencores Tochterfirma Prodeco liegen. Die Situation war sehr komplex und von verschiedenen Unsicherheiten geprägt. Einerseits war und ist immer noch nicht klar, wie die Regierung mit den Bergbaukonzessionen verfahren will, die von Prodeco an den Staat zurückgegeben worden waren. Ebenso war noch unklar, wie es mit der Schliessung der Minen durch Prodeco weitergehen soll. Die neuen leitenden Beamten der Regierung Petro mussten sich zuerst mit ihrer neuen Funktion und den Themen vertraut machen, das galt sowohl z.B. für die Bergbauministerin Irene Vélez wie auch für den Direktor der Umweltlizenzbehörde ANLA Rodrigo Negrete. Beide kamen ins Amt getragen vom Einsatz für die Umwelt und das Klima und wollten daher möglichst rasch aus der Kohlegewinnung aussteigen. So kam es zu unglücklichen Aussagen oder überstürzten Ankündigungen, dass die Minen von Prodeco nicht mehr in Betrieb genommen werden sollen. Die Bevölkerung im Bergbaurevier hatte das Gefühl, dass der Klimaschutz über ihre existenziellen Ängste gestellt wird und ihnen gar nicht zugehört wird, und dementsprechend erbost reagierten sie auf die Regierungsverlautbarungen.

Juristischer Kampf für eine transparente Schliessung der Mine

Auf Wunsch mehrerer betroffener Gemeinschaften und Gewerkschaften hatte die NGO Tierra Digna eine Grundrechtsklage (Tutela) eingereicht, um im Schliessungsprozess von Prodeco volle Transparenz und Mitspracherecht für die Betroffenen einzufordern. Glencore Prodeco muss die Minen nicht schliessen, sondern in produktivem Zustand an den Staat zurückgeben, so dass die Minen an ein neues Unternehmen übergeben werden können. Prodeco muss aber in einem angepassten Schliessungsplan darlegen, wie es alle ausstehenden Verpflichtungen des Umweltmanagementplanes bis zum Datum der endgültigen Rückgabe erfüllen will. Dazu will die Bevölkerung detaillierte Informationen erhalten und auch mitbestimmen können, was Prodeco noch wie erfüllen muss. Das Verwaltungsgericht in Valledupar gab den Klägern Recht und ordnete einen breit abgestützten Verhandlungstisch an, zu dem alle relevanten Bevölkerungskreise eingeladen werden sollen. Dieses erstinstanzliche Urteil ist ein grosser Erfolg für die betroffenen Gemeinschaften und Arbeiter, da es zum ersten Mal klar die Rechte der Betroffenen auf Information und Partizipation und die Pflichten des Unternehmens auf Transparenz und Rechenschaftslegung festhält. Dieses Urteil ist wegweisend für zukünftige Minenschliessungen.

Prodeco hat jedoch zwei Mal die Nichtigkeit dieses Urteil verlangt, weil sie angeblich nicht korrekt darüber in Kenntnis gesetzt worden seien. Als das Gericht das Urteil am 4. November 2022 das dritte Mal bestätigt hatte, zog es Prodeco an die nächste Instanz weiter. Das Verwaltungsgericht in Valledupar bestätigte am 9. Dezember 2022 in 2. Instanz ebenfalls die Schaffung des Verhandlungstisches, stufte aber die herausragende Rolle der ANLA zurück und beauftragte Prodeco direkt mit der Einberufung und Organisation eines Verhandlungstisches respektive einer öffentlichen Anhörung. Für die betroffenen Gemeinschaften und Gewerkschaften ist das ein herber Rückschlag. Es kann doch nicht sein, dass Prodeco, das Unternehmen welches belegen muss, dass es die Verpflichtungen des Umweltmanagementplanes erfüllt, die dazugehörige Anhörung leitet. Vielmehr müsste die ANLA als zuständige Umweltbehörde diesen Prozess leiten, alle Seiten anhören und danach eine fundierte Entscheidung treffen. Die Gemeinschaften sehen damit ihr Recht auf Information und Partizipation verletzt, ebenso wie das Gebot der Gleichbehandlung und die unternehmerische Sorgfaltspflicht. Das führe bei den Gemeinschaften und Arbeitern erneut zu einer grossen Verletzlichkeit gegenüber dem Unternehmen. Die Gemeinschaften und Gewerkschaften forderten deshalb die ANLA auf, weiterhin eine führende Rolle einzunehmen, und baten die internationale Gemeinschaft, den Prozess zu begleiten.

Die Gemeinschaften gelangten deshalb mit Hilfe von Tierra Digna an das Verfassungsgericht, um eine Revision des zweitinstanzlichen Urteils und die Widerherstellung ihrer Rechte zu erreichen. Sie verlangen, dass die ANLA weiterhin als Garantin und Autorität fungiert, die darüber entscheidet, ob Prodeco die Auflagen erfüllt hat, und die dafür garantiert, dass partizipative Methoden ermöglichen, dass alle gehört werden. Zudem fordern die Betroffenen zusätzliche Massnahmen, um ihre Rechte auf Transparenz und Information und auf freie Meinungsäusserung zu stärken, in dem zum Beispiel der Internetzugang für die Gemeinschaften und damit der Zugang zu digitalen Medien verbessert wird.  Ein Urteil des Verfassungsgerichtes ist auch wichtig für die Rechtssicherheit des Staates. Würden die staatlichen Institutionen sich über das zweitinstanzliche Urteil hinwegsetzen und die ANLA die Anhörung selbst einberufen, bestünde beispielsweise das Risiko von Klagen Glencores unter Berufung auf seine Rechte als Investor, da das Unternehmen seinerseits geltend machen könnte, dass seine Rechte verletzt wurden.

Die unsichere Zukunft der Kohle polarisiert

Mit der Gutheissung der Grundrechtsklage (Tutela) entstand im September 2022 das Gerücht, dass wegen diesem Urteil die Bergbautitel von Prodeco nicht neu vergeben werden. Die Führungspersonen, die hinter der Tutela standen wie auch Tierra Digna mussten der Anschuldigung entgegen treten, sie verursachen die Arbeitslosigkeit aller Minenarbeiter, sie seien anti-mineros. Es zeigte sich, dass ein Grossteil der Bevölkerung zwar die Minen kritisiert, aber auch klar hat, dass eine überwiegende Mehrheit der Einkommen von den Minen abhängt und es kurzfristig keine ausreichenden Alternativen gibt. Tierra Digna und die Lideres mussten viel Erklär- und Überzeugungsarbeit leisten, um die Ziele der Tutela zu erklären. Sie verteilten dazu in den Gemeinschaften auch ein Flugblatt. Die Mesa de lideres para la Transición Justa y la Defensa Territorial[1] schaffte es dann auch, die Bürgermeister der drei Bergbaugemeinden mit ins Boot zu holen. Die Bürgermeister standen den Minenbetrieben lange sehr freundlich gegenüber, wurden aber von Prodecos Rückzug auch überrascht. Am 11. November 2022 fand ein Arbeitstisch aller Führungspersonen der Mesa und den Bürgermeistern von La Jagua, Becerril und El Paso statt. Die Beschwerden und Forderungen der anwesenden Führungspersonen waren vielfältig. Der überraschende Ausstieg von Prodeco sendet immer noch Schockwellen aus. Es wird befürchtet, dass Drummond Pläne für einen ähnlichen vorgezogenen Ausstieg haben könnte, weshalb umgehend auch von Drummond die Offenlegung des Schliessungsplanes verlangt werden soll.

Ein Thema war auch, dass die Einflusszonen der einzelnen Minen nicht klar geregelt sind. Plötzlich fällt ein Weiler oder ein Dorf aus der Einflusszone raus und erhält deswegen keine sozialen Investitionen der Minen mehr, oder wie im Fall der Reservate der Yukpa werden sie nie als Einflusszone erachtet und daher nie konsultiert. Kritisiert wurde auch die ganze CSR-Politik von Prodeco (soziale Unternehmensverantwortung). Die Gelder würden schlecht investiert, es gebe viel Fehlplanung und die Projekte seien nicht nachhaltig. Es würden viele „internationale Experten“ beigezogen, die bestimmen wie die Dinge gemacht werden müssen. Auf lokale Erfahrungen und Expertise werde nicht gehört. Daher würden z.B. Pflanzungen von Cashew-Nüssen in der falschen Jahreszeit getätigt oder die Projekte würden zu wenig Gewinn abwerfen, als dass die Begünstigten davon leben können. Zudem wird kritisiert, dass Prodeco viele Projekte einfach stoppte oder die Finanzierung massiv kürzte. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung des Unternehmens sei jedenfalls weit von der tristen Realität entfernt. Sehr stark vertreten in den Voten war auch die Angst vor der erneut ansteigenden Gewalt, der verstärkten Präsenz illegaler bewaffneter Akteure und der Drohungen gegen soziale Führungspersonen.

Wütend macht die anwesenden Führungspersonen auch die Tatsache, dass Prodeco laufend jammert, wieviel es sie koste, die Minen weiter zu unterhalten, während die beiden Gewerkschaften darlegen, wie Prodeco weiterhin viel Geld verdient. Als Prodeco ankündigte, den Minenbetrieb stoppen zu wollen, waren die Kohlelager in der Mine und im Hafen noch voll und Prodeco exportierte weiter. Zudem exportiert Prodeco anscheinend auch Kohle vom Minenunternehmen Colombian Natural Resources CNR und aus verschiedenen kleineren Minen im Landesinnern, vermutlich aus dem Catatumbo sowie aus Boyacá oder Cundinamarca. In den letzten Monaten nahm dieses Exportvolumen zu, von zwei bis drei vollbeladenen Zügen pro Woche auf einen täglich. Bei den aktuellen Kohlepreisen verdiene also Prodeco viel Geld, ohne selber das unternehmerische Risiko des Minenbetriebs auf sich zu nehmen.

Aus all diesen Gründen war am Treffen der klare Willen vorhanden, alles zu tun, damit Prodeco seine Verpflichtungen umfassend erfüllt, darin waren sich Bürgermeister und Vertreter der Gemeinschaften und Arbeiter einig. Aus dem Treffen entstand auch ein Aufruf an die Regierung, von Prodeco Rechenschaft einzufordern und Klarheit über den weiteren Prozess zu schaffen. Als Reaktion auf die Transparenzforderungen der sozialen Führungspersonen begann Prodeco seinerseits, all die Sozialisierungen und Informationsvermittlungen, die das Unternehmen durchführe, zu erwähnen und rief noch rasch zusätzliche Treffen ein, im Versuch, die öffentlichen Anhörungen zu verhindern. Diese Sozialisierungen der Unternehmen werden jedoch auch stark kritisiert. So werden regelmässig Anwesenheitslisten herumgereicht und es gibt Verpflegung, damit die Leute teilnehmen. Viele Personen nehmen teil, weil sie so zu einem Gratisessen kommen, aber die Unterschriftslisten sagen wenig über die Qualität der Inhaltvermittlung aus. Mit den Unterschriftslisten wollen die Unternehmen dann belegen, dass die Bevölkerung informiert und konsultiert wurde. Soziale Führungspersonen lehnen diese Praxis des Unternehmens ab und verweigern die Unterschrift auf den Listen.

Schwierige Umsetzung des Tutela-Urteils

Schliesslich rief die ANLA zur Umsetzung des Urteils drei Anhörungen ein, je eine in La Jagua, Becerril und El Paso. Das entsprach nicht den Anordnungen des Urteils über die Tutela und führte bei den Lideres zu Wut und Verunsicherung. Das Urteil verlangte die Einberufung eines umfassenden Treffens aller betroffener Gemeinden und Gemeinschaften. Ein Brief der Mesa und danach ein Treffen von Tierra Digna mit dem Direktor der ANLA, Rodrigo Negret, brachten dann etwas Klärung bezüglich der ehrlichen Absicht der ANLA, die Bevölkerung zu beteiligen, beruhigten die Führungsleute und überzeugten sie, trotzdem an den Anhörungen teilzunehmen. Ein gutes Dutzend internationale Organisationen gelangten mit einem offenen Brief an Glencore Prodeco sowie an den kolumbianischen Staat, wo sie u.a. die korrekte Umsetzung des erstinstanzlichen Urteils durch den Staat verlangten und Glencore dazu aufriefen, dass ihre Tochterfirma Prodeco das Urteil akzeptiert und sich in gutem Glauben am Konsultationsprozess beteiligt. Am 29. und 30. November sowie 1. Dezember 2022 fanden dann die drei Anhörungen in La Jagua, El Paso und Becerril statt. Dabei hatte Prodeco Gelegenheit, Ihren Schliessungsplan für die Minen Calenturitas und La Jagua vorzustellen. Die ANLA präsentierte die Bilanz über die Erfüllung von Prodecos Verpflichtungen und die VertreterInnen der Bevölkerung konnten ihre Sorgen und Vorschläge einbringen.

Prodeco hat insgesamt über 10‘000 Auflagen und Verpflichtungen im Umweltmanagementplan ihrer beiden Minen, und bis zu den erwähnten Anhörungen hat die ANLA erst 43% davon als erfüllt bestätigt. Anlässlich dieser Anhörungen wurde vereinbart, dass die Überprüfung all der Auflagen Prodecos gemeinsam mit den Gemeinschaften und den Gemeindebehörden erfolgen soll. Eine nächste öffentliche Anhörung mit allen betroffenen Gemeinden und Gemeinschaften, zu der auch die Gemeinschaften in der Nähe der Kohlehäfen eingeladen werden, ist für den Monat März 2023 geplant. In den Monaten Januar und Februar hat die Bevölkerung Zeit, die Verpflichtungen von Prodeco kennen zu lernen und zu überprüfen. Rodrigo Negret, der Direktor der ANLA, war während den Anhörungen sehr engagiert und versprach, sich für die Rechte der betroffenen Bevölkerung und für eine korrekte Minenschliessung einzusetzen.

Am 21. Dezember 2022 fand der dritte soziale Dialog[2] „Cesar – corredor de la vida“ statt. Mit diesen Dialogen werden unter anderem die Grundlagen für den Nationalen Entwicklungsplan erarbeitet. Zu diesem Dialog in La Jagua reisten drei Ministerinnen an: Irene Velez, die Bergbauministerin, Susana Muhamad, die Umweltministerin, sowie Gloria Inés Ramírez, die Arbeitsministerin. Zudem nahmen verschiedene weitere Behörden, Think Tanks und Nichtregierungsorganisationen teil. Unklar blieb weiterhin, ob die ehemaligen Minen von Prodeco wiedereröffnet werden sollen oder nicht. Die Regierung verkündet immer wieder, dass es keine neuen Konzessionen für Kohleminen gebe, äussert sich aber nicht klar, was mit den bestehenden Minen von Prodeco passieren soll. Eine hängige Acción Popular, Klage die schon vor Monaten von einem Anwalt eingereicht worden war und die momentan die Vergabe der Konzessionen an ein anderes Unternehmen blockiert, ist die Ausrede für die fehlende Klarheit und Entscheidung. Der Cesar soll aber so oder so eine Pilotregion für die Energietransitionen werden, wofür die Regierung beträchtliche Geldmittel bereitzustellen breit ist. Statt ein Corredor minero  soll die Region nun ein Corredor de la Vida werden. Obwohl die Regierung dazu 26 Milliarden Pesos bereitgestellt hat und die Energietransition ein Schwerpunkt des Entwicklungsplanes wird, wollen immer noch verschiedene Sektoren erreichen, oder besser gesagt fast erzwingen, dass die Minen wieder eröffnet werden. Bürgermeister wie Ovelio Jimenez aus La Jagua und Parlamentarier wie Didier Lobo beklagen sich über die schwere soziale und wirtschaftliche Krise, den Verlust von direkten und indirekten Arbeitsplätzen sowie von Einkommensmöglichkeiten. Die lokale Wirtschaft ist stark von den Minen abhängig: Transportunternehmen, Hotels, Restaurants sind zur Zeit wegen der Suspendierung der Aktivitäten in den Minen in der Krise. Zudem vermieten viele Familien Zimmer an Minenarbeiter und Frauen wuschen die Kleider der Arbeiter. All diese Einkommensmöglichkeiten würden mit der Schliessung der Mine nun wegbrechen. Didier Lobo führte dazu am 3. Dezember 2022 in La Jagua eine öffentliche Anhörung mit den einschlägigen Regierungsinstitutionen durch. Es wurden Briefe und Petitionen an die Regierung Petro geschickt. Am 23. Januar 2023 kam es nun zu einem Streik, bei dem mehrere wichtige Überlandstrassen blockiert wurden. Die Forderung ist die schnellstmögliche Wiedereröffnung der Prodeco-Minen. Der Streik erhöht die Polarisierung in der Gegend. Ein Teil der Gemeinschaften, Arbeitervertreter und sozialen Führungspersonen sind gegen den Streik, da sie auf die laufenden Verhandlungen mit der Regierung für die Energietransition setzen. Andere Sektoren, die hinter dem Streik stehen, setzen auf die Arbeit in den baldmöglichst wieder eröffneten Minen, als schnelle Lösung für die wirtschaftliche Krise.

In einem nächsten Artikel werden wir uns mit der Energietransition und der Modellregion Cesar genauer auseinandersetzen.

 

[1] Dieser Tisch umfasst Führungspersonen von 12 Gemeinschaften im Einflussbereich von Prodeco und die beiden Gewerkschaften Sintracarbón und Sintramienergetica.

[2] Es handelt sich um Dialoge, die die Nationalregierung in allen Regionen durchführt, um wichtige Themen wie z.B. die Ausrichtung des Entwicklungsplanes zu diskutieren.