2023 war ein schwieriges Jahr für die Gemeinschaften im Umfeld von Prodeco

Feb 20, 2024 | Allgemein, Feature, Natürliche Ressourcen, Energie & Infrastruktur, Rohstoffe & Infrastruktur, Schweizer Unternehmen, Themen, Wirtschaft & Menschenrechte

Im Juni 2020 beantragte Prodeco, den Kohleabbau in seinen Minen für unbestimmte Zeit, längstens jedoch für vier Jahre, zu suspendieren. Der kolumbianische Staat lehnte dieses Ansinnen zwei Mal ab. Als Folge davon kündigte Glencore im Februar 2021 an, die Minenkonzessionen von Prodeco an den kolumbianischen Staat zurückzugeben. Die ursprüngliche Idee war, dass der Staat die Konzessionen an ein anderes Unternehmen übergibt, um die restlichen noch vorhandenen Kohlereserven abzubauen. Glencore Prodeco wäre verpflichtet gewesen, die Mine in produktivem Zustand zu übergeben und mit dem Umweltmanagementplan à jour zu sein. Prodeco musste die dafür nötigen Arbeiten weiterführen sowie Unterhaltsarbeiten an den Minen machen.[1]

Eine Übergabe an ein anderes Unternehmen war unter der Regierung Duque nicht mehr möglich, da eine Klage (demanda popular) dies verhinderte. Die Regierung von Gustavo Petro will grundsätzlich keine weiteren Kohleminen und möchte die Prodeco – Minen vollständig schliessen. Es gibt aber verschiedene gegensätzliche Interessen, wie die Einnahmen des Staats, Druck der von den Minenerträgen abhängigen Gemeinden, Proteste von Arbeitern einerseits, BergbaugegnerInnen anderseits und die Sorge um die Umwelt. Die neu ins Amt gelangte Regierung Petro musste sich zuerst auch einen Überblick verschaffen. Die hängige „demanda popular“ erschwert jegliche Entscheidungen zusätzlich. Im Dezember 2022 verkündete die Regierung Petro, dass der Cesar ein Korridor des Lebens werden soll, statt weiterhin ein Bergbaukorridor zu sein, d.h. dass die Region eine Modellregion für die Energietransition werden soll. Bis heute hat die Regierung Petro aber nicht entscheiden, was mit den Konzessionen passieren soll, ob sie neu vergeben werden, oder ob die Minen definitiv geschlossen werden. Falls sie geschlossen werden, wer kommt für die Kosten der Renaturierung und der Behebung der Umweltschäden auf? Glencore? Was passiert mit den aufgelaufenen Kosten von der Unterhalts- und Pflegearbeiten, die Prodeco machen musste?

Die Gründe für den überraschenden Rückzug von Prodeco aus dem Kohleabbau dürften verschiedene sein: tiefe Weltmarktpreise, die COVID-Pandemie, Druck von Investoren, das Kohlegeschäft zu reduzieren, rechtliche Probleme um die Minen ausbauen zu können, geologische Probleme… In der Region wird auch vermutet, dass Prodeco vermeiden will, einen vollständigen Schliessungsplan umsetzen und finanzieren zu müssen. Der Schliessungsplan existiert seit 2016 und hätte ab 2020 umgesetzt werden müssen. Im Moment als Prodeco ankündigte, die Konzessionen an den Staat zurückzugeben, war der Schliessungsplan nicht öffentlich bekannt. Seit 2021 verlangen die betroffenen Gemeinschaften und Gewerkschaften Transparenz im Schliessungsprozess und ein Mitspracherecht bei der Umsetzung der Schliessung und bei der Behebung der Umweltschäden.

Teilweise erfolgreicher Gang vor Gericht

Da weder der Staat noch Prodeco darauf eingingen, gelangten die 12 Gemeinschaften und die beiden Gewerkschaften Sintramienergética und Sintracarbón im August 2022 mit einer Grundrechtsklage an das Verwaltungsgericht Valledupar und forderten die Offenlegung der ausstehenden Verpflichtungen, des Schliessungsplanes und der Auflagen des Staates sowie ein konkretes Mitspracherecht. Alle Pläne und Massnahmen sollten offengelegt und den Gemeinschaften der Zugang durch verbesserte Kommunikationskanäle ermöglicht und ihnen damit ein Monitoring erlaubt werden. Das Gericht gab den KlägerInnen in erster Instanz am 4. November 2022 Recht und ordnete die Durchführung breiter öffentlicher Anhörungen an. Vom 29.11.2022 bis am 1.12.2022 fanden in drei Gemeinden öffentliche Anhörungen statt. Am 9. Dezember 2022 wurde das Urteil in 2. Instanz zwar bestätigt, die Verantwortung für die Einberufung der Versammlungen jedoch vom Staat (Nationale Behörde für Umweltlizenzen ANLA) an Prodeco übertragen. Obwohl an den drei Anhörungen Ende November/Anfang Dezember 2022 klar war, dass dies erst der Anfang eines Prozesses sein konnte, und erst danach viele Informationen zugänglich gemacht wurden, fanden seither keine weiteren Treffen/Anhörungen statt. Prodeco hätte im ersten Quartal 2023 weitere öffentliche Anhörungen einberufen sollen, in denen die einzelnen Massnahmen, der Schliessungsplan und weitere soziale und wirtschaftliche Übergangslösungen diskutiert werden sollten. Das Urteil vom 9. Dezember 2022 setzte eine Frist von einem Monat, damit Prodeco das Urteil umsetzt. Verschiedene Briefe internationaler UnterstützerInnen, Treffen mit Prodeco auf der Schweizer Botschaft in Bogotá etc. nützen nichts, um Prodeco dazu zu bewegen, weitere Anhörungen einzuberufen.

Juristische und politische Rückschläge

Im Namen der Mesa gelangte deshalb Tierra Digna am 26. Mai 2023 mit einer Klage wegen Nichtbeachtung des Urteils vom 9. Dezember 2022 an das Gericht. Dieses bestätigte jedoch am 16. Juni 2023, dass Prodeco das Urteil vom 9. Dezember 2022 mit den drei Audiencias von Ende November 2022 erfüllt habe. Die Gemeinschaften beklagen, dass der Richter plötzlich ausgewechselt worden war, um dieses Urteil zu fällen, und der neu ernannte Richter in Verkennung der Sachlage sein Urteil fällte. Insbesondere wurden verschiedene staatliche Behörden, die an der Umsetzung des Urteils vom 9. Dezember 2022 beteiligt sein sollten, nicht angehört, so z.B. die ANLA. Ein Treffen zwischen Prodeco, Glencore, Tierra Digna und der ask! auf der Schweizer Botschaft am 13. Juni 2023 versprach Fortschritt, setzte sich doch die Botschaft dafür ein, dass Prodeco mit den Gemeinschaften in Dialog tritt, und beharrte auch auf der Wichtigkeit der Partizipation, was mehr ist als eine kurze Informationsveranstaltung. Es wurde vereinbart, dass Tierra Digna im Namen der Mesa einen Dialogvorschlag unterbreiten soll. Bei einem späteren Treffen Ende Oktober 2023 bestätigte der Schweizer Botschafter nochmals die Bereitschaft, einen solchen Dialog zu unterstützen. Ende November 2023 kam dann der nächste Rückschlag: Prodeco liess als Antwort auf den Dialogvorschlag der Mesa mitteilen, dass angesichts ausstehender Entscheidung der Regierung über die Rückgabe der Konzessionen ein Dialog im Moment nicht möglich sei. Wenig später beantwortete der Schweizer Botschafter einen Brief von Schweizer NGOs in ähnlichem Sinne, nämlich dass die ausstehende finale Entscheidung des kolumbianischen Staates was mit den Konzessionen und Minen geschehen soll, einen Dialog zwischen Prodeco und den Gemeinschaften erschwere, da gar nicht klar sei, worüber genau diskutiert werden soll.

Vierte Klage Glencores gegen Kolumbien

Am 16. November 2023 wurde bekannt, dass Glencore die mittlerweile vierte Klage gegen den kolumbianischen Staat angereicht hat, gestützt auf das bilaterale Investitionsschutzabkommen Schweiz Kolumbien. Die Klage wurde zu Prodeco eingereicht. Der Inhalt der Klage ist nicht öffentlich bekannt, aber es ist davon auszugehen, dass es um die immer noch nicht abgeschlossene Rückgabe der Bergbautitel geht. Anscheinend hat Glencore im März 2023 einen Brief mit Klagedrohung an Präsent Petro gerichtet, und einen Abschluss der Liquidation der Bergbautitel innert 6 Monaten verlangt, ansonsten man beim ISDS-Mechanismus (Investor-Staat-Streitschlichtungsmechanismus) eine Klage einreichen würde. Im Mindestens geht es wohl um Schadenersatz für die durch drei Jahre „Care and Maintainance“ aufgelaufenen Kosten. Klar ist, dass die Klagedrohung schon lange auf den Entscheiden der Regierung lastete. Verschiedentlich liessen Regierungsfunktionäre verlauten, dass sie über dies oder jenes nicht öffentlich reden können aus Angst vor einer Klage, und es wurde auch klar, dass die Regierung überstürzt und hinter verschlossenen Türen mit Glencore Prodeco verhandelte, ohne z.B. die Anliegen der Gewerkschaften zu berücksichtigen. Es handelt sich damit um eine weitere sehr schädliche Klage von Glencore.

Besonders stossend an dieser neuen Klage ist, dass Glencore Prodeco an der heutigen Situation rund um die Prodeco Minen selbst eine grosse Mitverantwortung trägt. Ein Teil der Probleme hat sie durch fehlende Sorgfaltspflicht selbst verursacht. So hat sie blindlings auf ein Papier der Direktion für Ethnien des kolumbianischen Innenministeriums vertraut, das bestätigte, dass das Erweiterungsprojekt mit der Abraumhalde El Palomo keine Indigenen betreffe. Dabei war offensichtlich, dass es sich um Land handelte, das die indigenen Yukpa als ihr angestammtes Territorium reklamierten und eine vorgängige Konsultation und Einholung der Zustimmung der Yukpa notwendig gewesen wäre. Gemäss verschiedener Quellen seien auch Probleme mit den Abbauplänen aufgetaucht, die den weiteren Abbau der Kohle wesentlich teurer gemacht hätten, oder gar zu grossen Problemen z.B. für die Wasserversorgung hätten führen können. Andererseits hätte eine Weiterführung des Dialogprozesses, den das Gericht im Dezember 2022 angeordnet hatte, viel zu einer rascheren Lösung der offenen Fragen beitragen können, ohne dass jetzt zu einer Klage gegriffen werden müsste. Glencore scheint den schwachen kolumbianischen Staat konsequent und gekonnt auszuspielen: solange die Schwäche, die mangelnden Kontrollen und die Beeinflussbarkeit des Staates Glencore dient, nützt es das Unternehmen aus. Wenn der schwache oder ineffiziente Staatsapparat aber wie jetzt eine Entscheidung über die Rückgabe der Bergbaukonzessionen verzögert, oder wenn ein Hohes Gericht einen Entscheid zu Ungunsten Glencores fällt, klagt Glencore beim Weltbankschiedsgericht.

Statt einer Dialoglösung haben wir jetzt eine äusserst konfliktive Situation im ganzen Bergbaukorridor. Durch die Einstellung der Bergbautätigkeit verlieren nicht nur um die 5000 Arbeiter ihre Anstellung, es gehen auch viele indirekte Jobs und Einkommensquellen verloren, vom Vermieten von Zimmern, Verkauf von Essen bis zum Waschen der Uniformen der Bergarbeiter. Das führte zu einer ausgeprägten sozioökonomischen Krise, mit einer Zunahme von Prostitution auch von Minderjährigen und Kindern, Kleinkriminalität und Drogenkonsum, intrafamiliäre Gewalt etc., alles vermischt mit einer erneuten Zunahme der Aktivtäten illegaler bewaffneter Gruppen. Viele Führungspersonen der Mesa haben konkrete Todesdrohungen erhalten, ihre Häuser werden beobachtet, auf der Strasse werden sie beschattet. Bei den telefonischen Bedrohungen wird z.B. klar verlangt, dass sich die Person vom Tutela-Prozess und dem angestrebten Dialog zurückziehen soll, und dass die Führungsperson sonst die Konsequenzen ja kenne. Häufig erfolgten Drohungen in zeitlicher Nähe zu neuen juristischen Schritten oder Protestaktionen. Auf Esneda Saavedra, Führungsperson der Yukpa, wurde am 4. März 2023 ein Attentat ausgeübt. Nach ihrer Speakertour durch mehrere europäische Länder Ende Mai/Anfang Juni 2023 belagerten bewaffnete Personen das Haus ihrer Familie. Ihre Familie musste zu ihrem Schutz mit einer humanitären Mission aus der Zone herausgeholt werden. Auch die Mitarbeiterinnen von Tierra Digna werden in Bogotá beschattet, fotografiert etc. Obwohl sämtliche Vorfälle dokumentiert und denunziert wurden und Anzeige erstattet wurde, haben die Nationale Schutzeinheit UNP und die Generalstaatsanwaltschaft bisher wenig zum Schutz der bedrohten AktivistInnen unternommen. Glencore selbst hat angeboten, das von allen Betreibern von Kohleminen zusammen mit CEER erarbeitete Protokoll zu aktivieren, und z.B. ein Communiqué zu veröffentlichen oder die Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei zu unterstützen. Gleichzeitig trägt das Verhalten Prodecos wenig zur Entspannung der Situation bei.

Nutzlose menschenrechtliche Folgeabschätzungen

Diese verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, Konflikte, Spannungen, Drohungen, Einschüchterungen und bewaffneten Übergriffe fanden zeitgleich mit der Erarbeitung der dritten menschenrechtlichen Folgeabschätzung und Risikoanalyse (HRRIA) statt. Diese Analyse wurde ab 2022 durch TRUST Consultores durchgeführt. Ende 2023 begann TRUST mit der Sozialisierung der Resultate des HRRIA. Es entstand jedoch grosse Konfusion darüber, wer zu diesen Sozialisierungsveranstaltungen eingeladen wurde und wer nicht. Die Art und Weise, wie dies kommuniziert wurde (oder eben auch nicht) trug auf jeden Fall nicht zu einer Stärkung des Vertrauens bei. Die ask! gab im August 2022 ein Interview, merkte aber damals schon an, dass es dem ganzen Prozess an Transparenz und Effektivität mangle. So wurde eine neue Analyse durch eine neue Consultingfirma begonnen, ohne dass z.B. über die menschenrechtliche Folgeabschätzung von 2018 und den Aktionsplan 2020-2023 ein Zwischenbericht oder irgendwelche Resultate veröffentlicht worden wären. Auch gab es seitens von Glencore Prodeco keinerlei Anzeichen oder gar Zusagen, gewisse Fehler der vorherigen Folgeabschätzungen nicht zu widerholen. Während die betroffene Bevölkerung weiterhin nur sehr mangelhafte Kenntnisse über das HRRIA von 2018 hatte und keinerlei Verbesserung der Situation auf Grund des menschenrechtlichen Aktionsplans spürte, wurde also ein drittes HRRIA durchgeführt, über das wiederum während vieler Monate keinerlei Informationen bekannt wurden. Während TRUST und Prodeco im stillen, dunklen Kämmerlein an irgendwelchen belanglosen Hochglanzbroschüren über den Respekt der Menschenrechte arbeiteten, verschlechterte sich die Situation für die lokale Bevölkerung zusehend. Die Minenschliessung und der Verlust Tausender Arbeitsplätze und Einkommen verschärfte die soziale Misere, verletzte Rechte wie das Recht auf Arbeit, auf Nahrung, auf eine würdige Behausung, verschärfte Konflikte, intrafamiliäre Gewalt, erhöhte die sexuelle Ausbeutung von Frauen, Jugendlichen und sogar Kindern und führte in letzter Konsequenz zu Todesdrohungen und bewaffneten Übergriffen auf diejenigen, die sich für eine Verbesserung der Situation einsetzten.

Ein spezielles Augenmerk müsste Prodeco dringendst in Bezug auf die Situation der Frauen  im Bergbaukorridor rechten, wenn dem Unternehmen die Menschenrechte tatsächlich ein Anliegen sind. Es geht dabei sowohl um die Situation der Frauen die bei Prodeco arbeiten, aber auch um die Probleme, die Frauen wegen der Minenschliessung haben. Viele Frauen sind von der Arbeitslosigkeit und von den verschwundenen Verdienstmöglichkeiten betroffen, sei dies weil sie Zimmer nicht mehr vermieten oder Essen nicht mehr verkaufen können, oder weil sie beispielsweise die Wäsche der Minenarbeiter nicht mehr waschen können. Als Ausdruck der wirtschaftlichen Not hat auch die Prostitution zugenommen, auch von Minderjährigen. Es gibt Zeugenaussagen, dass selbst Kinder unter zehn Jahren sexuelle Dienstleistungen anbieten. Zudem nahm die intrafamiliäre Gewalt zu, da viele entlassene Männer ihren Frust zuhause an Frau und Kindern auslassen. Es gibt auch – gerade unter Jugendlichen – vermehrt Drogenkonsum um von den sozialen und familiären Problemen abzulenken.

Der andere Aspekt ist die (sexuelle) Belästigung am Arbeitsplatz innerhalb Prodecos. (Ehemalige) Arbeiterinnen erzählen von anzüglichen Bemerkungen, Betatschen bis zur Aufforderung, Sex zu haben, um die Arbeit behalten zu können, oder es gibt Überwachungskameras z.B. in den Umkleideräumen. Frauen die sich wehren, werden willkürlich versetzt, müssen plötzlich viel mehr leisten. Eine Frau wurde täglich und permanent vom heissen Herd in den Kühlraum und zurück versetzt und hat heute ernsthafte Gesundheitsprobleme. Eine andere Frau hatte so viel Stress, dass sie die ganze Zeit Krämpfe und Konvulsionen hat. Eine Frau hat ihre Geschichte gegenüber den Medien erzählt (https://pacifista.tv/notas/tania-saade-prodeco-puerto-nuevo-mineria-acoso-laboral/), und auch den Kampf vor Gericht auf sich genommen, allerdings erfolglos, und gelangte auch an Glencore in der Schweiz, ebenfalls ohne angehört zu werden.

 

 

[1] Dieser Artikel beruht auf dem kontinuierlichen Austausch mit Tierra Digna, den lokalen Gemeinschaften, Prodeco sowie auf Gerichtsdokumenten.