Abholzung in Kolumbien – Gefängnis für Kleinbauern und freie Hand für Grossgrundbesitzer

Mai 31, 2022

Von Lisa Alvarado

Die Plattform Verdadabierta hat einen langen Artikel zum Thema Abholzung in den Regenwaldgebieten Kolumbiens veröffentlicht. Er zeigt auf, wie immer wieder die schwächsten Akteure bestraft werden, während die wirklich grossen Verursacher ohne Behelligung Wald abholzen. Obwohl es laut Gesetz tatsächlich seine Aufgabe wäre, schützt das Militär die Umwelt genau so wenig wie die Kleinbäuer*innen, die seit Jahrzehnten stigmatisiert und verfolgt werden. Einmal mehr scheitert die Regierung in ihrem Versuch, Probleme militärisch zu lösen.

Zwischen November und Februar jeden Jahres intensivieren sich Brände und Abholzung im kolumbianischen Amazonas, weil in diesen Monaten Trockenzeit ist. So auch im Caquetá und genauer in den Gemeinden El Paujil und Cartagena del Chairá, woher die Informationen für diesen Artikel stammen[1]. Das Bild ist aber ein ähnliches im gesamten Amazonasgebiet Kolumbiens. Allerdings sind die abgebrannten Strünke von einstigen Baumriesen, die man entlang des Weges sieht, das geringste Problem der Abholzung. Es handelt sich nämlich um kleine Felder, die Kleinbauern im Brandrodungsfeldbau abbrennen, um dort ihre Kochbananen und Maniok für den Eigenbedarf zu pflanzen. «Der Kleinbauer ist nicht der grosse Abholzer. Unter uns haben wir unsere Regeln des Zusammenlebens. Aber dann kommen Grossgrundbesitzer und holzen 100, 200, 300 Hektaren ab. Ein Kleinbauer hat gar keine Kapazität für so etwas.»[2] So ein Kleinbauer aus Cartagena de Chairá. Als Vergleich: Ein Kleinbauer fällt pro Jahr Bäume auf einer Fläche von 2-3 ha, worauf er Subsistenzprodukte anbaut und möglicherweise ein paar Kühe hält.

Doch wer sind eigentlich diese neuen Leute, die noch gar nicht so lange in der Region sind? Heute gibt es grob drei Gruppen von Akteuren in diesem Feld: Einerseits die bereits erwähnten Kleinbauern mit wenig Geld, die schon lange dort wohnen; dann Grossgrundbesitzer, die weit weg wohnen und Kleinbauern als Viehhüter und Holzfäller anstellen, um neue Ländereien zu erschliessen; sowie Bauern, die etwas mehr Land besitzen und sich im Bestreben, noch mehr zu besitzen, den Viehbaronen anschliessen und mehr Land abholzen, um das Weideland zu erweitern. Geld spielt bei der Dimension der Abholzung eine grosse Rolle. «In weniger als drei Jahren haben sie [die Viehbarone] mindestens 2’350 ha abgeholzt, heute sind es noch mehr. Eine Hektare kann höchstens zwei Rinder ernähren und diese Leute exportieren jährlich 1500 bis 2000 Jungstiere! Stellen Sie sich mal vor, wie viel Land diese Leute haben…und wie viel Geld!»[3] Wie ein sozialer Leader der Region ausrechnete, braucht man ca. 1 Mio. Pesos (rund 250 CHF), um 1 Hektare Wald zu fällen. Denn so grosse Flächen fällt man nicht alleine, dafür müssen Leute angestellt werden, denen muss Essen bezahlt werden, die Werkzeuge, das Benzin, etc.

Experten und Bewohner der Region erklären, wie das Viehgeschäft funktioniert: Ein Viehbesitzer bezahlt für die Abholzung, welche von Tagelöhnern ausgeführt wird, während eine Drittperson dann das Vieh hinfährt. Dann werden zwei bis drei Rinder pro Hektare während zwei bis drei Jahren dagelassen, um sie nachher für 2.5 Mio. Pesos (rund 600 CHF) pro Stück zu verkaufen. Der Gewinn wird dann zwischen den Beteiligten aufgeteilt. So verstecken sich die Viehbarone hinter den Kleinbauern, die lokal wohnen und für sie die Abholzung vornehmen.

Und wie kam es denn nun zum heutigen Ausmass der Abholzung? Die zwei Hauptgründe, die zu der starken Bevölkerungszunahme und dann auch zur Abholzung führten, sind einerseits das Viehgeschäft und andererseits der Abzug der FARC im Jahr 2016.

Zuerst versuchte die Regierung Uribe in den 2000er Jahren mit dem Plan Patriota Regionen, die lange von der FARC kontrolliert wurden, unter staatliche Kontrolle zu bringen. Dazu vergab die Agrarbank günstige Kredite, um die Viehzucht voranzutreiben. So hatten plötzlich auch viele Kleinbauern Zugang zu Rindern und begannen, Wald abzuholzen. Die kleinen Felder, die sie bisher zur Kokaproduktion unterhalten hatten, reichten für die Viehzucht nicht mehr aus.

Dazu kam, dass im Jahr 2016 die FARC aus dem Gebiet abzog. Wie bereits erwähnt, befand sich die Region des Bajo Caguán, wo Cartagena del Chairá liegt, lange unter der Kontrolle der FARC. Es wurde Koka angebaut, was deutlich weniger Fläche beanspruchte als die extensive Viehzucht. Zudem wurde zu dieser Zeit noch alles mit der Axt geholzt, während heute Motorsägen die harte Arbeit viel schneller von der Hand gehen lassen. Während der Zeit der FARC sah auch die Organisation anders aus. Die Gemeinschaften der Region organisierten das Land in sogenannten ‘nucleos’, die in Komitees verwaltet wurden, die über das Zusammenleben und den Umgang mit der Umwelt entschieden. Folgendes Zitat zeigt dabei sehr schön die Umweltaspekte, die dabei berücksichtigt wurden: «Sie [die FARC] haben uns mittels diesen Umwelt- und Agrarkomitees beigebracht, dass wir die Flora und Fauna und die Wasserquellen schützen müssen. Dass man erst mindestens 30m vom Flussufer und von Wasserquellen entfernt Bäume fällen soll; dass man die Tapire, Hirsche, Jaguare und die Vögel nicht töten darf. Wer es trotzdem machte, bekam vom Komitee eine Busse von bis zu 5 Mio. Pesos [rund 1200 CHF].»[4] Die Regeln des Zusammenlebens wurden Mitte der 80er Jahre sogar als lokale Gesetze in Cartagena del Chairá festgelegt. Somit musste jeder Siedler, der ein Stück Wald fällen wollte, zuerst die Junta de Acción Comunal um Erlaubnis fragen, die ihm dann ein bestimmtes, grössenmässig beschränktes Stück Land zuteilte. In diesen Gesetzen wurde auch festgehalten, dass in geschützten Gebieten kein Wald mehr gefällt werden durfte und dass immer mindestens 25% einer Finca als Waldreserve stehen bleiben musste. Das Land wurde also gemeinschaftlich verwaltet und es gab klare Regeln, während die Kontrolle heute in den Händen einiger weniger, sehr reicher Leute liegt, die kein Interesse am Erhalt des Waldes haben. Als die FARC nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Jahr 2016 aus der Region abzogen, blieben die Kleinbauerngemeinschaften der Region ohne Führung zurück. Staatliche Unterstützung gab es noch nie. Sie wollten zwar ihre Regeln weiterführen, konnten sich aber gegen die mächtigeren Akteure, die fortan in die Region einzogen, nicht durchsetzen. Zu Beginn versuchten sie es mittels Klagen bei Corpoamazonia, der Umweltautorität der Region, doch die reagierten nicht auf die Warnrufe der Kleinbauern. So zeigt ein Bericht, dass Ende 2016 mindestens 880 Personen neu in die Region kamen (auf die wir bereits weiter oben eingegangen sind) und Primärwald in der Waldreservatszone besetzt hatten.

Die Antwort der Regierung war einmal mehr, das Militär zu schicken. In einer interinstitutionellen Initiative, die von der sechsten Division des Militärs geleitet wurde, sollte versucht werden, der Abholzung im Caquetá entgegenzuwirken. Dieselbe Initiative wurde dann auch noch in sechs anderen Amazonasdepartementen implementiert, wobei die Resultate erwartungsgemäss nicht dem Ziel entsprachen.

Nachdem eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen eine Grundrechtsklage zum Schutz des Amazonas eingereicht hatten, entschied das Oberste Gericht im Jahr 2018, dass der Staat mit einem Aktionsplan die Rechte des kolumbianischen Amazonas besser wahren muss. Bewohner des Caquetá sehen dabei ausschliesslich militärische Massnahmen vor Ort. Zuerst dachten die lokalen Bewohner*innen, dass der Plan Artemisa, wie die Militäraktion heisst, gegen illegale Landbesetzungen in den Nationalpärken gerichtet sei. Doch dann wurden plötzlich auch Leute aus Cartagena del Chairá verhaftet. Obwohl sie zwar immer gleich wieder freigelassen wurden, da nicht genug Beweise gegen sie vorlagen, ist die Situation bedrohlich. Das Verteidigungsministerium hat über Kanäle wie Twitter Anschläge im Stil eines Westernfilms verbreitet, wo mit Foto und Name (und Alias![5]) die angeblich schwersten Umweltverbrecher des Amazonas gesucht werden. Mit Belohnung für Hinweise darauf, wo sich diese Personen befinden. Bei Kolumbiens Geschichte mit sozialen Säuberungen und ähnlichen Todeslisten von Paramilitär und Guerillagruppen ist es kein Wunder, dass sich einige der Angeklagten zu ihrer eigenen Sicherheit gleich selbst stellten. Laut Leuten aus der Region handelt es sich dabei praktisch ausschliesslich um Kleinbauern, die ihrer Ansicht nach nicht die wirklichen Verursacher des Abholzungsproblems sind. Die Grossgrundbesitzer gehen dabei weiter unbehelligt ihren Geschäften nach.

Diese Aktionen der Regierung lösten Proteste aus. Zuerst gab es friedliche Proteste vor Ort, wo die Leute mit Plakaten auf die Situation aufmerksam machten. Als keine Veränderung eintrat, marschierten letztes Jahr fast 3000 Kleinbauern aus ganz Caquetá nach Florencia und schlossen sich dann dem Paro Nacional an. Aus den Protesten ergab sich ein Runder Tisch, an dem lokale Kleinbauern über Lösungsvorschläge für die Abholzung in ihrer Region diskutieren und die Regierung dazu aufforderten, mit dieser rechtlichen Verfolgung von Kleinbauern aufzuhören und sich stattdessen endlich seriös an die Umsetzung des Punkt 1 des Friedensabkommens (integrale Landreform) zu machen. 

 

[1] Alle Informationen in diesem Artikel stammen aus dem oben genannten Artikel von Verdadabierta.

[2] https://deforestacion-cartagena-chaira.verdadabierta.com/deforestacion-carcel-a-campesinos-y-rienda-suelta-a-grandes-ganaderos/

[3] https://deforestacion-cartagena-chaira.verdadabierta.com/deforestacion-carcel-a-campesinos-y-rienda-suelta-a-grandes-ganaderos/

[4] https://deforestacion-cartagena-chaira.verdadabierta.com/deforestacion-carcel-a-campesinos-y-rienda-suelta-a-grandes-ganaderos/

[5] Als unterschwellige Beschuldigung, einer illegalen Gruppe anzugehören?