Der indigene Besuch aus dem leidgebeutelten Cauca, Kolumbien

Aug 24, 2020

Von Regula Erazo

Am 20.Februar 2020 kam Guillermo Tenorio, genannt El Mayor, in Frankfurt an.
Eine langjährige Freundin seiner Familie hatte die Reise nach Europa organisiert.
Die Vorbereitungszeit war anstrengend für beide.
El Mayor hatte noch nie die Landesgrenze überschritten; Grund genug zur Aufregung.
Freude und Erleichterung als er nach langer Reise wieder Boden unter seinen Füssen spürte und eine vertraute Umarmung.
Er verlies nicht ganz freiwillig sein Land. Nach mehreren Anschlägen auf sein Leben, der letzte am 27. Dezember 2019 wurde ihm geraten, für eine gewisse Zeit das Land zu verlassen.

Wer ist Guillermo Tenorio, El Mayor?
1949 wurde er als Indigener der Ethnie Paez, Nasa, im Norden des Departements Cauca in Toribio geboren. In der Gemeinde lernte er schon bald, sich für seine Ethnie, deren Rechte auf Land, Sprache und Autonomie einzusetzen.
Er ist Mitbegründer des Consejos regional indigena del Cauca, CRIC . Von den insgesamt 12 Gründern, der einzig noch Lebende. Er präsidierte diese Dachorganisation der indigenen Gemeinschaften des Cauca über Jahre. Zwei Jahre stand er der nationalen Indigenenbewegung Kolumbiens ONIC als Vizepräsident vor.
El Mayor ist geprägt von der Kosmovision der Paez-Nasa Indigenen, ihrer Kultur, Weltanschauungen und Riten. Neben seinem politischen und analytischen Wissen zeigten sich auch schamanische Fähigkeiten. Er sieht Geistwesen und hört deren Botschaft, die er seiner Gemeinde vermittelt. So hat er schon viele Ereignisse vorausgesehen, sie jedoch weder beeinflussen noch stoppen können.
Ein geschichtsträchtiges Datum ist der Juni 1986, als Papst Johannes Paul II die Departementshauptstadt Popayan besuchte. El Mayor Guillermo wurde als Präsident des CRIC eingeladen, ein Grußwort an den Papst zu richten. Dieses wurde vom lokalen Klerus im Vorfeld zensiert. Jedoch hielt dies El Mayor nicht ab, das Originalskript mit berechtigter Kritik an der nationalen und regionalen Regierung sowie dem Klerus vorzutragen. Der Bischof unterbrach ihn und er wurde von der Bühne verwiesen. Papst Johannes Paul II sicherte ihm zu, seine Ansprache in vollem Wortlaut zu lesen.
Dieses Ereignis wurde in der nationalen Presse breitgeschlagen und hatte für den Mayor zur Folge, dass seine Feinde definiert waren.
Auch in den folgenden Jahren prangerte er die politischen Machenschaften der Politik, des Militärs, Paramilitärs, der Guerilla und Drogenmafia öffentlich an, immer mit der Absicht, die 1991 erlangte Autonomie der indigenen Territorien und deren Kosmovision zu schützen und zu fördern.
Es ist nicht erstaunlich, dass unter diesen Umständen nach seinem Leben getrachtet wird, bis hin, dass der Staat ihm ein persönliches Schutzprogramm gewähren muss.
Dies schützt jedoch nicht immer, wie damals am 27. Dezember 2019, als 4 Killer ihm an einer abgelegenen Straße auflauerten und ihm die Pistole an die Schläfe hielten. Unerklärlicherweise ging der Schuss nicht ab, auch nicht nach drei Versuchen. Die Killer rannten weg. Einer konnte vom herbeigefahrenen Streifenwagen geschnappt und verurteilt werden. El Mayor besuchte ihn später im Gefängnis, wo dieser ihm erzählte, dass auf seinen Kopf 50000 Pesos (ca. 13000 CHF) gesetzt sind.
Nach dieser offensichtlichen Jagd auf ihn musste er verschwinden.
So kam er nach Deutschland.
Guillermo hatte viele Pläne für diese Europareise. Einer davon ist, dass er all den vielen
Organisationen, die während Jahren in verschiedenen Formen den CRIC, der im Februar 2021 auf sein 50jähriges Bestehen zurückschauen kann, persönlich danken möchte. Das ist ihm ein großes Anliegen.
Doch die Corona-Krise und der Lockdown durchbrachen diese Pläne, zwangen ihn zu einer
Ruhepause.
Er, der weise, gefragte Ratgeber seiner Gemeinde, Mitglied des weisen Rates und anerkannte
indigene Führungsperson verbringt nun notgedrungen vier Monate in einem ihm fremden Land mit einer für ihn unverständlichen Sprache, zurückgeworfen auf sich selbst. Keine einfache Situation, zumal sich die Lage im eigenen Land, die Missachtung der Menschenrechte täglich verschlechtern.
Es bleibt ihm das Gebet und tägliche Spaziergänge durch die erwachende Natur. Oft führt ihn sein Weg auch zu einer kleinen Kapelle, in der er viele Kerzen anzündet für die nahezu 50 Ermordeten oder tödlich verunglückten Stammesmitglieder, die es seit seinem Abflug zu beklagen gilt.
Über Internet TV und Tele Sur aber auch in den täglichen Telefonaten mit seiner Familie in
Kolumbien erfährt er all die Gräueltaten, die zur Zeit im Cauca geschehen.
Das Thema Marihuanapflanzungen im großen Stil greift um sich und die Profiteure, das Cartel Sinaloa aus Mexiko macht kurzen Prozess mit Störenfrieden, sprich mit jenen, die in diesen Mafia- und Handelsstrukturen nicht mitziehen. Die Indigenen geraten auch zunehmend zwischen die Fronten der auf ihren Territorien sich befindenden Militärs, Paramilitärs und Guerillagruppen.
Die Grausamkeiten sind grenzenlos, zerstückelte Körper, ganze Familien werden hingerichtet.
Das eigene Volk aus der Ferne so leiden zu sehen, zehrt immer mehr an seiner Gesundheit, doch er wird in Deutschland begleitet von einem kleinen Kreis von Freunden, die ihn und die leidgeprüfte Situation seines Volkes kennen.
Kaum geht die Grenze von Deutschland zur Schweiz auf, lädt die ask-Regionalgruppe Luzern El Mayor für einige Tage in die Schweiz ein.
Da verbringt er nun einige Zeit, lernt die Schweiz kennen und erzählt viel von seiner Heimat und dem Kampf seines Volkes.
Ein weiteres Anliegen, nämlich der Stimme seines Volkes in Europa Gehör zu verschaffen, wird ihm nun wieder möglich sein und wenn es seine angeschlagene Gesundheit zulässt, so will er noch weitere europäische Länder und Organisationen besuchen, um zu erzählen und weitere Netzwerke zu knüpfen.