Wegweisendes Urteil des Verfassungsgerichtes für die Umwelt und Gesundheit in Provincial

Jan 3, 2020

Von Stephan Suhner

Das kolumbianische Verfassungsgericht hat am 16. Dezember 2019 über eine Grundrechtsklage (tutela) der beiden Bewohnerinnen des Reservates Provincial in Barrancas, Mari Luz Uriana und Yasmina Uriana geurteilt und dabei den beiden Klägerinnen Recht gegeben [1]. Die Klage der beiden Indigenen richtete sich gegen das Bergbauunternehmen Cerrejón sowie gegen das Umweltministerium, das Gesundheitsministerium, die Nationale Behörde für Umweltlizenzen ANLA, die Umweltgebietskörperschaft der Guajira Corpoguajira und die Nationale Bergbauagentur. Die beiden Frauen verlangen den Schutz ihrer Rechte auf Leben, Gesundheit, eine saubere Umwelt und körperliche Unversehrtheit.     

In ihrer Klage führten die beiden Frauen aus, wie die Bergbauaktivitäten 24 Stunden am Tag sieben Tage die Woche andauern und dabei permanent Lärm verursachen würden. Die Explosionen führten zu Erschütterungen, die die Häuser beschädigten. Der Kohlestaub gelange bis zu den Häusern, Pflanzen und Tieren und der Geruch nach Schwefel und von den Kohleschwelbränden sei unerträglich. Das Wasser sei verschmutzt und die Gemeinschaft lebe eingeengt, da das Unternehmen viele Grundstücke aufkaufte, die die Gemeinschaft früher für Landwirtschaft und als Weideland nutzten. Zudem seien viele Bewohner krank: die Lungen, das Blut, die Haut. In ihrer Klage bezogen sich die beiden Wayuu-Frauen auf eine Studie, die von der Universität des Sinú und der brasilianischen Universität von Rio Grande do Sul durchgeführt wurde. Diese Studie zeigt auf, dass die Bewohner die nahe der Mine leben hohe Konzentrationen von Chrom, Nickel, Magnesium und Brom im Blut aufweisen. 

Die Tutela war vom Obersten Gericht in Riohacha abgelehnt worden. Es hielt nach Bewertung der Antworten von Cerrejón und den staatlichen Behörden fest, dass feststehe, dass die Mine Umweltschäden hervorrufe, die Auswirkungen auf das Leben der Menschen habe, aber dass das Reservat Provincial eindeutig beweisen müsse, was für Auswirkungen sie erleiden. Auch der nationale Oberste Gerichtshof lehnte die Grundrechtsklage ab, worauf sich das Verfassungsgericht damit befasste. Das Verfassungsgericht hielt fest, dass es sich seit 28 Jahren mit Massnahmen befasse, die die Gemeinschaften im Einflussbereich der Mine vor negativen Auswirkungen schützen sollten, aber dass die Aktivitäten der Kohlemine Cerrejón durch die zuständigen Behörden nie strikte kontrolliert worden seien und dass sich deshalb Situationen wie jetzt in Provincial immer wieder widerholen würden. Das Verfassungsgericht gab in der Folge den beiden Klägerinnen Recht und ordnete Sofortmassnahmen an, u.a. bezüglich der Luftqualität. So erhielt Cerrejón eine Frist von einem Monat, um die Staubpartikelemissionen zu kontrollieren, bis in der Zwischenzeit das Umweltministerium und Cerrejón sich auf einen Grenzwert einigen, der den besonderen Eigenschaften der Staubpartikel des Kohle-Tagebaus Rechnung trage und zum effektiven Schutz der Grundrechte der klagenden Gemeinschaft führe.

Die indigenen Klägerinnen stellten von Beginn an klar, dass sie nicht die Schliessung der Mine beabsichtigen, sondern dass der Betrieb der Mine sauberer erfolgen soll. Daher hat das Verfassungsgericht auch eine umfassende Säuberungsaktion angeordnet, dass Cerrejón die Häuser, die Brunnen und die Vegetation des Reservates von Staub befreien und zudem das Lärmniveau reduzieren und die Verschmutzung der oberflächlichen Wasserläufe, die aus der Mine herauskommen, verhindern müsse.

Im Rahmen des Prozesses verteidigte sich Cerrejón vor den verschiedenen Gerichtsinstanzen damit, dass die Staubentwicklung mit den höchsten nationalen und internationalen Standards identifiziert und kontrolliert sei und dass es keine solide wissenschaftlichen Grundlagen gebe, um die geltend gemachten Umweltschäden zu belegen. Auch verneinte das Unternehmen die Präsenz von giftigen Substanzen wie Benzol und Toluol. Die Abraumhalde Patilla sei 2007 ohne vorgängige Anhörung der Wayuugemeinschaft erweitert worden, weil das Innenministerium bestätigt habe, dass es im Einflussbereich des Projektes keine indigenen Gemeinschaften gebe, obwohl schon 1988 das Reservat Provincial mit 448 Hektaren und 535 Familien offiziell registriert worden war. Zudem gebe es nicht genügende Beweise um zu belegen, dass für die Gemeinschaft Provincial ein grosses Risiko bestehe oder ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen könnte, den es zu verhindern gebe. Das Verfassungsgericht gab dem Unternehmen nicht Recht und hielt fest, dass im Reservat Provincial ein reelles Risiko für Schäden an der Umwelt und der Gesundheit bestehe und dass sich die Kontrolle der Auswirkungen des Bergbaus nicht nur auf eine mathematische Erfüllung der Grenzwerte beschränken dürfe. Cerrejón beharrte darauf, dass die Aktivitäten der Mine nicht suspendiert werden sollten und dass es keine Grundlage für die Anwendung des Vorsichtsprinzips gebe. Das Verfassungsgericht lässt zwar die Mine weiterarbeiten, verlangt dafür aber griffige Schutzmassnahmen. Die staatlichen Behörden verteidigten die Mine ebenfalls. Die ANLA hielt fest, dass die Staubemissionen die Grenzwerte nicht übersteigen, und das Bergbauministerium verlangte, die Tutela für unzulässig zu erklären. Corpoguajira gab an, sie hätten für Provincial nie den Feinstaub 2.5 gemessen, da sie rechtlich dazu nicht verpflichtet seien.

Verfassungsgericht verlässt sich auf Expertenmeinung

Um zu einem – einstimmigen – Urteil zu kommen, konsultierten die Richter des Verfassungsgerichtes verschiedene wissenschaftliche Studien, u.a. der Nationaluniversität. Diese hielt fest, dass das Vorhandensein von toxischen Abfällen genügend belegt sei und dass man herausgefunden habe, dass in der Luft, die in Provincial eingeatmet wird, komplexe Mischungen von organischen Komponenten aus den Kohlebränden vorhanden seien. Die Präsenz von Schwefel, Chrom oder Nickel in der Luft müsse als hohes Risiko speziell für Kinder bezeichnet werden, die möglicherweise neurologische und immunologische Veränderungen zu Folge haben könnten. Die Universidad Nacional zog den Schluss, dass ohne Zweifel eine besondere Risikosituation in der Gemeinschaft bestehe aufgrund der Tatsache, dass sie einer hohen Staubbelastung ausgesetzt sei.

Auch staatliche Kontrollbehörden brachten wichtige Informationen bei. So hielt die Contraloria fest, dass bei einer Überprüfung der Kontrollen der ANLA über Cerrejón festgestellt wurde, dass ANLA bis zu 20 Monate Rückstand bei der Überprüfung der Umweltberichte der Mine aufweise, was eine zeitgerechte Erfüllung der Umweltauflagen gefährde. Auch das Büro des Menschenrechtsombudsmannes bestätigte die negativen Folgen der Kohlemine auf die Pflanzen und das Wasser, und dass es eine schlechte Handhabung des Wasserabflusses bei einigen Abraumhalden gegeben habe, was zur Verschmutzung naheliegender Gewässer geführt habe. Die Gesundheitsbehörde der Guajira musste zugeben, dass sie über keine spezifischen Gesundheitsinformationen für Provincial verfügte. Unklar blieb auch, in wie weit die Luftbelastung in Provincial von den verschiedenen eigentlich zuständigen Behörden tatsächlich gemessen und überwacht wird. ANLA und Umweltministerium seien erst daran, eine Strategie zu erarbeiten, um zu überprüfen, ob Cerrejón in der Gemeinschaft von Provincial Schäden verursache, hielten aber fest, dass im Allgemeinen der Umweltmanagementplan durch Cerrejón genügend eingehalten werde.

Corpoguajira, die in Provincial verschiedene Feldbesuche machte bestätigte, dass die Staubbelastung konstant sei, ebenso der Schwefelgeruch, und dass man vom Haus von Mari Luz Uriana den Staubvorhang nach den Sprengungen sehen könne. Dieser Staub gehe auf die Gemeinschaft nieder, da diese in Windrichtung liege. Der Staub habe Haut- und Atemwegserkrankungen hervorgerufen, v.a. bei Kindern unter 5 Jahren. Die negativen Auswirkungen des Kohleabbaus auf Provincial würden mit deren Nähe zur Mine zusammenhängen, und die Luftqualität in Provincial sei durch die dauernden Staubemissionen beeinträchtigt. Allgemein seien die natürlichen Ressourcen wie Wasser, Boden, Flora und Fauna durch den Kohleabbau in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb die Mine geeignete Massnahmen ergreifen müsse. 

Die Universität von Cartagena vervollständigte diese Informationen und führte aus, wie die konstante Exposition auf den Staub auf Grund der Grösse der Staubpartikel zu Staublunge, Asthma, chronischer Bronchitis, Lungenfibrose und gar zu Krebs führen könne. Nach dem Studium all dieser Informationen hielt das Verfassungsgericht fest, dass es keine Zweifel gebe, dass die Feinstaubbelastung PM10 über dem Grenzwert der WHO liege und dass es hohe Metallkonzentrationen im Blut der Bewohner in Minennähe gebe, wie Schwefel, Chrom und Brom, was zu Erbgutschäden führen könne. Daraus resultierte für das Verfassungsgericht, dass die Indigenen aus Provincial sehr wohl Risiken für Umwelt und Gesundheit ausgesetzt seien. Daher forderte das Verfassungsgericht Cerrejón auf, die Bergbauoperation mit besonderer Sorgfalt auszuüben, damit diese die Grundrechte der umliegenden Gemeinschaften nicht beeinträchtige. Auch kritisierte das Gericht die mangelhaften Umweltkontrollen der staatlichen Behörden in scharfen Worten, da es schon mehrfach auf die Risiken des Kohletagebaus und auf die Notwendigkeit strenger Kontrollen hingewiesen habe.

Bewertung durch die ask! 

Dieses Urteil des Verfassungsgerichtes ist für die Wayuu-Gemeinschaft von Provincial von grosser Wichtigkeit. Die ask! hat Provincial schon mehrfach besucht und dabei einerseits die Nähe zur Mine wie auch die Staub- und Geruchsbelastungen selber feststellen können. Auch sahen wir viele kranke Personen, insbesondere Kinder. Die mangelnden Umweltkontrollen durch staatliche Behörden wurden ebenso klar wie die Ausflüchte des Minenbetreibers Cerrejón. Dass nun das Verfassungsgericht auf Expertenberichte abstellt, um zum Schluss zu kommen, dass eine gesundheitsrelevante Umweltbelastung existiert, ist ein wichtiger Schritt. Es ist sehr zu hoffen, dass Cerrejón in Zukunft grössere Anstrengungen unternimmt, um die Umweltbelastung deutlich zu senken, und dass die staatlichen Behörden ihre Aufsichtsfunktion erster nehmen. Dringend nötig sind aber auch Verbesserungen in der Gesundheitsversorgung, die durch die Umweltverschmutzung und die prekären Lebensumstände hervorgerufenen Erkrankungen müssen endlich an der Wurzel angepackt werden, und nicht einfach durch Salben und Antibiotika die Symptome bekämpft werden. Ebenso muss Provincial dringend mehr Lebensraum erhalten, mehr Acker- und Weideland, ungehinderter Zugang zum Fluss Ranchería und weiteren Wasserquellen und allgemein grössere Bewegungsfreiheit in ihrem ursprünglichen Territorium. Die ask! wird die Gemeinschaft in ihrem Kampf um würdige Lebensbedingungen weiter begleiten.

[1] El Espectador, Fallo de la Corte Constitucional: Ordenan al Cerrejón proteger a los wayuus y al medio ambiente, 17. Dezember 2019, in: https://www.elespectador.com/noticias/judicial/ordenan-al-cerrejon-proteger-los-wayuus-y-al-medio-ambiente-articulo-896271