Wasserverschmutzung und Bleibelastung im Tota-See
Von Stephan Suhner
Um den bei Touristen beliebten Lago de Tota ist ein Streit um eine vermutete Bleibelastung entbrannt. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft öffentlich machte, dass die Bleibelastung die Grenzwerte um bis das 95-fache übersteigen, hat die Verwaltungsaufsicht für Umweltbelange – unterstützt von Umweltorganisationen und einem Teil der Bewohner – eine Grundrechtsklage eingereicht, um die zuständigen Stellen zum Handeln zu zwingen. Die zuständige regionale Umweltbehörde Corpoboyacá scheint jedoch mehr die Gemeindeverwaltungen und die Wirtschaftsinteressen denn die Umwelt zu schützen.
Der Lago de Tota ist touristisch wertvoll und für die Trinkwasserversorgung der Gemeinden Aquitania, Tota, Sogamoso, Cuitiva, Firavitoba, Iza und Nobsa wichtig. Er liegt in der Provinz Sugamuxi in Boyacá. Der See ist aber durch starke Wasserverschmutzung bedroht, auch durch Schwermetalle wie Blei. Das genaue Ausmass der Bleibelastung ist noch nicht bekannt. Einige Wasserproben, die die Staatsanwaltschaft genommen hat, ergaben eine um den Faktor 95 zu hohe Konzentration, womit das Recht auf Gesundheit der Personen, die das Trinkwasser aus dem Tota-See beziehen, verletzt wird. Umfragen bei den verschiedenen Behörden zeigten, dass viele Gemeinden und deren Betriebe das Trinkwasser nicht regelmässig auf Schwermetalle untersuchen, und dass viele Behörden ihre Kompetenzen nicht kennen oder nicht ausnutzen. Dem Nationalen Institut für Lebensmittel und Medikamente INVIMA war nicht klar, dass Trinkwasser ein Lebensmittel ist und dass das INVIMA für dessen Qualität zuständig ist. So ist die Ursache der Bleibelastung weiterhin unbekannt. Umweltorganisationen wie die Corporación Guamán Poma und Colectivo para la Protección de la Provincia de Sugamuxi und Bürgerkomitees sind nun aber aktiv geworden und unterstützen eine Grundrechtsklage vom 6. November 2020 der Procuraduría (Verwaltungsaufsicht, die die staatlichen Behörden kontrolliert und sanktioniert), die die verschiedenen lokalen, regionalen und nationalen Behörden auffordert, sich des Problems anzunehmen. Als superprovisorische Massnahme wird verlangt, dass die Trinkwasserversorgung aus dem Tota-See unterbrochen wird, bis die Belastung geklärt und Gegenmassnahmen ergriffen wurden. Bis dahin muss das Trinkwasser aus alternativen Quellen bezogen werden. Ein Problem ist, dass die in den Gemeinden vorhandene Trinkwasseraufbereitung bis jetzt nicht in der Lage ist, Schwermetalle wie Blei zu eliminieren.
Als Ursache für die Verschmutzung kommen verschiedene Quellen in Frage, wie eine Eingabe der Corporación Guamán Poma aufzeigt. Da ist zum einen die Suche nach Erdöl. Die französische Firma Maurel & Prom hat umfangreiche Explorationskonzessionen in der ganzen Provinz Sugamuxi, auch im Einzugsgebiet des Tota-Sees. Die eigentlichen Probebohrungen fanden 2010 zwar nicht im Einzugsgebiet des Sees statt, aber da grundwasserführende Schichten durchbohrt und im Bohrschlamm Schwermetalle vorhanden sind, ist eine Verschmutzung des Sees nicht auszuschliessen. Auch wurden verschiedene seismische Untersuchungen durchgeführt, wobei in zwei bis zwanzig Meter tiefen Löchern Explosionen ausgelöst werden. Auch diese frakturieren das Gestein und können metallische Verbindungen freisetzen. Die Explorationstätigkeit wurde schon vor einigen Jahren beendet, aber bis heute gibt es keine Untersuchungen über allfällige negative Umweltauswirkungen. Diese werden nun gerichtlich eingefordert. Die Kläger fordern auch, dass das Einzugsgebiet des Tota-Sees aus dem Erdöl-Prospektionsblock Muisca herausgenommen wird. Zudem liegt fast die ganze Explorationskonzession über 3000 m.ü.M. und damit im geschützten Ökosystem des Páramo. Ebenfalls gibt es in der Gegend natürliche Quellen von ölhaltigen Substanzen, z.B. tritt an verschiedenen Stellen Asphalt auf natürliche Weise aus dem Boden. Der Asphalt wird auch in kleinhandwerklichen Minen abgebaut. Es gibt keine Untersuchungen, ob diese natürlichen Vorkommen den See verschmutzen.
In der Gegend gibt es auch Minen und Bergbautitel. Abgebaut wird vor allem Kohle sowie phosphorhaltiges Gestein und Rohstoffe für die Bauwirtschaft. Innerhalb des Einzugsgebietes des Sees gibt es mindestens neun Bergbautitel für den Kohleabbau. Ob diese Konzessionen über eine Umweltlizenz verfügen ist nicht bekannt. Verschiedene ausgebeutete Kohleminen wurden vermutlich unsachgemäss geschlossen, so dass nun saure Grubenwässer [1] austreten können, die ebenfalls mit Schwermetallen belastet sein könnten. Auch aus Minen, die aktuell in Betrieb sind, könnte das Wasser, das sich in der Mine ansammelt, unsachgemäss abgeleitet werden.
Die Gemeinden im Einzugsgebiet des Lago de Tota, namentlich Tota, Cuitiva und Aquitania, haben auch keine Abwasserreinigungsanlagen, die Siedlungsabwässer gelangen also ungeklärt in den See. Die Kläger verlangen dringend die Unterbindung der Einleitung dieser Abwässer in den See. Der See wird stark touristisch genutzt, u.a. mit verschiedenen Motorboten, die ebenfalls eine der möglichen Quellen der Bleibelastung sein können. Weiter gibt es am und im See ausgedehnte Forellenzuchten, u.a. in Metallkäfigen direkt im See. Die grosse Menge an Forellen, deren Ausscheidungen und Reste vom Futter können den See ebenfalls belasten, genauso wie Abnutzung und Korrosion der Metallkäfige. Eine weitere potentielle Verschmutzungsquelle ist die wichtige Überlandstrasse in die östlichen Ebenen, die Vía al Llano. Sie wird auch von vielen Tanklastwagen, die Erdölprodukte transportieren, befahren, aber es gibt keine Zahlen zu möglichen Unfällen und deren Folgen.
Eine letzte und eindeutige Verschmutzungsquelle ist die Landwirtschaft. In der Gegend um den Lago de Tota werden intensiv Frühlingszwiebeln angebaut, dies mit einem hohen Einsatz von Agrochemikalien. Dabei werden verschiedene Insektizide und Fungizide verwendet, die der Giftklasse I angehören und die für Wasserlebewesen und Fische sehr toxisch sind. Zudem wird als Dünger beim Zwiebelanbau Hühnermist verwendet, der häufig Schwermetalle wie Blei enthält. Tatsächlich wurde verschiedentlich in Zwiebelproben aus Boyacá Bleiverschmutzung entdeckt. In der Umgebung des Sees wird auch intensive Viehzucht betrieben.
Die Procuraduria Delegada Ambiental verlangt vor Gericht, dass Sofortmassnahmen zum Schutz des Sees und der Trinkwasserversorgung ergriffen werden, dass ausführliche Studien über die verschiedenen Verschmutzungsquellen durchgeführt und darauf basierend weitere Schutzmassnahmen ergriffen werden. Auch soll eine breit abgestützte, interinstitutionelle Begleitgruppe mit Vertretern der Bevölkerung einberufen werden, die die Massnahmen und deren Wirkung beobachtet. Unter Beteiligung der Bevölkerung soll ein Plan zur Säuberung des Tota-Sees erarbeitet werden, in dem u.a. Wirtschaftsaktivitäten, die den See belasten nachhaltig gemacht oder der Bevölkerung Alternativen angeboten werden. Auch sollen technische Studien durchgeführt werden, um herauszufinden wie stark die verschiedenen erwähnten wirtschaftlichen Aktivitäten das Wasser des Sees belasten.
Die Regionale Umweltbehörde Corpoboyacá hat nun Wasserproben entnommen und in einem anerkannten Labor analysieren lassen. Corpoboyacá teilte am 18. November 2020 mit, dass sie in den ersten 13 Wasserproben keine Bleibelastungen gefunden hätte, die für die menschliche Gesundheit schädlich sein könnte. Hernán Amaya, Direktor von Corpoboyacá kritisierte die von der Generalstaatsanwaltschaft verbreiteten Messwerte, die 95 Mal über dem Grenzwert liegen. Diese zwei Proben seien in der Nähe einer Fischzucht genommen worden und da habe sich wohl Blei von den Schweissnähten der Fischkäfige gelöst. Corpoboyacá bestätigt zwar, dass es an gewissen Stellen des Sees Bleibelastung gebe und das Wasser auch sonst verschmutzt sei. Entgegen der Kritik der Procuraduria nimmt Corpoboyacá aber die Gemeindeverwaltungen in Schutz, die durchaus für den Schutz des Trinkwassers besorgt seien. Niemand würde bleihaltiges Trinkwasser konsumieren, so Hernán Amaya. Die wirtschaftlichen Interessen in den Gemeinden (Fischzucht, Landwirtschaft, Tourismus) sind gross, und Corpoboyacá scheint deshalb das Thema Bleiverschmutzung möglichst rasch vom Tisch haben zu wollen. Die Umweltabteilung der Verwaltungsaufsicht (Procuraduria delegada ambiental) hält an der Kritik fest, dass Corpoboyacá zu wenig getan habe, um der Wasserverschmutzung des Tota-Sees Einhalt zu gebieten.
Das Erste Zivilgericht von Sogamoso hat am 1. Dezember 2020 ein Urteil gefällt, wonach das Recht auf eine saubere Umwelt und Gesundheit der Bewohner der betroffenen Gemeinden geschützt werden müsse. Ebenso sprach das Gericht dem Tota-See Anspruch auf besonderen Schutz zu. Abgelehnt hat das Gericht, die Trinkwasserversorgung aus dem See zu unterbrechen. Hingegen hat es umfangreiche weitere Untersuchungen und Massnahmen mit strengen zeitlichen Fristen angeordnet, um das Niveau der Verschmutzung genauer zu bestimmen und den Ursachen auf den Grund zu gehen, sowie danach die geeigneten Massnahmen zu ergreifen. Dieses Urteil wurde weitergezogen, der Ausgang des Seilziehens zwischen Schutz der Umwelt und der Gesundheit und politischen und wirtschaftlichen Interessen geht also noch weiter.
[1] Auf dem zweiten Foto ist ein solcher Austritt von Grubenwasser zu sehen, die rötliche Färbung stammt von verschiedenen Metallen. Foto vom Colectivo para la Protección de la Provincia de Sugamuxi.
Quellen:
Urteil des Ersten Zivilgerichts: https://www.wradio.com.co/docs/20201203441699c3.pdf
Corporación Guamán Poma, Demanda en Coadyuvancia, Izá, 18. November 2020.
Procuraduría General de la Nación, Procuraduria Delegada para Asuntos Ambientales, Acción de Tutela, Tunja, 6. November 2020.