Ungelöste vergangene und aktuelle menschenrechtliche Herausforderungen in der Kohleabbauregion des Cesar
Von Stephan Suhner
Die Bewältigung vergangener Gewalt während des Höhepunktes des bewaffneten Konfliktes im Cesar und eine mögliche Verstrickung der Bergbauunternehmen darin ist ebenso eine ungelöste Frage wie auch der konsequente Umgang mit aktuellen menschenrechtlichen Herausforderungen. Während Prodeco zögerlich aber stetig auf Opferverbände zugeht, tut sich in Bezug auf Drummonds Verstrickungen einiges in der Übergangsjustiz: der Fall des Viehzüchters und ehemaligen Auftragnehmers des Kohleunternehmens Drummond, Jaime Blanco Maya, wurde von der Übergangsjustiz JEP akzeptiert. Der Halbbruder des ehemaligen Chefs des Rechnungsprüfungshofes Edgardo Maya verpflichtete sich, die angebliche Finanzierung von Drummond an die Paramilitärs zwischen 1993 und 2002 aufzudecken.
Der Abteilung zur Klärung der juristischen Situationen der JEP hat Jaime Blanco Mayas Fall am 26. November 2019 akzeptiert. Der ehemalige Auftragsnehmer von Drummond wurde 2013 zu 38 Jahren Gefängnis verurteilt wegen dem Mord an zwei Gewerkschaftsführern, die bei Drummond tätig waren. Blanco Maya verpflichtete sich vor der JEP, neue Details über die vermutete Finanzierung der Paramilitärs durch Grossunternehmen zu verraten. Er präsentierte der JEP einen Plan für Wahrheit, Wiedergutmachung und Garantien und sagte, er werde die Beziehung und die Finanzierung der Paramilitärs der AUC durch Drummond aufklären. Blanco Maya war ein Vermittler zwischen Drummond und den AUC und wurde wegen dem Mord an Victor Orcasita und Valmore Locarno, Führungspersonen der Gewerkschaft Sintramienérgetica, verurteilt.
Gemäss den bisherigen juristischen Untersuchungen hatte Blanco Maya eine enge Beziehung mit dem Bloque Norte der AUC unter dem Kommando von Jorge 40. Blanco Maya hatte den Mord an den Gewerkschaftern angeordnet, weil diese Drummond bestreikten, um einen anderen Lieferanten für die Verpflegung zu bekommen, da Blanco Mayas Industrial de Servicios y Alimentos ISA schlechte Qualität lieferte. Verschiedene paramilitärische Zeugen sagten im Prozess über mehrere Treffen zwischen Blanco Maya und verschiedenen Paramilitärkommandanten aus, an denen teilweise auch Vertreter von Drummond dabei waren. Bei diesen Treffen ging es unter anderem auch um den Mord an den Gewerkschaftern. Im Urteil gegen Blanco Maya von 2013 ordnete ein Richter an, dass verschiedene Manager des US-Multis untersucht werden sollten, so der ehemalige und zwischenzeitlich verstorbene Präsident Gary Drummond sowie Augusto Jimenez, Präsident von Drummond Colombia von 1990 bis 2012 und José Miguel Linares, damals Vizepräsident und heute Präsident von Drummond Colombia. Ebenso sollte die Verantwortung von Alfredo Araujo, Community Relation Manager; James Atkins, Sicherheitschef sowie von Colonel Luis Rodriguez untersucht werden. Ihnen wird eine allfällige Beteiligung an der Ermordung der Gewerkschafter vorgeworfen.
Über sein Unternehmen ISA war Blanco Maya das Verbindungsglied für die Finanzierung der Paramilitärs durch Drummond. Dieses Geständnis legte Blanco Maya selbst in einem Zivilprozess in den USA ab. Gemäss Blanco Maya habe ihn der ehemalige paramilitärische Chef ‚El Tigre’ 1995 aufgesucht und ihn gebeten, dass sein Unternehmen die Finanzierung der Paramilitärs für Drummond übernehmen soll. Blanco Maya hätte dann damit James Atkins konsultiert. Atkins wiederum hätte dann Gary Drummond konsultiert, dem der Vorschlag gefallen habe, so Blanco Maya. Bedingung war, dass das Geld an die Paras gelangt, ohne dass die US Behörden davon Wind bekommen. So wurden die Gelder für die Paramilitärs dann über Blanco Mayas Firma ISA kanalisiert.
Gegenüber der JEP verpflichtete sich Blanco Maya auch, in El Paso und in Chiriguaná zwei Versöhnungsevents zu organisieren sowie zwei Veröffentlichungen in der regionalen Zeitung El Pilón zu machen, wo er ebenfalls um Verzeihung bitten werde. Ebenso will er ein Monument zur Erinnerung an die Opfer der paramilitärischen Gewalt finanzieren. Gemäss eigenen Angaben will Blanco Maya so mithelfen, die Stigmatisierung der Gewerkschaften zu überwinden, da die Gewerkschafter Opfer verschiedener Menschenrechtsverletzungen durch bewaffnete Gruppen sowie durch Multis und Wirtschaftsverbände wurden [1]. Die JEP anerkannte Blanco Maya als unabhängigen Dritten (also nicht Kämpfer), der enge Beziehungen zu den Paramilitärs pflegte, diese finanzierte und so am bewaffneten Konflikt Teil hatte. Nachdem Blanco Maya seinen Plan für Wahrheit, Wiedergutmachung und Nicht-Wiederholung auf Verlangen der JEP nachbesserte, stand der Aufnahme seines Falles in der Übergangsjustiz nichts mehr im Wege.
Ungelöste Menschenrechtsfragen der Vergangenheit
Die Informationen, die Blanco Maya im Prozess vor der JEP offen legen könnte, sind von grosser Wichtigkeit, um endlich in der Wahrheitssuche bezüglich der Zusammenarbeit der Kohleunternehmen mit den paramilitärischen Gruppen weiter zu kommen. Durch die Prozesse um die Ermordung der drei Gewerkschafter von Sintramienergetica weiss man bezüglich einer möglichen Komplizenschaft von Drummond mehr als im Falle von Glencore-Prodeco. Allerdings hat sich Prodeco bisher offener gezeigt, mit Opfergemeinschaften zusammen zu arbeiten und auch an Gedenkfeiern mit Opferverbänden wie der Asamblea Campesina 2017 und 2018 teilzunehmen. Noch ist es bisher aber nicht zu einem von den Opfern gewünschten und geforderten Wahrheits- und Versöhnungsdialog gekommen, erste Annäherungen fanden aber statt. Prodeco arbeitet in den beiden gewaltbetroffenen Gemeinschaften La Victoria San Isidro und Estados Unidos, schloss einen Pakt des Vertrauens mit den Gemeinschaften und hilft, einen Entwicklungsplan umzusetzen. Verschiedene dieser Projekte zeigen positive Wirkung, führen aber auch zu neuen Spaltungen in den Gemeinschaften. Bei meinen Feldbesuchen und im Gespräch mit Vertretern von Prodeco entstand der Eindruck, dass Prodeco über das Programm für Entwicklung und Frieden im Cesar den Dialog v.a. mit wenig kritischen Akteuren führt, und noch nicht genügend auf kritischere Sektoren zugegangen ist.
Auch in Bezug auf die Anerkennung einer menschenrechtlichen (Mit-)Verantwortung ist Prodecos Ansatz noch nicht konsistent. Im bisher letzten Nachhaltigkeitsbericht von 2018 spricht Prodeco zwar von der Möglichkeit einer Komplizenschaft mit Menschenrechtsverletzungen und übertriebener Gewaltanwendung der öffentlichen Sicherheitskräfte und dass das Unternehmen allenfalls mit Verletzungen des internationalen Völkerrechts in Verbindung stehe. Das ist zwar ein wichtiger Schritt, aber die Frage ist, wie mit diesen Risiken in den 90er und 2000er Jahren konkret umgegangen wurde und was es in Bezug auf die Menschenrechte konkret bedeutet hat, eine grosse Tagebaumine mitten in einem Kriegsgebiet aufzubauen. Diesen Fragen weicht Glencore – Prodeco nach wie vor aus. Der Nachhaltigkeitsverantwortliche von Prodeco antwortete im Juli 2019 auf meine Frage, wo Prodeco ihre diesbezügliche Verantwortung sehe, dass Prodeco anstatt Täter vielmehr selber Opfer sei. Sie hätten „die Sache“ vertieft studiert und hätten keine Fehler begangen. Anna Krutikov, bei Glencore am Hauptsitz Nachhaltigkeitsverantwortliche, sagte zu dieser Frage, Abklärungen hätten ergeben, dass Glencore in der fraglichen Zeit noch gar keine Minen betrieben habe und daher z.B. viel weniger exponiert sei als z.B. Drummond.
Auch in Bezug auf die aktuelle Menschenrechtslage bleiben bei Prodeco viele Fragen offen. Die Bergbauregion bleibt bis heute von schweren Menschenrechtsverletzungen betroffen, unter anderem kommt es nach wie vor gehäuft zu (Mord-) Drohungen gegen soziale Führungspersonen und z.B. Gewerkschafter. Ebenso wird durch die Bergbauoperationen das Recht auf eine saubere Umwelt, auf Gesundheit, auf Trinkwasser, würdige Arbeit, Zugang zu Land etc. nach wie vor verletzt. Prodeco führte 2015/16 eine erste menschenrechtliche Folgeabschätzung durch, und 2018 eine zweite, die vertiefter die Risiken, die das Unternehmen selber verursacht, anschaute. Trotzdem hat Prodeco in den vergangenen vier Jahren kaum etwas über die entdeckten Risiken und die dagegen getroffenen Massnahmen veröffentlicht und auch bei den vertieften Gesprächen, die wir mit Prodeco und Glencore führten, erhielten wir nur wenige zusätzliche Informationen. Zudem vermischt Prodeco CSR-Projekte und soziale Investitionen, zu denen sie aufgrund des Umweltmanagementplanes verpflichtet sind mit Projekten zur Minderung negativer Impacts der Bergbauoperation. So führt Prodeco Projekte für Fischzucht mit ehemaligen Fischern durch, bestreitet aber, dass die Minen und die Intervention der Flüsse durch Prodeco etwas mit dem Rückgang der Fische zu tun haben. Zudem fehlen Indikatoren, um Verbesserungen im Menschenrechtsbereich feststellen zu können, oder es wird nicht ausgewiesen, was z.B. die Wirksamkeit des Trainings in Menschenrechten von Angestellten und Sicherheitskräften ist. Es bleibt zu hoffen, dass Prodeco 2020 im ersten alleinstehenden Menschenrechtsbericht ausführlicher über die aufgedeckten Risiken und die getroffenen Massnahmen berichtet, und z.B. die Aktionspläne zur Beendigung und Wiedergutmachung allfälliger Menschenrechtsverletzungen öffentlich macht.
[1] El Espectador, El caso Drummond llega a la JEP, 3. Dezember 2019, in: https://www.elespectador.com/colombia2020/justicia/el-caso-drummond-llega-la-jep-articulo-893894