Rückgabe der Bergbautitel von Prodeco erfolgt auf dem Rücken der Arbeiter

Aug 2, 2022

Von Stephan Suhner

Der überraschende Rückzug von Prodeco aus dem Kohleabbau hat für die Region und vor allem für die Arbeiter gravierende Konsequenzen. Schon vor der Ankündigung der Rückgabe der Bergbautitel hat Prodeco mit Entlassungen begonnen. Seit dem 4. Februar 2021 haben sich diese vermehrt. Dabei hat sich Glencore Prodeco gemäss den Gewerkschaften dem Dialog verweigert, Arbeiter z.T. widerrechtlich entlassen und keinen wirklichen Sozialplan vorgelegt.

Noch vor der Pandemie, im August 2019, verkündete Prodeco einen Plan zur Kostenreduktion, in dem die teuersten Maschinen entfernt, der Produktionsprozess rationalisiert und die Anzahl Arbeiter*innen[1] reduziert werden sollte. Gleichzeitig versprach Prodeco, die Nachhaltigkeit des Unternehmens für die Zukunft zu erhalten. So aber hat Prodeco von 2019 bis Anfang 2021 mehr als 500 Angestellte des Drittunternehmens Manpower entlassen, ebenso 60 Arbeiter einer Unterhaltsfirma im Hafen, weitere 50 Fahrer im Hafen und insgesamt weitere 250 Arbeiter von Drittunternehmen. Im Juni 2020 entliess Prodeco 10 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter im Hafen, rund 100 akzeptierten einen Plan zur freiwilligen Arbeitsaufgabe. Mit einem neuen Plan zur freiwilligen Arbeitsaufgabe im Januar 2021 konnte Prodeco 315 Arbeiter in der Mine Calenturitas und Puerto Nuevo entlassen, 32 davon waren in der Gewerkschaft organisiert.  Stand Februar 2021 reduzierten sich die Arbeiter der Mine La Jagua von 982 auf 591, 391 wurden also entlassen. 410 Arbeiter waren in der Gewerkschaft, 86 davon wurden entlassen. Ein Grossteil der Entlassenen war krank. Anfangs 2019 hatte die Prodeco Gruppe 7331 Angestellte, davon 2523 Direktangestellte und 4808 Leiharbeiter; im Februar 2021 waren es noch 1200 direkte Angestellte und sehr wenige Leiharbeiter. Prodeco begründete die Entlassungen mit der Restrukturierung, der Verweigerung der Umweltlizenz für eine neue Abraumhalde respektive die Nichtbewilligung eines neuen Umweltmanagementplanes und Probleme mit der Pandemie, was den Betrieb der Mine eingeschränkt habe und den Kohlemarkt einbrechen liess.[2]

Prodeco durfte trotz der Pandemie weiter operieren, hatte den Betrieb aber während fünf Monaten zur Verhinderung von Ansteckungen eingestellt. Trotz der Pandemie hatte Prodeco weiter Kohle exportiert, 150-200‘000 Tonnen pro Monat zwischen März und Juli 2020. Die Kohle wurde in Lastwagen aus Nord-Santander zur Mine Calenturitas gebracht und von dort mit dem Zug zum Hafen. Sintracarbón denunziert weiter, dass Prodeco und Puerto Nuevo die Operation nicht eingestellt haben, sondern  2020, 2021 und 2022 weiterhin Kohle zum Hafen transportierten und exportierten. Dazu hätten beide Unternehmen vorher entlassene Arbeiter über Leiharbeitsunternehmen wieder angestellt, um die früheren Aufgaben wieder zu übernehmen. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter sind hingegen isoliert und erhalten den Lohn ohne zu arbeiten. Prodeco wolle so die Gewerkschaft und den Gesamtarbeitsvertrag zerstören. 

Sintracarbón hinterfragt auch die Art und Weise, wie Prodeco trotz unklarer Rechtslage die Bergbautitel an den Staat zurückgeben kann. Es sei schwer verständlich, wieso Glencore wegen angeblich mangelnder Rentabilität die Titel von Prodeco zurück gebe, gleichzeitig aber 100% von Cerrejón übernehme. Die Kohlepreise erreichen neue Höchststände mit durchschnittlich 233 USD pro Tonne für 2022, während die Produktionskosten pro Tonne bei 33 USD liegen. Auffällig sei ebenfalls, das Glencore nur die Minentitel zurückgebe, aber die Lager- und Verladeeinrichtungen in Calenturitas, die Zugslinie und den Hafen behalte. Prodeco handelt auch widersprüchlich, wenn sie einerseits sagen, das Kohlegeschäft sei nicht rentabel, andererseits im Jahr 2021 aber investierten, um den Shiploader zu verbessern, um so die Schiffe schneller und besser beladen zu können. Das heisst, dass eine neue Bergbaufirma, die die Titel übernimmt, auf Glencore angewiesen ist, um die Kohle zu exportieren.[3]

Arbeiter wurden von der Rückgabe der Titel überrascht und nicht konsultiert

Sintramienergética, eine der beiden Gewerkschaften bei Prodeco beklagt, dass die Rückgabe der Bergbautitel überstürzt und ohne Konsultation der Arbeiter erfolgte und diese sich auf die Schliessung in keiner Weise vorbereiten konnten. Für Hunderte kranke Arbeiter sei die Zukunft völlig ungewiss. Der internationale Gewerkschaftsverband CNV aus Holland ist in grosser Sorge über die Auswirkungen dieses Unternehmensentscheides auf das Leben von Tausenden von Arbeitern und deren Familien. Glencore Prodeco hat im Rahmen der Rückgabe der Minentitel an den Staat mehrfach Arbeiter willkürlich entlassen.

Die Zustimmung der nationalen Bergbauagentur, die Rückgabe der Bergbautitel von Prodeco zu akzeptieren, hat bei den Arbeitern zu viel Verunsicherung geführt. Sie fragen sich, wo der kolumbianische Staat bleibt, um ihre Rechte und die Rechte der Gemeinschaften zu schützen. Die Arbeiter und die Gewerkschaftsvertreter vertrauen den Absichten von Prodeco nicht und befürchten, dass sie die Verpflichtungen nicht einhält. Seit Prodeco den Rückzug angekündigt hat, hat sie willkürliche Entscheidungen getroffen und sich dem Dialog verweigert, alles ohne Berücksichtigung der mehr als 5000 direkten und 6000 indirekten Arbeiter. Die Dialogverweigerung Prodecos widerspricht den Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO und den Richtlinien für Minenschliessungen, die das Unternehmen unterzeichnet hat. Die Arbeiter verstehen auch nicht, warum Prodeco die Minen aufgibt, angesichts steigender Preise und Effizienzgewinne in der Abbautechnologie. Die Arbeiter beklagen auch die völlige Abwesenheit von staatlicher Führung und sozialem Dialog. All die Gespräche die die Gewerkschaften mit den Parteien und Parlamentariern, dem Arbeitsministerium, den Bürgermeistern und Gouverneuren geführt haben, haben nichts gefruchtet, um die soziale Misere zu verhindern. Die Schliessung der Minen betrifft nicht nur die Arbeiter und ihre Familien, sondern die ganze Region, deren soziales und wirtschaftliches Leben auf der Kohle aufgebaut wurde.

Obwohl seit Jahren bekannt ist, dass der Kohleabbau irgendwann enden wird, kam der Rückzug von Prodeco doch überraschend, und v.a. wurde nicht erwartet, dass das Ende so planlos und überstürzt erfolgen könnte. CNV hat deshalb die Bildung des Arbeiterkollektivs für einen gerechten Übergang unterstützt, um in Zukunft solche Szenarien wie mit Prodeco zu verhindern. Der Ausstieg aus der Kohle wird so oder so kommen, aber er sollte die Region nicht immer wieder in soziale Krisen stürzen wie jetzt der Ausstieg von Prodeco.[4]

Massenentlassung durch «grosszügige Pläne zur freiwilligen Kündigung»

In den letzten zwei Jahren haben Prodeco und Puerto Nuevo mehr als 500 direkte Arbeiter entlassen und drei Pläne zur freiwilligen Kündigung (Planes de retiro voluntario) aufgelegt. Diese Pläne sind gar nicht wirklich freiwillig: Prodeco offeriert nebst den legalen Abgangsentschädigungen drei zusätzliche Bonuszahlungen. Wenn das Angebot abgelehnt wird, ist die Alternative die Entlassung ohne Rechtfertigungsgrund und ohne die drei Bonuszahlungen. Für die Gewerkschaften weist diese Praxis auch gesetzeswidrige Elemente auf. Die Arbeiter werden dabei unter Druck gesetzt, dass wenn sie diesen Plan nicht akzeptieren, sie sowieso entlassen würden. Die Pläne zur freiwilligen Arbeitsaufgabe oder Kündigung sind für die Arbeiter keine längerfristige Garantie für ein auskömmliches Leben. Prodeco habe eine externe Anwaltskanzlei damit beauftragt, diese Pläne zur freiwilligen Kündigung umzusetzen, wobei enormer Druck auf die Arbeiter ausgeübt werde, mit mehreren Telefonanrufen, damit sie akzeptieren. Die freiwilligen Kündigungen bedeuten aber, dass die Arbeiter auf ihre Arbeitsrechte, auf die kollektiven Vergünstigungen und Vorteile der Gesamtarbeitsverträge etc. verzichten, im Gegenzug für Geldsummen, die nicht lange reichen werden. Die Gewerkschaften bei Prodeco lehnen die individuellen Druckversuche auf die Arbeiter ab und verlangen, dass diese Pläne wenn schon mit den Gewerkschaften ausgehandelt werden, um die über lange Jahre erkämpften Arbeitsrechte zu verteidigen und zu erhalten.     

Die Strategie von Prodeco war jeweils, eine Gruppe von Arbeitern zu entlassen und dann einen Plan für die freiwillige Kündigung aufzulegen. Aus Angst vor einer Entlassung haben dann viele Arbeiter diese Pläne akzeptiert. Auch Arbeiter, die über einen gewerkschaftlichen Kündigungsschutz verfügten, weil Gesamtarbeitsvertragsverhandlungen angestrebt wurden, waren nicht vor Entlassung gefeit. Als diese Arbeiter sich weigerten, diese Pläne zu akzeptieren, wurden sie entlassen, ohne dass das Arbeitsministerium darauf reagiert hätte. Sintracarbón hat Ende 2021 einen Forderungskatalog an Prodeco und Puerto Nuevo eingereicht. Die beiden Unternehmen haben daraufhin sämtliche Punkte des bestehenden Gesamtarbeitsvertrages aufgekündigt, über den Forderungskatalog der Gewerkschaft wollte das Unternehmen nicht verhandeln.[5] Die internationale Gewerkschaftsvereinigung CNV verurteilt die Art und Weise wie Glencore Prodeco diese Situation gemanagt hat, ohne sich mit den Gewerkschaften hinzusetzen und einen verantwortungsbewussten Sozialplan auszuhandeln, der die Arbeits- und Grundrechte respektiert. Am schlimmsten ist die Situation für die outgesourcten Arbeiter, die etwa 70% aller Arbeiter im Bergbausektor ausmachen. 

Ein Problem, das Prodeco allenfalls ungelöst hinterlässt, sind die kranken Arbeiter. Die Gewerkschaft der kranken und behinderten Arbeiter des Minensektors SINTRADEM spricht von einer grossen Anzahl kranker Arbeiter mit Atemwegserkrankungen bis hin zu (Quarz-)Staublungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates. Wie diese Erkrankungen zu qualifizieren seien, ob als Arbeitserkrankungen oder in Beziehung zu den Kohleminen, oder nur als normale Erkrankungen, ist seit Jahren umstritten. Vielen kranken Arbeitern wird nur eine normale Erkrankung diagnostiziert, keine in Verbindung mit der Arbeit in der Kohlemine. Wie es für diese erkrankten Arbeiter nach dem Weggang von Prodeco weitergeht, ist ungelöst.[6] Aus Sicht der Gewerkschaften wird kranken Arbeitern ein Preisschild verpasst, d.h. es wird ihnen eine bestimmte Geldsumme offeriert, damit sie das Unternehmen verlassen, im Wissen darum, dass es sich um kranke Arbeiter handelt, deren Situation nicht geklärt ist. Mit gesetzlichen Schritten ist es den Gewerkschaften aber gelungen, einige Arbeiter wieder an den Arbeitsplatz zu integrieren. Es gibt aktuell 627 juristische Prozesse gegen Prodeco wegen diesen ungerechtfertigten Entlassungen. Diese Machenschaften von Glencore verstossen gegen die OECD Leitsätze, die Leitprinzipien der UNO und gegen Art. 4 über Minenschliessung des Bettercoal Standards.

Arbeitsministerium bewilligt Massenentlassungen wegen Aufgabe des Kohleabbaus

Prodeco hat am 4. Februar 2021, am selben Tag, an dem das Unternehmen bei der Nationalen Bergbaubehörde um Erlaubnis ersuchte, die Bergbautitel zurückzugeben, beim Arbeitsministerium um Erlaubnis ersucht, die Arbeiter kollektiv entlassen zu dürfen, da es die Bergbauaktivitäten definitiv einstelle. Die Gewerkschaften hofften, dass das Arbeitsministerium diesen Antrag Prodecos ablehnt, vergebens. Mit der Resolution 1619 vom 17. Mai 2022 des Arbeitsministeriums wurde die Entlassung von 247 Arbeitern autorisiert. Bis auf 24 leitende Angestellte, die Prodeco auch ohne Minenbetrieb noch brauche, wurde die Entlassung von allen anderen Arbeitern bewilligt. Unklar bleibt, welche Arbeiter die Unterhaltsarbeiten und Arbeiten zur Erfüllung des Umweltmanagementplanes durchführen. Sintracarbón kritisiert, dass diese Entlassungen autorisiert wurden, obwohl wegen der Covid – Pandemie eigentlich eine Arbeitsplatzgarantie herrscht. Der sanitäre Notstand dauert noch bis mindestens zum 30. Juni 2022, die Wirtschaft beginnt sich erst langsam zu erholen und die Arbeitslosigkeit liegt bei über 12%. Dasselbe Arbeitsministerium, das nun diese Massenentlassung bewilligt hat, schreibt auf seiner Internetseite, dass es wegen der Pandemie keine Massenentlassung autorisiere und es vordringlich sei, die Rechte der Arbeiter*innen zu schützen. Im Communiqué, mit dem Sintracarbón die Massenentlassung hinterfragt, stellt die Gewerkschaft auch die Frage, warum Gerichtsverfahren, die von den Gewerkschaften angestrengt werden, kaum Fortschritte machen, das Gesuch von Glencore um Massenentlassung jedoch innert 15 Monaten erstinstanzlich entschieden wurde.

Insgesamt stehen 900 Arbeitsplätze bei Prodeco auf dem Spiel, viele dieser Arbeiter krank, vor-pensioniert oder mit Vaterpflichten. Über 70% der entlassenen Arbeiter hatte arbeitsbedingte Krankheiten. Das Unternehmen hat 2021 neues Personal angestellt, mit tieferen Löhnen und befristeten Arbeitsverträgen, sowie ohne die Vorteile des Gesamtarbeitsvertrages, da die neuen Arbeiter aus Angst keiner Gewerkschaft beigetreten sind. Glencore Prodeco hätte anders vorgehen müssen, und z.B. ein Abkommen schliessen, so dass die Arbeiter direkt an das neue Unternehmen übergegangen wären. Das hätte die Region sozial und wirtschaftlich viel weniger belastet.

 

[1] Dieser Artikel beinhaltet das Wort Arbeiter*innen sehr viele Male. Der Leser*innenfreundlichkeit zuliebe verzichten wir darauf, jedesmal die Sternchenform des Wortes zu benutzen und schreiben Arbeiter stellvertretend für Arbeiter und Arbeiterinnen. Obwohl die grosse Mehrheit der Angestellten Männer sind, gibt es aber auch Frauen in diesem Pool.

[2] Sintramienergetica Seccional Santa Marta, INFORME SOBRE SITUACIÓN EN EL GRUPO PRODECO – GLENCORE COLOMBIA, Santa Marta, 11 de febrero de 2021

[3] Brief von Igor Díaz, Präsident von Sintracarbón, an den Arbeitsminister Angel C. Cabrera Báez, bezüglich der Resolution 1619 von 2022, 21. Mai 2022. 

[4] Devolución de títulos mineros en el Cesar: de espaldas a los trabajadores y sin liderazgo estatal (cnvinternationaal.nl)

[5] Sintracarbón, INFORME SITUACION EN EL GRUPO PRODECO – COLOMBIA, 25. April 2022

[6] Salida de PRODECO de Colombia: urge mesa de negociación (cnvinternationaal.nl)