Konzernlobby gewinnt im Ständerat: Alibi-Gegenvorschlag ohne Wirkung verabschiedet

Dez 18, 2019

Von Stephan Suhner

Der heute im Ständerat angenommene Gegenvorschlag sieht im Wesentlichen eine Berichterstattungspflicht für Unternehmen vor. Das stellt zur heutigen Situation kaum eine Verschärfung der Unternehmensverantwortung dar. Die ask! analysiert seit Jahren die Berichterstattung zu Menschenrechten von verschiedenen in Kolumbien tätigen Schweizer Unternehmen wie beispielsweise Glencore. Glencore und ihre kolumbianischen Tochterfirmen Prodeco und Cerrejón veröffentlichen seit Jahren Nachhaltigkeitsberichte, in denen sie auch über Menschenrechte sprechen. 2015 hat Prodeco z.B. eine erste menschenrechtliche Folgeabschätzung durchgeführt, 2018/19 eine zweite in Auftrag gegeben. Bis heute hat aber Prodeco kaum eine einzige Auswirkung ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte der Bewohner umliegender Gemeinschaften öffentlich anerkannt und es ist über die getroffenen Massnahmen und allfällige Aktionspläne praktisch nichts bekannt. Prodeco plant 2020 einen eigenständigen Menschenrechtsbericht herauszugeben, man darf gespannt sein….. Auch Cerrejón hat schon zwei Impact Assessments im Bereich Menschenrechte durchgeführt, die veröffentlichten Risiken, die das Assessment angeblich aufgedeckt hat, haben mit der Realität, die wir bei unseren Besuchen vor Ort zu Ohren bekommen, wenig zu tun. Dementsprechend ist das Vertrauen der lokalen Bevölkerung in diese Instrumente äusserst gering. Insbesondere die Nachhaltigkeitsberichte sind viel mehr eine beschönigende Selbstdarstellung denn eine kritische Auseinandersetzung mit menschenrechtlichen Herausforderungen. Was Glencore, Prodeco und Cerrejón bisher öffentlich gemacht haben, genügt nicht, um nachvollziehen zu können, dass sie ihre menschenrechtliche Verantwortung tatsächlich ernst nehmen würden, und die in fünf Jahren gemachten Fortschritte sind angesichts der Probleme viel zu gering. Es ist zu befürchten, dass dieser Alibi-Gegenvorschlag an dieser Feststellung ebenfalls nichts ändert.

Medienmitteilung der Konzernverantwortungsinitiative

Der Ständerat hat heute einen Alibi-Gegenvorschlag verabschiedet. Damit hat sich die Konzernlobby durchgesetzt. Konzerne wie Glencore und Syngenta sollen nicht für angerichtete Schäden geradestehen müssen, sondern bloss einmal im Jahr eine Hochglanzbroschüre veröffentlichen.
Nach dem heutigen Entscheid des Ständerats wird die Schweiz höchstwahrscheinlich nächstes Jahr über die Konzernverantwortungsinitiative abstimmen. Der von Bundesrätin Keller-Sutter kurzfristig zurechtgezimmerte Alibi-Gegenvorschlag fand im Ständerat eine Mehrheit. Diese Vorlage wird selbstverständlich nicht zu einem Rückzug der Initiative führen, da sie keinerlei verbindliche Regeln bringt, welche Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne verhindern.
Die Mehrheit des Ständerats stellt sich mit dem heutigen Entscheid schützend vor skrupellose Grosskonzerne wie Syngenta und Glencore und will, dass diese Konzerne auch in Zukunft nicht für Menschenrechtsverletzungen geradestehen müssen. Der verabschiedete Alibi-Gegenvorschlag bringt keinerlei Verbesserungen, soll aber den Stimmberechtigten vorgaukeln, dass es die Konzernverantwortungsinitiative nicht mehr brauche.
Dick Marty ist überzeugt, dass die Bevölkerung dieser Trickserei nicht auf den Leim gehen wird: «Ich bin überzeugt, dass der Alibi-Gegenvorschlag die Stimmberechtigten nicht verunsichern wird. Denn wir alle wissen, dass gerade die skrupellosesten Grosskonzerne noch so gerne Hochglanzbroschüren veröffentlichen. Konzerne wie Glencore werden erst anständig wirtschaften, wenn Menschenrechtsverletzungen auch Konsequenzen haben und sie dafür geradestehen müssen.»

Abstimmung nächstes Jahr

Die Abstimmung findet wahrscheinlich im Herbst / Winter 2020 statt. Der Abstimmungskampagne sieht Dick Marty gelassen entgegen: «Die grosse Unterstützung – gerade auch aus Wirtschaftskreisen – stimmt mich optimistisch. Ich bin sehr zuversichtlich, denn unsere Initiative fordert eine Selbstverständlichkeit. Wenn Konzerne das Trinkwasser vergiften oder ganze Landstriche zerstören, sollen sie dafür geradestehen.»

Breite Unterstützung

Bereits heute geniesst die Initiative sehr breite Unterstützung:
120 Menschenrechts-, Umwelt-, Entwicklungs- und Konsumentenorganisationen
www.konzern-initiative.ch

Wirtschaftskomitee aus über 160 Unternehmer/innen
www.verantwortungsvolle-unternehmen.ch

Über 120 Politiker/innen aus BDP, CVP, GLP, FDP und SVP im «Bürgerlichen Komitee für Konzernverantwortung»
www.buergerliches-komitee.ch

Schweizer Bischofskonferenz, der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, die Schweizerische Evangelische Allianz (durch ihre AG Interaction), der Verband Freikirchen Schweiz sowie zahlreiche weitere kirchliche Akteure
www.kirchefuerkonzernverantwortung.ch

300 Lokalkomitees mit Tausenden Freiwilligen
www.konzern-initiative.ch/lokalkomitees

Chronologie Diskussion im Parlament
Nach über zwei Jahren Beratungen in 20 Kommissionssitzungen und trotz zweimaliger klarer Zustimmung des Nationalrates hätte der Ständerat heute die Gelegenheit gehabt, einen breit getragenen Kompromiss zu verabschieden. Dieser beinhaltete zwar erhebliche Abstriche gegenüber der Konzernverantwortungsinitiative, hätte aber doch zu minimalen Regeln gegen die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne geführt.
Die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz, breite Teile der Wirtschaft (z.B. Coop, Migros, Manor oder ein beträchtlicher Teil der Westschweizer Wirtschaft) hatten sich hinter den Gegenvorschlag gestellt. Und die Initiant/innen hatten angekündigt, im Falle einer definitiven Verabschiedung die Initiative zurückzuziehen.
Jetzt liegt es am Nationalrat, ob er an seinem Gegenvorschlag festhalten will. Mit dem heutigen Entscheid des Ständerats ist aber eine Abstimmung sehr wahrscheinlich geworden.

Das fordert die Initiative
Die Initiative will Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichten, die Menschenrechte nicht zu verletzen und die Umwelt nicht zu zerstören. Damit sich alle Konzerne an das neue Gesetz halten, sollen Verstösse in Zukunft Konsequenzen haben. Konzerne sollen deshalb für Menschenrechtsverletzungen geradestehen, welche ihre Tochterfirmen verursachen.