Streit um die richtige Strategie gegen die Kokapflanzungen: freiwillige Substitution oder Chemiekeule aus der Luft?

Feb 27, 2020

Von Stephan Suhner

Angesichts der nach wie vor hohen Zahlen an Kokapflanzungen wird in Kolumbien weiterhin sehr heftig diskutiert, was der richtige Weg ist, das “Drogenproblem” zu lösen. Die Regierung und einige Experten sehen die Wiederaufnahme der Besprühungen aus der Luft als “Silver bullet”, um dem Problem Herr zu werden, andere denken, das Substitutionsprogramm des Friedensabkommens sollte endlich massiver umgesetzt werden. Klar ist, dass es keine schnellen Lösungen gibt und dass es ein Bündel an Massnahmen braucht. Einige Stimmen fordern auch einen völligen Paradigmenwechsel, hin zu einer staatlichen Regulierung der Drogen, da der Kampf gegen die illegalen Gewinne und die Mafias kaum zu gewinnen sei. Gemäss dem letzten verfügbaren Bericht des UNO-Büros gegen Drogen und Delikte UNDOC, schloss das Jahr 2018 mit 169’000 Hektaren Koka, 2’000 Hektaren weniger als 2017.

Erfolgreiche freiwillige Substitution

Verschiedene Zahlen sprechen sehr für das Erfolgspotential des freiwilligen Substitutionsprogramms PNIS. 2018 konnte so im Departement Nariño die Kokafläche um 3‘835 Hektaren reduziert werden. Der Anteil Fläche, auf dem nach der Entfernung der Kokapflanzen erneut angebaut wurde, beträgt lediglich 0,6%. Das heisst von 100 freiwillig ausgerotteten Hektaren wurde weniger als 1 erneut mit Koka bepflanzt. Wird die Koka gewaltsam, ohne den Einbezug der lokalen Bevölkerung ausgerottet, beträgt der Wiederanbau 50-60%. Dabei ist die Bilanz der Besprühungen mit Glyphosat besonders negativ. Zwischen 1994 und 2015 wurden in Kolumbien 1‘896‘000 Hektaren besprüht, die Kokafläche stieg in der Zeit von 46‘700 auf 96‘000 Hektaren. Alleine in Nariño wurden zwischen den Jahren 2000 und 2015 476‘000 Hektaren besprüht, und die Kokafläche stieg in der Zeit von 9‘300 auf 29‘800 Hektaren, ein unglaublicher Anstieg von 320%. Dazu wurden über 4,5 Millionen Liter Glyphosat verbraucht! Glyphosat ist gemäss einer Studie der Universidad de los Andes sehr ineffizient, um Koka auszurotten. Um eine Hektare auszurotten, muss die Fläche bis zu 32 Mal besprüht werden. Und jede ausgerottete Hektare verursacht Kosten von 57‘150 USD! [1]

Im Februar 2020 hat die Regierung Duque das Abkommen mit der UNDOC aufgekündigt, mit dem dieses UNO-Büro die Substitution der Kokapflanzungen des PNIS überprüfte. 2017 hatte der damalige Präsident Santos das Abkommen unterzeichnet, das auch die technische Beratung und weitere Elemente für alternative Entwicklungsprojekte umfasste. Im bisher letzten Bericht des UNDOC vom 4. Februar 2020 präsentierte die UNO überzeugende Daten: in 56 Gemeinden in 14 Departementen haben rund 100‘000 an PNIS beteiligte Familien 40‘506 Hektaren Koka freiwillig ausgerottet, und erfüllten damit 95% des Zugesagten. Ein Jahr später betraf der Wiederanbau lediglich 0,4%. UNDOC konnte also die Nachhaltigkeit und Effektivität der freiwilligen Substitution belegen, was wichtige Argumente gegen Besprühungen mit Glyphosat sind. Trotz dieser guten Resultate scheint die Regierung Duque kein Interesse daran zu haben und legt dem Programm weitere Steine in den Weg. Der Uribismus war dem Abkommen von Anfang an ablehnend gesinnt und kritisiert UNDOC, das auch das Drogenpflanzung – Monitoringsystem SIMCI seit 1999 betreibt. Tatsächlich ist UNDOC teuer und die Implementierung des Abkommens war nicht frei von Fehlern. Grundsätzlich ist die Regierung auch frei, Projektpartner zu ändern, aber gemäss der Analystin Laura Gil beendet Duque das Programm, um den Anschein zu erwecken, etwas neues Besseres aufzubauen. [2] Die Fundación Panamericana para el Desarrollo FUPAD, die der Organisation Amerikanischer Staaten nahesteht, ist aussichtsreichste Kandidatin, um die Nachfolge des UNDOC anzutreten. Obwohl nichts grundsätzlich gegen FUPAD spreche, scheine das Manöver doch viel mehr politischen denn technisch-fachlichen Kriterien geschuldet, so Laura Gil. [3]

Regierung will erneut auf Besprühungen mit Glyphosat setzen

Am 30. Dezember 2019 hat das kolumbianische Justizministerium den Entwurf des Dekretes veröffentlicht, mit dem die Besprühungen mit Glyphosat wieder aufgenommen werden sollen. Bis zum 30. Januar konnten Bürger den Vorschlag kommentieren. Noch kann damit aber noch nicht automatisch mit Glyphosatbesprühungen begonnen werden, denn noch fehlen die Studien über die Risiken für Gesundheit und Umwelt, um die Vorgaben des Verfassungsgerichts für eine Wiederaufnahme der Besprühungen zu erfüllen. Diese Studien sollten gemäss der Justizministerin Margarita Cabello Blanco bis Ende April 2020 fertig sein, wonach dann der Nationale Betäubungsmittelrat CNE seine Einwilligung für die Besprühungen geben muss. Noch bevor der CNE definitiv grünes Licht gebe, seien aber Pilotprojekte mit Glyphosat möglich, um Erfahrungen zu sammeln in der korrekten Handhabung der Besprühungen. Im CNE sollte die Regierung Duque problemlos eine Mehrheit für die Besprühungen haben. Das Dekret läuft aber Gefahr, eingeklagt zu werden, u.a. mit Grundrechtsklagen, tutelas. Bis März 2019 wurden 268 Klagen wegen Besprühung mit Glyphosat eingereicht. Gemäss dem Dekret soll die Antidrogen-Polizei die Besprühungen vornehmen, aber diese hat bisher weder Flugzeuge dafür angepasst noch Piloten ausgebildet. So sind also noch verschiedene auch operationelle Fragen offen.
Das Verfassungsgericht hatte 2019 das Urteil von 2017 präzisiert und weitere Einschränkungen für die Besprühungen erlassen. So dürfen diese dem Friedensabkommen nicht zuwiderlaufen, wonach die freiwillige Substitution Priorität hat, gefolgt von der manuellen Ausrottung und nur als letzte Möglichkeit gilt die Besprühung mit Glyphosat. Weiter darf in Naturreservaten und Nationalparks sowie in kollektiven Ländereien der Indigenen und Afros sowie in der Nähe von Siedlungen und Gewässern ebenfalls nicht besprüht werden. Fast die Hälfte der Koka befindet sich aber genau in solchen Gebieten. Die Regierung Duque sieht sich in einem Wettlauf gegen die Zeit, hat sie sich doch gegenüber den USA verpflichtet, bis 2023 die Kokapflanzungen auf die Hälfte zu reduzieren. Bis November 2019 seien gemäss dem Verteidigungsminister über 80‘000 Hektaren manuell ausgerissen worden, 40‘506 Hektaren wurden freiwillig substituiert. [4]

Die Regierung verspricht, dass im Umweltbereich 20 Experten beigezogen worden seien, um allfällige Folgen der Besprühungen auf die Biodiversität zu beobachten, und unabhängige Studien vor, während und nach den Besprühungen sollten auch negative Folgen auf die Gesundheit der Gemeinschaften ausschliessen können. Das nationale Institut für Gesundheit INS und die Behörde für Umweltlizenzen ANLA machen ein unabhängiges Monitoring und eine permanente Risikoevaluation. Beim Auftauchen von Risiken würden automatisch Anpassungen vorgenommen. Der Umweltmanagementplan für die Besprühungen liegt bei der Behörde für Umweltlizenzen ANLA, die auch ein neuartiges System an Frühwarnungen implementieren will. Diese Aufgaben des ANLA stellen ein kleiner Fortschritt dar, auch dass eine unabhängige Stelle Klagen wegen den Besprühungen entgegen nehmen soll. Früher wurden allfällige Klagen wegen Besprühungen von derselben Behörde, die besprüht, entgegen genommen, weshalb nur wenige Prozent aller Klagen überhaupt an die Hand genommen wurden. Die Regierung betont immer wieder, dass die Besprühungen mit all diesen Vorsichtsmassnahmen und Kontrollen ein effizienter Beitrag zur Kontrolle illegaler Pflanzungen sein können, und dass sie Teil einer integralen Strategie seien, die auch freiwillige Substitution, die PDETs etc. beinhalte. [5]

Betroffene Gemeinschaften kritisieren jedoch, dass viele Familien von der Regierung Duque vom PNIS ausgeschlossen wurden, und jetzt dem Risiko der Besprühungen mit Glyphosat ausgesetzt sind, und dass es widersprüchlich sei, wenn kein Geld für den PNIS vorhanden sei, aber Millionen für Glyphosatflüge budgetiert werden. [6] NGOs wie Dejusticia denken, dass die Regierung noch weit davon entfernt ist, die Vorgaben des Verfassungsgerichts zu erfüllen und dass dem Vorsichtsprinzip noch nicht genüge getan wurde. Vielmehr gibt es neue Studien, die das Glyphosat mit Augenproblemen, Hautausschlägen, Spontanaborten und Krebs in Verbindung bringen. Mögliche Gesundheitsprobleme betreffen zudem verletzliche Gemeinschaften wie Indigene, Afros und Kleinbauern, wo auch die staatliche Gesundheitsvorsorge schlechter ist. Weiter betont Dejusticia wiederholt, dass das Glyphosat, wenn es aus Flugzeugen versprüht wird, in viel stärkeren Konzentrationen als in der Landwirtschaft verwendet wird, wodurch nebst Kokafeldern auch Wald und Lebensmittelpflanzungen und Wohnhäuser betroffen sind. Weiter verweist Dejusticia auf die hohen Kosten der Glyphosatanwendung im Vergleich zu anderen Methoden, und zweifelt an der Effizienz der Kokabekämpfung mit dem Totalherbizid. Um eine Hektare Koka definitiv auszurotten, müssen 30 Hektaren besprüht werden. [7]

[1] Guillermo García Realpe, La Guerra perdida, 23. Februar 2020, in: https://lalineadelmedio.com/la-guerra-perdida/

[2] Laura Gil, Mas trizas a la paz: El gobierno rompe convenio cvon la ONU, 22. Februar 2020, in:  https://lalineadelmedio.com/trizasalapaz-gobiernorompeconveniocononu/

[3] Laura Gil, FUPAD- candidato del Gobierno para sustituir a UNDOC, 23. Februar 2020, in: https://lalineadelmedio.com/fupadcandidatoparasustituir-a-unodc/

[4] El Tiempo, Que falta para que vuelva la fumigación de cultivos ilegales?, 4. Januar 2020, in: https://www.eltiempo.com/justicia/conflicto-y-narcotrafico/que-falta-para-que-vuelva-la-fumigacion-de-cultivos-ilegales-448898

[5] El Tiempo, Gobierno presenta decreto para reanudaer fumigación en 2020, 30. Dezember 2020, in: https://www.eltiempo.com/justicia/conflicto-y-narcotrafico/gobierno-reanudara-fumigacion-con-glifosato-para-2020-447746

[6] El Tiempo, Lista la propuesta para volver a la aspersión aérea con glifosato, 30. Dezember 2020, in: https://www.eltiempo.com/justicia/investigacion/lista-la-ruta-para-el-regreso-de-la-aspersion-aerea-con-glifosato-447952

[7] https://www.dejusticia.org/litigation/le-dijmos-a-la-corte-constitucional-que-la-eventual-reanudacion-de-la-aspersion-aerea-de-glifosato-es-inconstitucional