Mut und Hoffnung im Kampf um den Frieden – Ein Interview mit Abel Coicué

Okt 2, 2019

Von Lisa Alvarado

Am Montag, 23.9.19 fand in Bern eine Veranstaltung zum Thema Menschenrechte in Kolumbien während des ersten Jahres der neuen Regierung statt. Im Vorfeld konnte die ask! ein Interview mit Abel Coicué durchführen, der im Rahmen einer Reise durch verschiedene europäische Länder auch in der Schweiz über die aktuelle Situation auf dem Land in Kolumbien berichtet. Abel Coicué ist indigene Führungsperson und Vertreter der ACIN (Asociación de Cabildos Indígenas del Norte de Cauca) und befindet sich momentan noch in einem sechsmonatigen Schutzprogramm in Spanien, wird aber im Oktober 2019 zurück nach Kolumbien reisen müssen.

Die Hintergründe für seinen Aufenthalt in Spanien sind seine Aktivitäten als indigene Führungsperson, welche dazu geführt hatten, dass seine elfjährige Tochter vor 8 Jahren umgebracht wurde. Zuerst habe der Schmerz ihn heruntergezogen, ihn demotiviert. Aber er habe sich wieder aufgerafft und für die Rechte seines Volkes weitergekämpft, bis die Drohungen zu viel wurden und er nach Europa kam. Die ACIN ist ein Verband von Indigenenräten im Norden des Departements Cauca, welche 19 Gemeinden mit rund 94‘000 indigenen Nasa umfasst. Abel ist stolz auf ihre autonome Regierungsform, erzählt aber auch, dass der Weg dahin nicht einfach war. „Unsere Regierungsform erlaubt es uns, unseren Lebensplan so zu konstruieren, wie wir als indigenes Volk es uns wünschen. Aber alle Rechte, die wir heute haben, haben wir dank unseren Eltern und Vorfahren, die dafür gelitten haben. Wir haben mit Opfern und Blut für unsere Rechte bezahlt.“

Die kolumbianische Verfassung habe sehr gute Gesetze, für alle, für soziale Organisationen, Indigene, Bauern, usw. Aber diese Gesetze erreichen laut Abel leider nicht die Realität. Sie würden nicht angewendet, nicht umgesetzt. Trotzdem gibt es ihm den Mut und die Kraft, weiterzukämpfen für das, was seine Vorfahren bereits alles erreicht haben. Die Rechte, die die ACIN geniesst, sind nicht selbstverständlich, und nicht viele andere Gruppen haben so viel erreicht wie die Nasa. Dies gibt Abel die Motivation, auch in solch schwierigen Zeiten wie den jetzigen weiterzumachen.

Gerade in den letzten Monaten hat sich die Situation stark verschärft. Teil der autonomen Organisation der Nasa ist die Guardia Indígena (indigene Wache), welche landesweit bekannt und respektiert ist für ihren jahrzehntelangen friedlichen Widerstand. Ausgerüstet mit nur einem Stock und einem rot-grünen Halstuch patrouilliert die Guardia Indígena durch ihr Territorium und stellt so eine Schutzfunktion für die indigene Bevölkerung dar. Die Tatsache, dass in den letzten Monaten mehrere Mitglieder der Guardia ermordet wurden, setzt ein sehr beunruhigendes Zeichen, so Abel. „Wir sind eine friedliche Widerstandsbewegung, Verteidiger des Lebens und des Territoriums. Dass Leute der Guardia Indígena umgebracht werden, ist höchst beunruhigend und bereitet uns grosse Sorgen.“ Die momentane Situation in Kolumbien und speziell in der Region Cauca verleihen Abels Reise durch Europa umso mehr Wichtigkeit, als dass sein Ziel ist, den Menschen hier in der Schweiz und in Europa zu erzählen, was in Kolumbien passiert; die Geschehnisse sichtbar zu machen. Denn eine wichtige Aufgabe der internationalen Gemeinschaft ist laut Abel Druck auszuüben auf die kolumbianische Regierung, dass Menschenrechte eingehalten werden und das Friedensabkommen umgesetzt wird. Zusätzlich, so Abel, gibt es ihm und seinem Volk Hoffnung und Kraft, zu sehen, dass es Menschen in der Schweiz interessiert, was in ihrem Territorium passiert.

Zum Friedensabkommen und dessen Umsetzung hat Abel auch eine klare Meinung. „Kolumbien präsentiert ein Bild ständigen Krieges. Wir Indigene haben es an Leib und Seele erlebt. Deshalb haben wir voll auf den Frieden gesetzt, als der Vorschlag für ein Friedensabkommen aufkam.“ Während den Verhandlungen in Havanna gab es eine Zeit des Friedens, so Abel, es gab weniger Kämpfe und Morde, es war eine ruhige Zeit, so wie sie sich den Frieden vorgestellt hatten. „Doch dann kam die Regierung Duque und die Gewalt nahm wieder zu. Die Mordrate an sozialen Führungspersonen steigt und steigt. Die Situation verschlechtert sich sowohl auf nationalem Niveau wie auch bei uns im Cauca.“ Sie seien sehr darüber besorgt, dass grundlegende Rechte nicht respektiert werden. Abel sieht dahinter ganz spezifische Interessen. „Kolumbien ist ein sehr diverses Land mit vielen natürlichen Rohstoffen. Die Augen aller multinationalen Firmen sind auf unsere Bodenschätze gerichtet. Um diese ausbeuten zu können, müssen sie uns aber zuerst von unserem Land weghaben. Dazu generieren sie den Krieg, damit wir unser Land verlassen. Einerseits, indem sie alle Gesetze, die uns schützen, abschaffen, andererseits mit Ermordungen durch Paramilitärs, das Militär (aussergerichtliche Hinrichtungen) und durch illegale bewaffnete Gruppen.“

Zur Frage, was er für eine Lösung zur aktuellen Situation und für eine friedliche Zukunft sehe, meint Abel, dass eine fundamentale Rolle der internationalen Gemeinschaft zufalle. Er sagt, dass wenn einerseits ausländische Regierungen und internationale Organisationen Druck auf die kolumbianische Regierung ausüben, man eine Wirkung im Land fühlen könne. „Wenn dieser Druck vorhanden ist, können wir eine friedliche Zukunft für Kolumbien sehen.“ Andererseits sei es auch sehr wichtig, dass internationale Organisationen als Beobachter vor Ort die Menschen begleiten. Ein weiteres Problem sind nämlich nationale Medien, welche laut Abel nur sehr einseitig informieren, weshalb es umso wichtiger ist, dass es andere Informationsquellen gibt.

Der letzte Punkt, den Abel anspricht, betrifft die ökonomische Hilfe, die aus westlichen Ländern nach Kolumbien gelangt. Es sei äusserst wichtig, dass das Geld direkt den Organisationen zugutekomme, die vor Ort im Feld arbeiten. Wenn der Weg zuerst über die Regierung führe, sei die Gefahr leider gross, dass die Ressourcen schlussendlich nicht dort ankommen, wo sie am dringendsten gebraucht werden.