Wie Korruption die Menschenrechte verletzt

Mai 28, 2019

Von Fabian Dreher

Korruption entzieht der öffentlichen Hand die notwendigen Mittel um ihre Aufgaben wahrzunehmen und verletzt damit die Rechte seiner BürgerInnen. Zudem zersetzt die Korruption das Vertrauen der BürgerInnen in den Staat und damit in die demokratische Ordnung der Gesellschaft. Zur Bekämpfung der Korruption bedarf es kritischer Medien und einer aufmerksamen Zivilgesellschaft, die korrupte Machenschaften an die Öffentlichkeit bringen und dafür sorgen, dass korrupte Beamte und PolitikerInnen ihre gerechte Strafe erhalten.

Der unabhängige Korruptionsbericht 2016-2018[1] des Bürgermonitorings (Monitor Ciudadano de la Corrupción) hat zwischen Januar 2016 und Juni 2018 327 Korruptionsfälle registriert. Bei 207 dieser Fälle wurden insgesamt 17,9 Billionen Pesos (ca. 5,4 Milliarden Schweizer Franken) veruntreut, dies entspricht etwa der Hälfte des staatlichen Bildungsbudgets für das Jahr 2018. Kein Wunder, sprachen sich über 98 Prozent der mehr als 11,6 Millionen Abstimmenden in einer Volksabstimmung im August 2018 für weitgehende Massnahmen gegen die Korruption aus. Weniger als 500‘000 Stimmen fehlten, um die Anliegen verbindlich in die Gesetze zu schreiben. Der politische Auftrag wäre also klar, jedoch gelang es dem Kongress seither nicht, auch nur ein einziges Gesetz zur Bekämpfung der Korruption zu verabschieden. Deswegen sind Initiativen wie das Bürgermonitoring[2] wichtig, um die Korruption zu bekämpfen.

45 Prozent der zwischen Januar 2016 und Juni 2018 registrierten Korruptionsfälle fanden in den bevölkerungsreichen Departementen Santander (14%), Atlántico (10%), Valle del Cauca (8%), Bolívar (7%) und Antioquia (6%) statt. Unter den Gemeinden stehen die Grossstädte Bogotá (7%), Barranquilla (7%), Bucaramanga (6%), Cartagena (6%) und Medellín (3%) an der Spitze. Anfällig für die Korruption ist dabei vor allem die lokale Verwaltung und Politik. 69 Prozent der Fälle fanden auf der Gemeindeebene statt, 25 Prozent in den Departementen und „nur“ 6 Prozent auf nationaler Ebene. Die geographische Verteilung hat jedoch auch stark mit der Datengrundlage des Monitorings zu tun. Denn die Fälle basieren auf Medienberichterstattungen. Unabhängige Informationsmedien konzentrieren sich jedoch stark in den urbanen Zentren, in ländlichen Regionen ist die unabhängige Berichterstattung in Kolumbien kaum gewährleistet. So sind z.B. die Departemente Guaviare, Guainía und Vaupés nicht automatisch frei von Korruption nur weil in ihnen zwischen 2016 und 2018 über keine, resp. nur über einen einzigen Korruptionsfall berichtet wurde. In diesen abgelegenen Regionen fehlt schlichtweg die unabhängige Berichterstattung, die ein Monitoring überhaupt erst ermöglichen würde.

Über 73 Prozent der Korruptionsfälle finden in der staatlichen Verwaltung statt. Die restlichen Fälle verteilen sich auf die private Korruption (9%), Korruption der Justiz (7%), politische Korruption (6%), Einvernahme des Staates (2%) und Andere (2%)[3]. Im Bereich der staatlichen Verwaltung sind vor allem die Bereiche betroffen, die über finanzielle Mittel verfügen: mit 46 Prozent steht dabei die öffentliche Auftragsvergabe an der Spitze, gefolgt von der Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen (19%) sowie der Verwaltung von Budget und öffentlichen Ausgaben (13%). Auch bei der Besetzung von öffentlichen Stellen und anderen administrativen Prozessen und Dienstleistungen werden oft Unregelmässigkeiten verzeichnet.

16 Prozent der Korruptionsfälle betreffen die Bildung, 15 Prozent den Bereich Infrastruktur und Transport und 13 Prozent das Gesundheitswesen. Dies sind gleichzeitig auch die Bereiche mit den grössten staatlichen Investitionen. 2018 waren 25 Prozent des Budgets Kolumbiens für das Gesundheitswesen vorgesehen (48,5 Billionen Pesos) sowie 20 Prozent für den Bildungssektor (38,2 Billionen Pesos). In den meisten Fällen ist das Ziel der Korruption die Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit. Es entspricht der Logik der Korruption, dass diese vor allem da stattfindet, wo viel Geld vorhanden ist und ausgegeben wird. So ging es in 29 Prozent der aufgezeichneten Korruptionsfälle um Summen von über 10 Milliarden Pesos (3 Millionen Schweizer Franken), in weiteren 38 Prozent der Fälle ging es um Summen zwischen 300‘000 und 3 Millionen Schweizer Franken.

69 Prozent der Korrupten sind öffentliche Angestellte, 39 Prozent Beamte und 30 Prozent gewählte PolitikerInnen. 41 Prozent der gewählten PolitikerInnen sind Gemeinderäte, 40 Prozent Bürgermeister, 10 Prozent Departementsgouverneure, 8 Prozent Abgeordnete und zwei Prozent SenatorInnen. Die Straflosigkeit sogar der öffentlich bekannten Korruptionsfälle ist erstaunlich tief, von 920 Untersuchungen zwischen 2016 und 2018 führten nur gerade 23 Prozent zu einer Verurteilung. Deutlich höher dürfte die Dunkelziffer liegen. Die meisten Korruptionsfälle werden gar nie gemeldet, so berichten auch die Medien nur über Fälle, bei denen Anklage erhoben wurde und ein öffentliches Interesse besteht.

Indem die Korruption der öffentlichen Hand Mittel entzieht, die sie zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Verpflichtungen benötigt, verletzt sie die Grund- und Menschenrechte der Bevölkerung. 59 Prozent der Korruptionsfälle verletzten dabei zwischen Januar 2016 und Juni 2018 die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte und 39 Prozent die bürgerlichen und politischen Rechte der kolumbianischen Bevölkerung. Bei den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten sind am häufigsten das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesundheit, das Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft, das Recht auf (Trink-)Wasser sowie das Recht auf öffentliche Dienstleistungen betroffen. 2009 zum Beispiel unterzeichnete die Departementsregierung der Guajira einen Vertrag für den Bau und die Verbesserung von 42 Schulen. Diese wurden jedoch nie gebaut. Bei den bürgerlichen und politischen Rechten betreffen Korruptionsfälle vor allem das Recht auf Leben, das Recht auf Sicherheit, Rechtsgleichheit, Meinungsäusserungs-, Versammlungs-, Bewegungs- und Religionsfreiheit, Zugang zur Justiz sowie die politische Beteiligung. So wurden im März 2018 während den Kongresswahlen mehrere PolitikerInnen wegen Stimmenkauf angeklagt. Der bereits in anderen Fällen verurteilte ehemalige Gouverneur von Córdoba, Alejandro Lyons versuchte durch Bestechung die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen ihn zu verhindern. Die Liste könnte lange fortgesetzt werden. Noch nicht aufgearbeitet ist der wohl grösste Korruptionsfall der kolumbianischen Geschichte rund um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht, in den auch der vor kurzem zurückgetretene Oberste Staatsanwalt Kolumbiens verwickelt ist.

Aus dem Bericht wird klar, dass die Korruption in Kolumbien ein weitverbreitetes strukturelles Problem ist. Keine staatliche Ebene, kein Politikfeld bleibt davon verschont. Je mehr Geld durch wenige Hände fliesst, desto anfälliger auf korrupte Machenschaften ist ein Politikbereich. Es geht jedoch bei der Korruption nicht immer nur um Geld. Mittels öffentlicher Auftragsvergabe werden die öffentlichen Investitionen kontrolliert und dadurch auch Bevölkerung und Territorium. Der Staat und seine öffentlichen Mittel werden für die eigenen Zwecke eingespannt und kontrolliert. Um diese Kontrolle sicherzustellen und fortzusetzen, werden Wahlen beeinflusst und manipuliert. Das beste Mittel im Kampf gegen die Korruption und die damit einhergehende Unterwanderung demokratischer Institutionen sind transparente öffentliche Ausschreibungen. Die Ausarbeitung von transparenten Prozessen für öffentliche Ausschreibungen und die öffentliche Auftragsvergabe steckt in Kolumbien noch in den Kinderschuhen. Ist es der Politik und der Regierung von Präsident Duque aber Ernst mit der Bekämpfung der Korruption, dann sollte ihre Priorität genau in diesem Gebiet liegen. Und an den Fortschritten in diesem Gebiet wird sich seine Regierung auch bei den Wahlen 2022 messen lassen müssen.

 

[1] Radiografía de los hechos de corrupción en Colombia 2016-2018: http://www.monitorciudadano.co/docs/asi_se_mueve_la_corrupcion.pdf

[2] Sämtliche Daten des Bürgermonitorings können unter http://www.monitorciudadano.co/ eingesehen werden.

[3] Die Typologie kann im erwähnten Bericht konsultiert werden (Seiten 88-90).