Unbequeme Wahrheiten in den neusten UNO-Berichten zu Kolumbien

Mrz 19, 2020

Von Lisa Alvarado

Im Februar wurden gleich zwei wichtige Berichte der UNO zu Kolumbien veröffentlicht: Der Bericht des Sonderberichterstatters für MenschenrechtsverteidigerInnen Michel Forst sowie der Jahresbericht 2019 des Hochkommissariats für Menschenrechte (UNHCHR). Beide Berichte wurden von der Regierung Duque scharf kritisiert und zurückgewiesen. Dieser Artikel zeigt Gemeinsamkeiten und Reaktionen auf.

Die Journalistin María Paulina Baena hat es gut zusammengefasst: „Letzte Woche haben wir gesehen, wie die Regierung Duque sich super beleidigt fühlte durch das Menschenrechtsbüro der UNO, weil sie uns die Wahrheit über Kolumbien gesagt haben: Wir befinden uns im Paradies der Gewalt.“ [1]

Am 4. März 2020 präsentierte der Sonderberichterstatter Michel Forst seinen Bericht zur Situation der MenschenrechtsverteidigerInnen (MRV) in Kolumbien vor dem Menschenrechtsrat der UNO in Genf. Sein Dokument hatte im Voraus Ablehnung der kolumbianischen Regierung erfahren und laut Forst hatte die Regierung ihm 2019 sogar den Zutritt ins Land verweigert, damit er den Bericht hätte vervollständigen und eine aktualisiertere Version der Situation präsentieren können. Genau diese negative Reaktion der Regierung in Kolumbien war eines der am meisten angesprochenen Themen in der Session am 4. März. Forst selbst erinnerte daran, dass sein Mandat darin besteht, den Staaten mit Beratung und Kooperation zum Thema Menschenrechte zur Seite zu stehen. Gleichzeitig dankte er den Ländern, die ihn während seines Mandats unterstützt hatten. Forsts Bericht erhielt von diversen NGO breite Unterstützung. Diese forderten die kolumbianische Regierung dazu auf, die Empfehlungen des Berichts, welche sich hauptsächlich um die Umsetzung des Friedensabkommens drehen, umzusetzen. Gustavo Gallón, Direktor der kolumbianischen Juristenkommission (CCJ) meinte dazu: „Anstatt sich gegen den Sonderberichterstatter aufzulehnen sollte die Regierung besser seine Empfehlungen umsetzen. So sollten sie ihr Engagement zur Umsetzung des Friedensabkommens bestätigen, dessen Umsetzung priorisieren, die nötigen Ressourcen dazu freigeben und die Mechanismen zum Schutz von MRV stärken. Wichtig ist auch, den Kampf gegen die Straflosigkeit weiter zu priorisieren.“ Gallón bezeichnete es zudem als unverantwortlich, dass die Regierung das Hochkommissariat für Menschenrechte wie auch Forst beleidigt habe und fand, der Menschenrechtsrat sollte sich diesbezüglich äussern. 

NGO und Netzwerke wie OIDHACO unterstützten den Bericht von Forst ebenfalls vehement. Auch der Ombudsmann Carlos Alfonso Negret anerkannte die Schlüsse des Berichts als gewichtig und der Realität entsprechend. Er betonte, dass die Beziehung zwischen dem Sonderberichterstatter und der Ombudsstelle (Defensoría del pueblo) sehr konstruktiv gewesen sei, und auch zur institutionellen Stärkung der Ombudsstelle geführt habe. 

Die ganze Polemik, die von der Regierung als Reaktion auf den Bericht kreiert wurde, basierte – wie zu Beginn des Artikels dargestellt – darauf, dass Forst ein dunkles Bild für MRV in Kolumbien gezeichnet hatte. Sein Bericht besagt, dass Kolumbien weltweit die höchste Zahl an ermordeten MRV zu verzeichnen hat. Zudem zeigt der Bericht, dass die grosse Mehrheit der MRV in Gefahr ist wegen dem Handeln von staatlichen sowie nicht-staatlichen Akteuren (dazu zählen auch nationale und transnationale Firmen). MRV werden in der Gesellschaft kriminalisiert und stigmatisiert. 

Gerade im Umfeld dieses Berichts glänzte die Innenministerin Alicia Arango wieder einmal mit einem Paradebeispiel. [2] Sie sagte an einem Kongress zum Schutz des Lebens im Putumayo, dass in Kolumbien mehr Personen wegen Handyklau sterben als wegen ihrer Arbeit als soziale Führungspersonen. Forst meinte dazu, dass er solch verantwortungslose Aussagen bedaure, gerade wenn sie von einer amtierenden Ministerin kämen. Er habe bei seinem Besuch 2018 über genau dieses Thema der Stigmatisierung mit Duque gesprochen, worauf dieser versicherte, dieses Thema in einer Ministerratssitzung anzusprechen und die Regierungsmitglieder aufzufordern, konsistent zu sein in ihrer Unterstützung der MRV und keine Stigmatisierungen in öffentlichen Verlautbarungen vorzunehmen. Ist wohl nicht an alle Ohren gelangt, diese Aufforderung. 

Die Reaktion der kolumbianischen Botschafterin vor der UNO, Adriana Mendoza, war dann wider Erwarten mild. Sie äusserte zwar einige Vorbehalte, versicherte aber, dass Kolumbien sein Engagement mit der UNO aufrechterhält. Ihrem Beruf entsprechend meinte sie diplomatisch, dass die kolumbianische Regierung die Empfehlungen des Sonderberichterstatters dazu nutzen will, den Schutz und die Förderung der Menschenrechte voranzutreiben. „Der kolumbianische Staat hat sich zu Unstimmigkeiten in dem Bericht geäussert, die auf die Notwendigkeit hinweisen, die Zahlen zu vergleichen, die Informationen mit offiziellen Quellen zu überprüfen, die Behauptungen auf überprüfbare Daten zu stützen und zu bestätigen, ob die ihm zur Kenntnis gebrachten Beschwerden den zuständigen Behörden gemeldet wurden.“ meinte Mendoza weiter. Wie ein Artikel von La Silla Vacia zeigt, können Zahlen auf unzählige Arten in Statistiken gepresst werden. Auch die Interpretation der Statistiken lässt grosse Freiheit offen. Nur weil der Bericht nicht dieselben Quellen (nationale Ombudsstelle, UNHCHR [3], Somos Defensores) zu Rate zieht wie die Regierung (UNHCHR, unbenannte NGO, Generalstaatsanwaltschaft, nationale Menschenrechtsinstitution) bedeutet es nicht, dass der Bericht weniger Wert ist. Ausserdem hat die Regierung in ihrer Antwort auf den Bericht wiederholt geschrieben, die Angaben seien zu wenig genau, allerdings in einem Fall darauf hingewiesen, dass zu genaue Angaben die betroffenen Personen in Gefahr bringen könne und dies deshalb unverantwortlich sei. 

Der zweite UNO-Bericht, der vor Kurzem veröffentlicht wurde, zeichnet ein ähnlich dunkles Bild für die Menschenrechte. Der Jahresbericht 2019 des Hochkommissariats für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNHCHR) verweist auf 36 Massaker mit 133 Toten, sowie auf 108 Tötungsdelikte an MenschenrechtsaktivistInnen. [4] Dazu kommen schwere Menschenrechtsverletzungen durch Militär und Polizei, die Anlass zur Sorge geben. In Bezug auf die landesweiten Proteste, die ab Oktober 2019 stattgefunden haben, zeigt der Bericht, dass sich Mitglieder des ESMAD [5] nicht an internationale Normen und Standards gehalten haben. Ausserdem berichtet das UN-Büro über 23 Angriffe der Polizei auf Journalisten, die bei den Demonstrationen berichteten. Auch Morde und Anschläge auf Journalisten wurden verzeichnet. 

Wie auch der von Forst beinhaltet dieser Bericht im letzten Kapitel Empfehlungen, die zur Verbesserung der Menschenrechtssituation im Land führen sollen. Unter anderem empfiehlt das UNHCHR, die Aufsicht der Polizei an das Innenministerium zu übertragen. Aktuell untersteht die Polizei dem Verteidigungsministerium. 

Dies kam der kolumbianischen Regierung sehr in den falschen Hals und Duque sprach von einer Einmischung in die Souveränität Kolumbiens. Dass es sich lediglich um Empfehlungen handelte, scheint er in seiner Aufregung vergessen zu haben. So wurde der Hochkommissarin Michelle Bachelet zu ihrer formellen Präsentation des Berichts in Genf ein Dossier vom kolumbianischen Aussenministerium zugestellt, worin man bedauerte, dass ihr Büro „die Gelegenheit zur Erstellung eines vollständigen, ausgewogenen und umfassenden Berichts verstreichen liess“. Auch hier versuchte die Regierung also, den Bericht zu deslegitimieren. Verteidigungsminister Carlos Holmes Trujillo sagte aus, dass der Bericht unpräzise Aussagen enthalte und die Legitimität der kolumbianischen Institutionen angreife. Dass er damit auch die Legitimität des Berichts und somit des UNHCHR infrage stellt, scheint für ihn nichts zur Sache zu tun. 

Die UNO gab Ende Februar eine Antwort auf diese Anschuldigungen in Form einer Pressemitteilung. Darin betonen sie, dass sie seit 60 Jahren in Kolumbien präsent sind, immer mit dem Ziel, zu einer nachhaltigen Entwicklung und zur Friedensbildung des Landes beizutragen. Ihre Berichte böten dabei konstruktive Empfehlungen aus verschiedenen Perspektiven.

Der Journalist Carlos Guevara fordert in einem Artikel auf Razon Pública dazu auf, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und dies sei nicht die Reaktion Duques. Es gehe um die Resultate der Berichte, die erschreckend sind und zum Handeln auffordern. Obwohl die Regierung gewisse Dinge in die Hand nimmt, wie es in den Berichten auch anerkannt wird, ist es zu wenig. Die Reaktivierung von Konflikten in Regionen wie Nariño, Cauca, Antioquia, Arauca oder Catatumbo, die fehlende staatliche Präsenz in ruralen Gebieten (abgesehen vom Militär), die steigende Zahl an Massakern, Anschlägen und Entführungen sowie die konstante Gewalt gegen MRV fordern stärkere Massnahmen. Und solange die Regierung keinen stärkeren Willen zeigt, sich dagegen einzusetzen, werden wohl weiterhin solche Berichte entstehen. 


[1] https://www.youtube.com/watch?v=PY-u8eVxbvk
[2] Hintergrundsendung zu Arango von La Pulla: https://www.youtube.com/watch?v=3zUvVqILou0
[3] Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte der UNO
[4] https://amerika21.de/2020/03/238022/kolumbien-uno-massaker-bericht-unhchr?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily
[5] Sondereinheit zur Aufstandsbekämpfung