Menschenrechtsverteidiger im Cauca in Gefahr

Jun 3, 2021

Der Verteidigungsminister Diego Molano Aponte verkündete am 15. Mai 2021, dass Mitglieder der FARC-Dissidenz hinter den Attacken gegen die Polizeistation und das Institut für Rechtsmedizin stecken und nannte vier angebliche Anführer und Verantwortliche – alias «Cheto», alias «Maíz», alias «Caleño» und alias «Andrés». Er setzte eine finanzielle Entschädigung von bis zu 50 Millionen kolumbianische Pesos (ca. 12.200 CHF) für Hinweise an, welche der Aufklärung des Sachverhalts dienen. Diese Aussagen wurden sowohl von den sozialen Organisationen, als auch vom Gouverneur des Cauca, Elías Larrahondo Carabalí abgelehnt, da zumindest die ersten drei genannten Personen als soziale Aktivisten anerkannt sind.

Diese Anschuldigungen widersprechen einem fairen Verfahren und gefährden das Leben und die physische Integrität der genannten Personen. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission lehnt die beschuldigenden und stigmatisierenden Aussagen ab und erinnert den Staat an seine Pflicht, die Respektierung des Rechts auf Verteidigung der Menschenrechte zu fördern.

Hier sind drei Videos von den beschuldigten Menschenrechtsverteidigern, in denen sie erklären, was ihre Arbeit ist und weshalb sie das tun:

Indepaz hat ein Communiqué verfasst, in dem sie das Vorgehen des Verteidigungsministers kritisieren und eine Aufklärung der Tatsachen fordern. Hier eine Übersetzung auf Deutsch, das Original ist im Pdf zu finden.

Der Verteidigungsminister Diego Molano Aponte, machte nach einer Sitzung vom 15. Mai 2021 zur Sicherheitslage in Popayán, vier junge Menschen für den Brand einer Polizeistation verantwortlich und bezeichnete sie als Terroristen, welche die Pläne von illegalen bewaffneten Gruppen ausführen. Im Wortlaut des Ministers:

Laut ersten Informationen gehen wir davon aus, dass Mitglieder der FARC-Dissidenz hinter dieser Attacke stehen, Delinquenten der Kommunen 5 und 6 in Popayán. Einige ihrer Anführer wurden als Verantwortliche der Vandalenakte identifiziert: Alias Andrés, Alias Cheto, Alias Maíz und Alias Caleño und es wird eine finanzielle Entschädigung von bis zu 50 Millionen kolumbianische Pesos (ca. 12.200 CHF) für Hinweise angesetzt, welche zur Klärung dieses Terroristenattentats führt, der die Stadt und die staatlichen Institutionen schädigt.

Diese Anschuldigungen widersprechen einem fairen Verfahren und gefährden das Leben und die physische Integrität der genannten Personen. In der Praxis entsprechen diese Anschuldigungen im Zusammenhang mit der hohen finanziellen Entschädigung einem Freifahrtschein für deren Festnahme und Ermordung, in derselben Weise, wie dies mit Mitgliedern der FARC-Dissidenz geschieht.

INDEPAZ lehnt dieses standrechtliche Vorgehen gegen jegliche Person ab und verlangt in diesem Fall die Respektierung der Rechte der genannten Personen. Drei von ihnen sind anerkannte Menschenrechtsverteidiger, mit denen INDEPAZ Aktivitäten zur Erinnerungskultur und für den Frieden durchgeführt hat.

José Daniel Gallego ist Studentenführer, Philosophiestudent der Universität Cauca, Mitglied des Menschenrechtskollektivs „Arando Semillas para la Paz“, der Arbeitsgruppe für sexuelle Diversität in Popayán, der Menschenrechtskommission der Universität Cauca und des Studentenkolletivs Tuto González Posso. Ein anerkannter Menschenrechtsverteidiger und engagiert für den Frieden. Er war der Organisator eines öffentlichen Events in Popayán am vergangenen 4. März, zusammen mit dem Dachverband der Studenten (FEU) in Erinnerung an den Studenten Tuto González, der vor 50 Jahren im Rahmen einer Demonstration ermordet wurde.

Andrés Maiz Sánchez ist ein Indigener Nasa vom Resguardo de Julimito und Mitglied des CRIC, des indigenen Dachverbandes des Cauca. Auch er ein anerkannter sozialer Aktivist, der Bauerngemeinschaften, AfrokolumbianerInnen, urbane Sektoren und diverse andere Personan vereint. Er ist Gründungsmitglied des Netzwerks traditioneller Köche „Mesa Larga“, Hüter ursprünglichen Saatgutes und arbeitet zusammen mit den sozialen Organisationen PUPSOC und Marcha Patriótica. Als LGBTIQ-Aktivist ist er auch Teil der Vereinigung „Orgulleces y visibles“. Er hat bei der Netzwerkarbeit für eine Erinnerungskultur teilgenommen, welche Indepaz zusammen mit der Departamentsregierung und er Universität Cauca erarbeitet hat.

Andrés Duque ist ein Sozialaktivist, welcher in verschiedenen Vierteln der Stadt Organisations- und Solidaritätsaktionen durchgeführt hat. Er ist Teil der Vereinigungen „Periferia Crítica“ und „Corporación Sinaí“.

Wer mit dem vierten genannten Alias gemeint sein könnte, ist noch nicht geklärt.

Die genannten Personen als Terroristen und Anführer einer bewaffneten Gruppierung zu bezeichnen, welche angeblich 52 Gewehre und andere offizielle Waffen gestohlen haben soll, bringt die Männer in Lebensgefahr. Mit diesem Vorgehen und der Ankündigung der Militarisierung der Stadt sowie unerbittlichem Vorgehen seitens der Spezialpolizei ESMAD, wird bei der Bevölkerung Angst und Terror gesäht Ausserdem wird damit ein Kriegsszenario und militärisches Vorgehen zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung sowie gegen die Demonstrationen in Popayán gerechtfertigt.

Keine Protestaktion noch eine gewalttätige Aktion seitens unbewaffneter Zivilpersonen rechtfertigt den Einsatz von Schusswaffen oder anderem angeblich nichtletalem Kriegsmaterial seitens des Staates, welches schwere Verletzungen hervorrufen oder sogar tödlich sein kann, wie im Fall des am 14. Mai 2021 getöteten Sebastián Quintero Múnera. Die Zerstörung öffentlicher Eigentums sowie die Aggressionen gegen die Polizei sind zu verurteilen und werden weder von INDEPAZ noch von den Organisatoren der friedlichen Proteste gutgeheissen. Allerdings möchten wir hervorheben, dass der  unverhältnissmässige und willkürliche Gebrauch der Gewalt seitens der Sicherheitskräfte der Hauptfaktor für die Gewalt und den Terror im Rahmen Proteste in Popayán ist.

INDEPAZ möchte die Menschenrechtsorganisationen, das Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte der UNO in Kolumbien, die Interamerikanische Menschenrechtskommission und die gesamte internationale Gemeinschaft auf die schwerwiegende Situation in Popayán aufmerksam machen. Es ist äusserst gravierend, wenn Zivilpersonen und MenschenrechtsverteidigerInnen als Militärziele deklariert werden und gleichzeitig die Verantwortung der Sicherheitskräfte in Bezug auf unverhältnismässige Gewaltanwendung gegen Protestierende heruntergespielt wird, wie es der Fall des Ermordeten Sebastián Quintero Múnera und die sexuellen Missbräuche gegen Jugendliche zeigen.

Wir möchten der Familie von Sebastián Quintero Múnera, dem Colegio Mayor del Cauca (Gymnasium) und den EinwohnerInnen von Popayán unsere Solidarität ausdrücken.