Las Pavas – Die Geschichte wiederholt sich
Von Felicitas Fischer
Der Prozess um die Hacienda Las Pavas ist einer der berühmtesten Landprozesse Kolumbiens mit einer Strahlkraft, die weit über die Grenzen Kolumbiens hinausreicht. Mehrere NGOs unterstützen die von Armut, Gewalt und Vertreibung bedrohten Bauernfamilien mit Projekten zur Verbesserung ihrer Lebensgrundlage, die Universidad Javeriana aus Bogotá leistet rechtliche Beihilfe. Seit fünfzehn Jahren ersuchen die 123 Familien, welche Mitte der 90er Jahre begonnen hatten das brach gelegene Land der Hacienda Las Pavas zu bewohnen und bewirtschaften, die rechtliche Anerkennung der von ihnen genutzten Parzellen. Trotz positiver rechtlicher Schritte für die Kleinbauern in Las Pavas, „Paveros“ genannt, und trotz ihrer Auszeichnung mit dem nationalen Friedenspreis kehrt die Gewalt immer wieder zurück nach Las Pavas, mit sich wiederholenden Mustern.
Es gibt die offizielle, juristische Ebene des Konflikts um die rechtmässige Besitzerin des Landes. Und es gibt die Realität der Gewalt und der Konfrontationen vor Ort. Obwohl sich beide Ebenen in gewisser Weise gegenseitig bedingen, hat manchmal erstere nichts mit der tatsächlich gelebten Erfahrung auf der Hacienda zu tun. Dies zeigte sich am 4. Februar 2020 erneut auf brutale Weise. Erst am 14. Januar 2020 hatte das oberste Verwaltungsgericht Kolumbiens, der Consejo de Estado, zum wiederholten Male bestätigt, dass die Hacienda Las Pavas staatliches Brachland ist, also nicht in Privatbesitz übergehen könne. Ein äusserst positives Signal für die Kleinbauern und eigentlich ein Grund zu feiern. Die Realität vor Ort zeichnet jedoch ein anderes Bild: Am Nachmittag des 4. Februars wird ein in Las Pavas stehendes Holzhaus, das Emiliano Alvear und seiner vierköpfigen Familie gehört, komplett niedergebrannt. Werkzeuge, Schlafzimmer, Küche, nichts davon bleibt erhalten. Die Zäune, die das Grundstück von Alvear abgrenzen sind niedergerissen, alle Gänse und Hühner gestohlen. Für die Kleinbauern ist klar wer die Täter sind: Arbeiter der Palmölfirma Aportes San Isidro, die sich als rechtmässige Besitzerin des Landes sieht, angeführt von ihrem Handlanger Mario Marmol. Nur wenige Tage zuvor hatte dieser zusammen mit vier weiteren Männern Emilianos Bruder Tito bedroht. Ein Vergeltungsschlag, der sich einreiht in eine lange Geschichte der Schikanen und unterschwelligen Gewalt gegenüber den Paveros.
Und eine erschreckende Wiederholung der Ereignisse, die sich erst ein Jahr zuvor zugetragen haben. Am 30. Januar 2019 wurden gleich drei Holzhütten von Kleinbauern niedergebrannt, die Zäune zerstört und das Vieh auf die Felder getrieben, um die Ernte zu zerstören. Auch dies kam als Reaktion auf einen positiven Entscheid für die Kleinbauernfamilien. Das oberste Verwaltungsgericht hatte einen Rekurs abgelehnt, den das Palmölunternehmen gegen die Enteignung von 2012 eingelegt hatte. Während sich der juristische Prozess immer mehr zu Gunsten der Kleinbauernorganisation ASOCAB zu entwickeln scheint, gehören Unsicherheit, Bedrohung und Gewalt, illegal gepflanzte Palmen und Konflikte innerhalb der Gemeinschaft noch immer zum Alltag der Paveros. Begleitet wird diese Realität von einem fahlen Geschmack der Vernachlässigung jeglicher staatlicher Behörden und der bitteren Tatsache der Straflosigkeit, die in Kolumbiens abgelegenen Regionen herrscht.
Der Landkonflikt um Las Pavas zeigt beispielhaft auf, womit Kolumbiens ländliche Bevölkerung seit Jahrzehnten zu kämpfen hat: einem undurchsichtigen und widersprüchlichen Rechtsapparat, sich scheinbar endlos wiederholender Gewalt, und latent darunterliegend: einer alarmierenden Straflosigkeit.
Wenn man sich die rechtliche Geschichte von Las Pavas anschaut, kann man wirklich den Eindruck bekommen, die rechte Hand des Staates wisse nicht was die linke tut, oder wolle es nicht wissen. Im Jahr 2005 initiieren die 123 Familien den Prozess für die Anerkennung des Landes als Brachland mit der Berechtigung, es zu bewohnen und bewirtschaften. Als ersten Schritt braucht es dafür eine Besitzrechterlöschung (extinción de dominio) des ehemaligen Besitzers, eines Onkels von Pablo Escobar. Dies ist nach kolumbianischem Recht möglich sofern der Besitzer sein Land mindestens drei Jahre brach liegen lässt und es danach mindestens fünf Jahre lang von jemand anderem bewohnt wurde. Da Escobar die Hacienda nach der Festnahme seines Neffen verlassen hatte und die Kleinbauern Las Pavas seit 1994 besiedeln, wird dieses Kriterium erfüllt. Incoder, die damalige Behörde für ländliche Entwicklung, bestätigt 2006 den Kleinbauern, dass sie seit mindestens sechs Jahren das Land bewohnen. Dummerweise vergisst einer der Funktionäre jedoch, eine Unterschrift unter den Entscheid zu setzen, was allerdings erst im Jahr 2010 auffliegt.
Die Kleinbauern werden als Reaktion auf den positiven Entscheid von bewaffneten Männern von der Hacienda vertrieben. Bereits zum zweiten Mal: lediglich drei Jahre zuvor, 2003, hatte Escobar seinen Stellvertreter Gustavo Sierra damit beauftragt, die Bauern zu vertreiben, um das Land verkaufen zu können. Was dieser mit Hilfe von Paramilitärs des Bloque Central Bolívar der AUC, sowie des genannten Mario Marmol, auch tat. Tatsächlich kam es nun nach der zweiten gewaltsamen Vertreibung zu einem Kaufvertrag Escobars mit einem Palmölfirmenkonglomerat. Ein Vertrag, der im Nachhinein illegal erklärt wurde, genauso wie die Pflanzungen der Ölpalmen auf dem Gebiet der Hacienda, die darauf folgten.
Ebenso verhält es sich mit einer polizeilichen Räumung, die die Firma als vermeintliche Besitzerin gegenüber den „besetzenden“ Kleinbauern 2008 verlangte. Das lokale Gericht in San Martín de Loba annulliert die Räumung, worauf der Entscheid weitergezogen wird und das Gericht in Mompox die Räumung wieder legalisiert. Zum dritten Mal werden die Bewohner*innen von Las Pavas gewaltsam vertrieben, diesmal vom Staat. Die Organisation der Kleinbauern von Las Pavas ASOCAB verlangt eine Revision der Vorfälle und 2011 wird die Räumung vom obersten Verfassungsgericht dann nachträglich als illegal deklariert.
Zu spät für die Paveros, die die gewaltsamen Vertreibungen wiederholt haben über sich ergehen lassen müssen. Während der kolumbianische Rechtsapparat Lücken und Grauzonen produziert, materialisieren sich vor Ort brutale Tatsachen. Tatsachen wie die Palmen, die seit 2008 reihenweise auf dem Gebiet stehen und von Jahr zu Jahr gigantischer werden. Tatsachen wie die Konfrontationen zwischen Palmölarbeitern und Kleinbauern, wie das Verbrennen und die Zerstörung der Lebensgrundlage der Paveros. Tatsachen wie der Begleitschutz, der zwei Wortführern von ASOCAB rund um die Uhr zur Verfügung gestellt werden musste. Selbst richtungsweisende positive Entscheide wie 2012 die Anerkennung eines Grossteils der Fläche (1339 ha) als staatliches Brachland und die Bestätigung der Besitzenteignung weiterer 1290 ha, oder der Gerichtsentscheid vom Januar 2020 scheinen nichts an der sich wiederholenden Gewalt zu ändern.
Nährboden für diesen sich schier endlos wiederholenden Kreislauf aus (teils widersprüchlichen, teils vielversprechenden) Rechtsprechungen und gewaltsamen Vergeltungsschlägen ist die in Kolumbien herrschende Straflosigkeit. Gemäss des globalen Straflosigkeitsindexes befindet sich Kolumbien auf Platz 8 von 59 berücksichtigten Ländern. Besonders in den ländlichen Regionen Kolumbiens werden Verbrechen kaum geahndet. Folglich bleiben auch die Bedrohungen und Aggressionen gegen die Familien und deren Besitz in Las Pavas trotz unzähliger Anzeigen ohne rechtliche Konsequenzen.
So ist es beispielsweise eine Realität, dass dieselbe Person, die 2003 zusammen mit Paramilitärs des Bloque Central Bolívar die Kleinbauern gewaltsam aus Las Pavas vertrieben hatte heute von den Paveros als Drahtzieher der Brandstiftung im Februar 2020 identifiziert wird: Mario Marmol. Dieser sass für die Vertreibung von 2003 zwei Jahre lang im Gefängnis, wurde aber im Dezember 2018 freigesprochen, da das Gericht von Cartagena beschied, dass es 2003 doch keine gewaltsame Vertreibung durch Paramilitärs gegeben habe. Obwohl dies der Meinung des obersten Verfassungsgerichtes widerspricht, kam Marmol frei und lebt seit zwei Jahren erneut in einem von Aportes San Isidro errichteten Haus auf der Hacienda Las Pavas.
Diese Tatsache zeigt einen weiteren besorgniserregenden Faktor auf: Nicht nur lässt die Polizeiarbeit vor Ort zu wünschen übrig, die kolumbianischen Behörden scheitern zudem daran, Verbrechen der Vergangenheit aber auch der Gegenwart, in einem Kontext viel breiterer krimineller Netzwerke und paramilitärischer Machenschaften zu sehen. Netzwerke, die auch heute noch in weiten Regionen des Landes aktiv sind. Spricht man mit den Bewohner*innen in Las Pavas und dem benachbarten Buenos Aires, markieren Paramilitärs auch heute noch regelmässig Präsenz in der Region. So erzählen Bewohner*innen beispielsweise, dass zwei Männer mit Abzeichen der AGC (Autodefensas Gaitanistas de Colombia) im Dezember 2019 in Buenos Aires auftauchten und nach dem Aufenthaltsort verschiedener Wortführer der Gemeinde fragten, vermutlich, um diese einzuschüchtern – oder Schlimmeres. Während solche Einschüchterungen vonseiten krimineller Netzwerke nicht direkt etwas mit den Entwicklungen des Landprozesses in Las Pavas zu tun haben müssen, zeigen sie dennoch auf, in welchem Kontext der systematischen Kriminalität die kolumbianische Bevölkerung noch immer lebt. Zu oft wird die Straflosigkeit in Kolumbien dadurch verstärkt, dass die Regierung sich dagegen sträubt, lokale Verbrechen in Verbindung mit den Machenschaften bewaffneter Gruppierungen zu sehen. Die unzähligen politisch motivierten Morde an sozialen Wortführer*innen im Land, die nicht selten als „einfache“ Kriminalität abgetan werden, bestätigen diese Tendenz.
Die rechtlichen Schritte in Richtung der Legalisierung des Besitzanspruches der Paveros in Las Pavas sind wichtige Errungenschaften. Solange die Regierung jedoch Straflosigkeit walten lässt, die Existenz des andauernden bewaffneten internen Konflikts aberkennt, organisiertes Verbrechen von rechts weiterhin als gemeinrechtliche Kriminalität abtut und Gewalt – sowohl zu Zeiten des Bürgerkriegs als auch in der Gegenwart – nicht systematisch aufarbeitet, werden Unsicherheit und Angst für die Kleinbauernfamilien eine traurige Realität bleiben.