Die Minga Indígena im Zentrum breiter Proteste – Duque kneift

Nov 3, 2020

Von Lisa Alvarado

«Wenn wir still sind, töten sie uns und wenn wir sprechen auch. Also sprechen wir.»

Gut 600 km haben Indigene, Afrokolumbianerinnen und Kleinbauern zurückgelegt, um in Bogotá mit Präsident Duque über ihre inakzeptable Situation zu sprechen. In Caloto, Cauca ist die Minga Indígena [1] gestartet, hat zuerst einen Zwischenhalt in Cali eingelegt und ist dann bis in die Hauptstadt gefahren unter dem Motto: Kommt der Präsident nicht zu uns, fahren wir zu ihm. Unterwegs haben sich auch Afrokolumbianerinnen und Kleinbauernorganisationen der Minga angeschlossen, sodass es keine reine Minga Indígena mehr ist, definitiv aber eine Minga für das Leben und den Frieden. 

Führungsstäbe in der Hand, Whipala-Fahnen auf dem Rücken und traditionelles Essen im Gepäck haben die TeilnehmerInnen der Minga  den langen Weg nach Bogotá auf sich genommen. In Chivas (alten Bussen, die heute teilweise auf dem Land oder für Touristen noch benutzt werden) sind sie zuerst bis nach Cali gefahren. Dort wollten sie Präsident Duque auf halbem Weg in die Hauptstadt treffen. Dieser sandte aber nur eine Delegation aus MinisterInnen, angeführt von der Innenministerin Alicia Arango. Damit waren die Mitglieder der Minga nicht einverstanden; sie empfanden es als Beleidigung, dass Duque sich nicht persönlich mit ihnen treffen wollte. Zudem argumentierten sie, dass bei früheren Mingas, wo mit Ministern verhandelt worden war, die Abmachungen nicht eingehalten wurden und Versprechen nie eingelöst. Deshalb wurde beschlossen, die Minga nach Bogotá fortzusetzen. Wie zu erwarten war betonte Innenministerin Arango, dass sie nie aufgehört hätten, den Indigenen zuzuhören und dass die Regierung grosse Anstrengungen unternommen habe, ihre Forderungen zu erfüllen. Konkrete Beispiele blieben aus. Die zentralen Forderungen der Minga beziehen sich auf vier Punkte: Die Verteidigung des Lebens, das Recht auf ihr Territorium, die Demokratie und den Frieden.  Alles Punkte, die sie schon lange fordern, und die Regierung bisher nicht (genügend) erfüllt hat. Es sind auch alles Forderungen, die nicht bloss Indigene betreffen. Es sind auch Argumente, die das Komitee des Nationalstreiks anführt, der am Mittwoch, 21. Oktober wieder stattgefunden hat.  Neben den Forderungen nach dem Ende der anhaltenden Morde gegen soziale Führungspersonen sowie Reformen in den Bereichen Gesundheit, Wirtschaft und Bildung wurde am Streik auch eine Neuverhandlung des Notfallplans für die COVID-19 Krise gefordert. Kritisiert wurde dabei, dass bisher nur der Finanzsektor und die Regierung selbst von den Massnahmen profitiert hätten. Während des siebenmonatigen Lockdowns wurden 164 Dekrete erlassen, die unter anderem Steuersenkungen für Grossunternehmen und gleichzeitig Kürzungen im Gesundheits- und Sozialsystem vorsehen. Zudem blieben auch die Forderungen des nationalen Streiks des letzten Jahres bis heute unbeantwortet. 

Auf sozialen Medien wurde die Minga stark stigmatisiert. Es wurde argumentiert, die Indigenen wollten Bogotá angreifen, Zerstörung bringen und Unruhe stiften. Neben Anschuldigungen als Drogenhändler gab es auch andere krass rassistische Aussagen über faule Indios, die immer nur mehr von der Regierung verlangen, aber selber nichts leisten.  Doch auf dem Weg nach Bogotá wurde diese Deslegitimierung geschwächt durch die riesige Unterstützung, die die Minga von der lokalen Bevölkerung erhielt. Sie wurden an vielen Orten freundlich willkommen geheissen und angefeuert[2]. In Bogotá schliesslich setzte sich die Bürgermeisterin Claudia López dafür ein, dass die Minga von ihrer eigenen Guardia Indígena begleitet wird, und nicht vom ESMAD, wie es von Vertretern des Centro Democrático gefordert wurde[3].

Am 19. Oktober erreichte die Minga in Bogotá die Plaza Bolívar und forderte wiederum ein Treffen mit Ivan Duque. Eine Delegation von ca. 8’000 Personen fand sich dann auf dem Areal des Palacio de los Deportes ein, wo unter der Aufsicht von Claudia López auch Zelte aufgestellt und Hygienemassnahmen ergriffen wurden (sanitäre Anlagen, Händedesinfektion, etc).  Duque hingegen kommunizierte, niemand könne argumentieren, dass es Menschenansammlungen brauche, um mit der Regierung zu kommunizieren. Seine Regierung sei immer offen für Dialog gewesen und die Minga könnte zu einem erneuten Ausbruch von COVID-19 beitragen.  Somit stigmatisierte auch er die Minga. 

Schlussendlich traf sich Duque weder mit Vertretern der Minga noch des nationalen Streiks. Sein Stuhl blieb leer und sorgte auf sozialen Medien mit ausdrucksstarken Bildern für Diskussionen. 

Parallel zum Streik fand noch die Beerdigung von Juan de Jesús Monroy statt, ein Mitglied der FARC-Partei. Er und sein Leibwächter wurden am vorhergehenden Wochenende ermordet. Zuvor hatte Duque noch nach einer gemeinsamen Teilnahme an einem Treffen vor laufender Kamera gesagt, dass Monroy für sein Engagement den Schutz des Staates geniesse. 

[1] Das Wort Minga ist Kichwa und bedeutet gemeinsame Arbeit für die ganze Gemeinschaft. In diesem Sinne fordern die TeilnehmerInnen der Minga Rechte für alle KolumbianerInnen.
[2] https://twitter.com/FelicianoValen/status/1317105874549264389
https://twitter.com/FelicianoValen/status/1317195567865495553
https://twitter.com/FelicianoValen/status/1317541040535064576
https://twitter.com/FelicianoValen/status/1317842045076123649
https://twitter.com/FelicianoValen/status/1317953326722461706
[3] https://twitter.com/Bogota/status/1317867498256146433
https://twitter.com/ClaudiaLopez/status/1317953202550132740