Glencore gegen Kolumbien – ein süss-saures Urteil

Apr 22, 2020

Von Stephan Suhner

Obwohl ein internationales Schiedsgericht den kolumbianischen Staat dazu verurteilte, eine Millionensumme an Glencore zu bezahlen, ist es ein für Kolumbien günstiges Resultat. Warum?[1]

Am 27. August 2019 wurde das erste Urteil eines Schiedsgerichtes gegen Kolumbien gestützt auf ein bilaterales Investitionsschutzabkommen veröffentlicht. Das Internationale Zentrum für Schiedsverfahren bei Investitionsstreitigkeiten ICSID beschloss, dass Kolumbien Glencore 19,1 Millionen USD zurück bezahlen muss. Das Urteil[2] stützt sich auf das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen der Schweiz und Kolumbien. Trotzdem ist dieses Urteil ein Erfolg für Kolumbien und die Nationale Behörde zur juristischen Verteidigung des Staates (ANDJE), da sie erreichten, die Streitsumme um 97% zu reduzieren. Glencore verlangte 500 Millionen USD als Entschädigung.

Dieses Urteil ist auch insofern positiv, als dass es die Legitimität der juristischen Prozesse Kolumbiens respektiert. Das Urteil hält aber auch fest, dass die Contraloría (Rechnungsprüfungshof) transparenter hätte handeln können und dass es nicht statthaft ist, zuerst über die Medien zu „prozessieren“ und erst dann in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren. Die damalige Chefin der Contraloría, Sandra Morelli, hatte Glencore schon über die Medien vorverurteilt. Trotzdem zeigt dieses Urteil aber auch die Gefahr, die von bilateralen Investitionsschutzverträgen ausgeht: ohne das Abkommen mit der Schweiz hätte Kolumbien nichts bezahlen müssen. Es sollte für Kolumbien eine Warnung sein, Vor- und Nachteile solcher Abkommen gut abzuwägen. Kolumbien muss sich aber auch weiter vorbereiten, um weitere Klagen erfolgreich zu bekämpfen, da viele weitere Verfahren schon eingeleitet oder zumindest nagedroht wurden.

Kolumbien steht aktuell 20 Schiedsverfahren wegen Investitionsstreitigkeiten gegenüber, neun befinden sich noch in der Etappe der direkten Verhandlung zwischen dem Staat und dem Investor, elf befinden sich schon vor einem Schiedsgericht. Der Betrag der in den neun Verfahren in direkten Verhandlungen als Entschädigungen gefordert wird, beträgt 4 Milliarden USD. Die Streitsumme der Verfahren die schon vor ein Schiedsgericht gelangt sind, beträgt 5,5 Milliarden USD. Insgesamt geht es also um 9,5 Milliarden Dollar, das ist mehr als 10% des kolumbianischen Staatsbudgets von 2019. Bei einem Grossteil dieser Klagen geht es um Bergbauprojekte, die durch Umweltschutzmassnahmen oder Invasion durch informelle Goldschürfer beeinträchtigt sind, oder um Klagen von Dienstleistungsunternehmen wie Telefonie oder Gasversorgung.

Worum geht es im Fall Glencore?

Es geht um einen Streitfall zwischen der Glencoretochter Prodeco und dem kolumbianischen Staat. 1989 schlossen die beiden Parteien einen Bergbauvertrag für 30 Jahre über die Nutzung der Mine Calenturitas ab. Zwischen 1991 und 2016 wurden acht Vertragsergänzungen vorgenommen. Die Vertragsergänzung Nr. 8 (Otrosí 8) ändert die Berechnungsgrundlage für die Royaltybezahlung, um Prodeco einen Ausbau der Mine zu ermöglichen. Der Rechnungsprüfungshof (Contraloría) untersuchte diese Vertragsänderung und befand, Prodeco habe eine Steuerverantwortlichkeit, Schulde dem Staat Einnahmen. Es wies Prodeco an, dem Staat 60 Milliarden Pesos nachzuzahlen, da Prodeco ungerechtfertigter Weise von einer tieferen Royaltyberechnung profitiert habe. Prodeco befolgte das Urteil und bezahlte am 19. Januar 2016 63 Milliarden Pesos.

Um den Entscheid der Contraloría aber anzufechten, haben Glencore und Prodeco den kolumbianischen Staat gestützt auf das Investitionsschutzabkommen beim ICSID angeklagt. Zuerst wurde während sechs Monaten versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Da keine Einigung gefunden werden konnte, kam es dann zum Schiedsgericht, das das erwähnte Urteil vom 27. August 2019 fällte.

Im Urteil des Schiedsgerichtes wird u.a. festgehalten, dass Kolumbien die Artikel 4.1, 4.2 und 10.2 des Investitionsschutzabkommens verletzt habe, da es eine unpassende Methodologie zur Berechnung des durch die Vertragsergänzung Nr. 8 entstandenen Schaden verwendete. Glencore verlangte, das Kolumbien die Vertragsänderung Nr. 8 weiterhin respektiere, was vom Schiedsgericht mangels Bezug zum internationalen Verfahren abgelehnt wurde. Abgelehnt wurde auch die Forderung, dass die kolumbianische Bergbaubehörde keine Massnahmen ergreife, die Prodecos Interessen beeinträchtige und dass es keine neuen Untersuchungen bezüglich der Vertragsänderung Nr. 8 geben dürfe. Abgelehnt wurde dies, da das Verwaltungsgericht von Cundinamarca noch nicht definitiv über die Auflösung des Bergbauvertrages entschieden habe und solche Auflagen von einem internationalen Schiedsgericht gar nicht gemacht werden können. Prodeco verlangte auch, dass die Contraloría keine weiteren Untersuchungen wegen dem Otrosí 8 beginnen dürfe. Das Schiedsgericht hielt dazu fest, dass die Methodologie der Contraloría tatsächlich nicht überzeugte und dass jegliche spätere Untersuchung den Beschluss dieses Schiedsgerichtes respektieren müsse. Prodeco verlangte weiter die Bezahlung von 19,1 Mio. USD  als Rückerstattung für die bezahlte Busse, 336,1 Mio. USD für die Differenz zwischen der Nichtanwendung der Berechnung der Royalties gemäss dem Otrosi 8 und dem deshalb gemachten tieferen Gewinn, und 238,6 Mio. USD als Entschädigung für die zu viel bezahlten Royalties wegen der Nichtanwendung des Otrosí 8. Das Schiedsgericht hat Kolumbien angewiesen, die 19.1 Mio. USD plus Zinsen zu bezahlen, hat aber die beiden anderen geforderten Entschädigungssummen abgelehnt. Das Schiedsgericht akzeptierte, dass Glencore/Prodeco auf die Entschädigungssumme keine Steuern bezahlen soll. Ebenso musste Kolumbien 625‘000 USD für institutionelle Kosten des ICSID und 1,7 Mio. USD an die Gerichts-/Anwaltskosten von Glencore-Prodeco bezahlen.

Zusammengefasst kann gesagt werde, dass das Schiedsgericht Kolumbien für schuldig befand, die Verpflichtung des bilateralen Investitionsschutzabkommens zwischen der Schweiz und Kolumbien verletzt zu haben. Trotz der guten Arbeit des juristischen Teams des kolumbianischen Staates, das die Summe um 97% reduzieren konnte, musste Kolumbien 19,1 Mio. USD und einen grossen Teil der Verfahrenskosten bezahlen. Das Schiedsgericht anerkannte aber den Gestaltungsspielraum des kolumbianischen Staates, um Untersuchungen in Steuerfragen und Korruptionsfällen durchzuführen und juristische Prozesse anzustrengen, um Verwaltungsakte rückgängig zu machen. Ebenso hielt das Schiedsgericht fest, dass Kolumbiens Verwaltungs- und Gerichtsprozesse grundsätzlich internationalen Standards genügen. Kolumbien argumentiert, dass aufgrund der Tatsache, dass Prodeco zuerst eine aussergerichtliche Einigung in Kolumbien anstrebte, nationale Gerichte zuständig seien und das internationale Schiedsgericht gar nicht zuständig sei. Das Schiedsgericht folgte dieser Auslegung nicht, da die Suche nach einer gütlichen Einigung eine Etappe vor dem ans Gericht gelangen sei. Kolumbien täte also gut daran, eine Bestimmung einzuführen, dass wenn eine aussergerichtliche Einigung versucht wird, danach auch nationale Gerichte zuständig sind.

Das Schiedsgericht rügte ein Interview der früheren Contralora Sandra Morelli in der Zeitschrift Semana, wo diese aussagte, Prodeco habe zu wenig Royalties bezahlte. Für das Schiedsgericht war das eine Vorverurteilung, die dem Prinzip der fairen und gleichen Behandlung zu wieder läuft. Da Morelli danach aber abgesetzt wurde und das Appellationsverfahren durch den neuen Contralor Edgardo Maya durchgeführt wurde, wurde diese Verletzung geheilt. Hingegen befand das Schiedsgericht, dass Kolumbien das Prinzip der Fairen Behandlung und des Gleichheitsgebotes verletzt habe, da durch Handlungen oder Aussagen von hohen Staatsfunktionären legitime Erwartungen geschürt wurden, die dann nicht erfüllt wurden.

Zu Fragen Anlass gibt auch die Entscheidung des Schiedsgerichtes, dass die Entschädigungszahlung an Glencore Prodeco steuerfrei sei. Hat ein Internationales Schiedsgericht in Investitionsfragen die Legitimation, über die kolumbianische Steuerpolitik zu bestimmen? Ungelöst ist auch die Frage, in wie fern der kolumbianische Staat, wenn er zu Entschädigungszahlungen verurteilt wird, auf den Beamten, der die Handlung beging, die zur Entschädigungsklage führte, zurückgreifen kann. Auch muss der Staat dafür sorgen, dass diese möglicherweise kostspieligen Schiedsverfahren seine Fähigkeit, dem Gesetzt Nachachtung zu verschaffen und öffentliche Belange regeln zu können nicht beeinträchtigen.

 

[1] Der vorliegende Artikel beruht auf folgendem Text: Enrique Prieto-Ríos und René Ureña, Glencore contra Colombia : una condena agridulce, 9. September 2019, in:

https://www.razonpublica.com/index.php/econom-y-sociedad-temas-29/12260-glencore-contra-colombia-una-condena-agridulce.html

[2] Das ganze Urteil ist hier einsehbar: https://www.defensajuridica.gov.co/saladeprensa/boletines_prensa/Documents/Glencore_Award.pdf