Waffenstillstand und Menschenrechte
Von Fabian Dreher
Der Waffenstillstand zwischen Regierung und ELN hat zwar zu einem Rückgang der Gewalt geführt, aber nur für die bewaffneten Akteure. Die Zivilgesellschaft in Kolumbien ist weiterhin der Gewalt ausgesetzt, soziale Führungspersonen und MenschenrechtsverteidigerInnen geraten immer stärker unter Druck. Der Staat macht dabei mit Gewaltexzessen gegen Protestierende keine gute Figur.
Am 4. September haben sich die kolumbianische Regierung und das Nationale Befreiungsheer ELN auf einen gegenseitigen Waffenstillstand ab dem 1. Oktober 2017 geeinigt. Der Waffenstillstand ist befristet: er begann am 1. Oktober und soll voraussichtlich bis am 9. Januar 2018 dauern.
Nach 50 Tagen, etwas weniger als der Hälfte der Dauer des Waffenstillstands haben 75 soziale und Menschenrechtsorganisationen einen Bericht[1] über die Auswirkungen des Waffenstillstands publiziert. Der bewaffnete Konflikt konnte gemäss Bericht zwar deutlich reduziert werden, da es zu keinen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Sicherheitskräften und dem ELN mehr kam. Die humanitäre Situation der Zivilbevölkerung hat sich dadurch jedoch nicht verbessert.
Der Bericht zeigt deutlich auf, welcher Gewalt die Zivilbevölkerung weiterhin ausgesetzt ist. Zwischen dem 1. Oktober und dem 20. November wurden 45 Personen ermordet und 96 Personen verletzt. 35 Personen wurden Opfer von persönlichen Drohungen, weitere 25 Drohungen wurden gegen Gemeinschaften ausgesprochen. Elf der 45 Mordopfer sind ehemalige Angehörige der FARC. Diese sind seit ihrer Demobilisierung im April 2017 unter Druck. Insgesamt wurden seit April 31 ehemalige FARC-KämpferInnen ermordet, zudem auch zwölf Familienangehörige ehemaliger KämpferInnen.
Eine besonders schlechte Figur machen aktuell die staatlichen Sicherheitskräfte: sie sind bei 73 Prozent der Opfer verantwortlich für die Gewalt, das ELN nur bei einem Prozent. Für 8 Prozent der Opfer sind Paramilitärs verantwortlich, weitere 17 Prozent können keinem Akteur zugeschrieben werden. Die meisten Opfer verursacht der Staat bei sozialen Protesten. Alleine beim Massaker in Tumaco töteten die staatlichen Sicherheitskräfte 7 KleinbäuerInnen und Indigene und verletzten über 50 Personen.
Auch wurden mehr Gewalttaten gegen politische Gefangene ausgeübt. Von den 3774 politischen Gefangenen der FARC wurden bis heute nur 2978 freigelassen. Deutlich zugenommen hat die Gewalt insbesondere gegen Angehörige des ELN hinter Gittern.
Weiterhin gelingt es dem kolumbianischen Staat nicht, soziale Führungspersonen und MenschenrechtsverteidigerInnen zu beschützen. Diese sind weiterhin grosser Gewalt ausgesetzt, insbesondere durch paramilitärische Gruppierungen. Kolumbien hat bis heute keine Strategie, wie diese Gruppierungen bekämpft werden sollen. Entgegen den Versprechen der Regierung gehen die staatlichen Sicherheitskräfte weiterhin mit Gewalt gegen Proteste und Streiks vor. Soziale Organisationen, Indigene, AfrokolumbianerInnen und KleinbäuerInnen werden weiterhin stigmatisiert, eingeschüchtert, bedroht und mit Gewalt bekämpft. Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht werden von den staatlichen Sicherheitskräften und Paramilitärs systematisch missachtet.
Zusammen mit der kolumbianischen Zivilgesellschaft fordert die ask! Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien den kolumbianischen Staat auf, die Rechte seiner Bürger zu schützen und insbesondere die Zivilbevölkerung vor Unterdrückung und Gewalt zu bewahren. Kolumbien sollte seinen Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht, dem Friedensabkommen mit den FARC, dem Waffenstillstandabkommen mit dem ELN und seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen.