Uribe und der Hausarrest
Von Lisa Alvarado
Am 3. August 2020 hat der Oberste Gerichtshof in Kolumbien eine historische Entscheidung getroffen. Alvaro Uribe, Ex-Präsident und Vorsitzender der Partei Centro Democrático, wird unter Hausarrest gestellt. Grund dafür: Das Gericht sieht die Gefahr, dass Uribe zukünftige Untersuchungen manipulieren könnte. Damit wird mit dem grössten Mythos gebrochen, den seine Anhänger um ihn herum geschaffen haben: Seine Überlegenheit gegenüber Institutionen und der Justiz, und die Sicherheit, dass seine Worte unbestreitbar und seine Taten jeder Strafe überlegen sind.
Angeklagt wird Uribe wegen Bestechung und Manipulation von Zeugenaussagen. Hintergrund ist ein jahrelanger politischer und juristischer Kampf zwischen Alvaro Uribe und dem Senator Ivan Cepeda vom Polo Democrático. Cepeda hatte 2012 eine Klage beim Generalstaatsanwalt Montealegre eingereicht, wonach Uribe Verbindungen zum Paramilitarismus in Antioquia vorgeworfen werden. Uribe klagte Cepeda daraufhin an, Zeugen bestochen zu haben. Hauptakteure in dieser Geschichte waren die beiden Ex-Paras Pablo Hernán Sierra und Juan Monsalve, die mehrfach ihre Meinungen änderten und je nachdem dem einen oder dem anderen Recht gaben. Schlussendlich kam die Staatsanwaltschaft zum Schluss, dass Uribe selbst, und nicht Cepeda, die Zeugen manipuliert und bestochen habe, und zitierten Uribe Anfang 2020 zu einer Vernehmlassung, die auch bereits für grosse Aufregung sorgte.
Heute befindet sich Uribe auf seiner über 1’300 ha grossen Finca El Ubérrimo in der Nähe von Montería, Cordoba. Dort sitzt er seinen Hausarrest ab, ohne Einschränkungen in der Kommunikation und mit sämtlichen Annehmlichkeiten und Privilegien der Reichen, bis die für seinen Fall zuständige Sondergerichtskammer ihn verurteilt oder freispricht. Dies erscheint absurd in einem Land, in dem 26% aller Gefängnisinsassen genauso bloss Angeklagte sind, also wie Uribe darauf warten, dass ihre Rechtslage geklärt wird. Während diese unter schlimmsten Bedingungen darauf warten, dass ihre Situation geklärt wird, sitzt Uribe auf seiner Luxusfinca.
Doch zurück zur Sache. Laut dem Artikel von El Turbión ist es momentan schwierig zu sagen, wie der Fall ausgehen wird. Ein heikler Punkt ist die gegenwärtige Situation des Obersten Gerichtshofs, der seit dem vergangenen Jahr Angriffe von Iván Duque, seiner Justizministerin Margarita Cabello Blanco und der Regierungskoalition erdulden musste, mit dem Ziel ihn unwirksam zu machen oder seine Arbeit zu behindern. Dies indem die Wahl neuer Richter als Ersatz für diejenigen, die ihre Amtszeit abgeleistet haben, sabotiert wurde. In der Zwischenzeit wurden alle möglichen Tricks angewandt, um das Verfassungsgericht, den Staatsrat und den Obersten Justizrat zu kooptieren und diese hohen Gerichte der Kontrolle der Exekutive zu unterstellen, womit eine der grundlegenden Garantien für das demokratische Funktionieren, die in der Verfassung definiert sind, nämlich die Gewaltenteilung, gebrochen wird. So sagte die Senatorin des Centro Democrático Paloma Valencia neulich: «Wir [vom Centro Democrático] schlagen dem Land eine verfassungsgebende Versammlung [constituyente] vor, wo wir das ganze Justizsystem reformieren können. […] Ein einziges Gericht, das Vereinheitlichung erlaubt, […] mit integren Richtern. […] Kolumbien kann nicht länger die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden [JEP] akzeptieren.» Alirio Uribe Muñoz vom Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo erklärt im Interview mit Blickpunkt Lateinamerika, dass dieser Vorschlag von Alvaro Uribe selbst aus dem Jahr 2015 stammt. Ziel ist es, die Verfassungsreform von 1991 zurückzudrehen. Das würde konkret bedeuten, dass das Verfassungsgericht sowie die JEP obsolet würden, beides Rechtsorgane, mit denen Uribe eine Rechnung offen hat. Die Verfassungsrichter verwehrten ihm 2010 eine dritte Amtszeit, und die JEP ermittelt auch gegen ihn und paramilitärische Strukturen. Zwar hat Duque Valencias Vorschlag abgelehnt, dafür hat die Senatorin Paola Holguin, auch vom Centro Democrático, die aktiven Reservetruppen der Armee gebeten, sie in der Verteidigung Uribes zu unterstützen.
Heute ist laut El Turbión der politische und soziale Druck des Uribismus sowie die Einschüchterung der Richter, die die historische Entscheidung getroffen haben, die größte Schwäche des Prozesses in einem Land, in dem die Unabhängigkeit der Justiz zunehmend als Nostalgie für Zeiten erscheint, die es nie gab.
Seit dem Urteil wurden 400 Berufungen und Grundrechtsklagen von Uribe-Anhängern eingereicht, die seine Freiheit fordern. Argumentiert wird mit Verletzungen seiner politischen Rechte. Das Gericht hat aber alle abgelehnt.
Neben der Diskreditierungskampagne gegen den Obersten Gerichtshof wird auf sozialen Medien ein Bild gezeichnet, das Uribe als «Retter des Landes», als Nationalheld darstellt. Wie El Turbión schreibt, versuchen Direktoren der grössten Medienkonglomerate, Chefs der wichtigsten Wirtschaftsverbände und führende Persönlichkeiten des Uribismus die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass der Prozess das Ergebnis einer Verschwörung der internationalen Linken, der FARC oder eines sonstigen kommunistischen «Gespensts» ist. Uribe selbst hat in einer Fernsehansprache gesagt, er fühle, er sei «entführt worden von der Komplizenschaft einiger Richter und dem jungen Senator Cepeda.» Alirio Uribe Muñoz sieht die Situation ähnlich wie die Zeitschrift El Turbión. Im Interview weist er darauf hin, dass das Centro Democrático um Uribe exzellente Kontakte zu den Medien hat und parallel dazu versucht, eine Verfassungs- und Justizreform voranzutreiben. Bereits als Präsident (2002-2010) liess Uribe Richter und Oppositionelle durch den Geheimdienst (DAS) ausspionieren. Zudem sieht Uribe Muñoz Alvaro Uribes Niederlegen seines Mandats als Senator als strategischen Schritt. Dank diesem Schachzug könnte nun nämlich die Anklage vom Obersten Gerichtshof (Corte Suprema de Justicia) an die Generalstaatsanwaltschaft (Fiscalía) weitergereicht werden, und diese wird von Francisco Barbosa Delgado geleitet, ein Jugendfreund von Ivan Duque. Laut Uribe Muñoz befindet sich die Generalstaatsanwaltschaft de facto in den Händen der Regierung, was dazu führen könnte, dass die Ermittlungen eingestellt werden. Noch ist das aber nicht entschieden.
Wie El Turbión schreibt, ist es noch ein langer Weg im prominentesten Prozess Kolumbiens der letzten Jahre, einem Land in dem noch nie ein ehemaliger Präsident im Gefängnis sass, geschweige denn einer mit der diktatorischen Berufung Uribes. Die Ergebnisse werden wohl zweifellos davon abhängen, was ausserhalb des Gerichtssaals, also im gesellschaftlichen Leben Kolumbiens passiert.