Indigene Territorien werden als Opfer vor der JEP anerkannt

Mrz 18, 2020

Von Lisa Alvarado

Die kolumbianische Juristenkommission (CCJ) erstellt regelmässig einen Newsletter als Beobachter der JEP [1]. Der Newsletter No. 8 handelt von der Anerkennung von indigenen Territorien als Opfer bei der JEP. Dazu wurden die Akten 079 vom 12. November 2019 und 02 vom 17. Januar 2020 der SRVR (Gerichtskammer für die Anerkennung von Wahrheit und Verantwortung und die Bestimmung von Fakten und Verhaltensweisen) der JEP analysiert, in denen die Territorien der antragstellenden indigenen Völker als Opfer anerkannt werden. 

Grundsätzlich haben Personen, welche Opfer von während dem bewaffneten Konflikt begangenen Verbrechen sind, das Recht, sich bei der SRVR (der JEP zu akkreditieren. Ein solcher Antrag muss zwei Bedingungen erfüllen: die Person oder Gruppe muss deklarieren, dass sie Opfer eines Delikts sind und vor der Kommission anerkannt werden wollen, und ein Beweis dafür muss erbracht werden. Indigene Völker und ethnische Autoritäten können dabei als spezielle Prozessbeteiligte anerkannt werden. 

Im Fall der Awá und der Nasa und Misak haben die indigenen Gruppen in ihrem Opferantrag auch ihr Territorium eingeschlossen. Indigene Völker auf der ganzen Welt haben Kosmovisionen, also eine Art, die Welt zu betrachten, welche auf einer starken Verbindung mit der Umwelt und speziell ihrem Territorium beruhen. So auch die Awá, welche in ihrem Aktionsplan zur Rettung des Volkes folgendes schreiben:

Das Verständnis des Territoriums innerhalb unserer Awá-Kultur widerspiegelt das integrale Weltbild, welches aus unserer Kosmovision entsteht (…). Das Territorium ist ein Ganzes, eine Gesamtheit, die Wälder, Flüsse, Bäche, Menschen, alles umfasst (…). Wenn wir also vom Territorium sprechen, verweisen wir auf die Gesamtheit der kollektiven und individuellen Grundrechte, die es zu respektieren und zu fördern gilt, ohne dass dies die westliche Gesellschaft immer in ihrer Gesamtheit bemerkt. (Plan de Salvaguarda del pueblo Awá)

Auch die Nasa drücken sich ähnlich aus:

Für die indigenen Völker und insbesondere für die Nasa wird Uma Kiwe (Territorium) als ein lebendiges Wesen konzipiert und ist ein integraler Bestandteil des Nasa-Wesens, sie fühlt, muss ernährt und gepflegt werden (…). Unser angestammtes und für uns heiliges Territorium hat Verletzungen, Veränderungen, Verstümmelungen, Besetzungen und Schäden als Folge des internen bewaffneten Konflikts erlitten. Dies hat das Band, das die indigenen Gemeinschaften mit ihrem Territorium hatten, negativ verändert und das Gleichgewicht, die Harmonie und die Autonomie der Nasa-Indigenen (…) verletzt. (Anerkennungsantrag der indigenen Vereinigung im Norden des Cauca ACIN)

In beiden Fällen wurden nicht nur die indigenen Menschen, sondern auch ihr Territorium als Opfer deklariert und auch anerkannt. Diese Entscheidung basiert laut der CCJ auf der Unveräusserlichkeit des Territoriums und der Bevölkerung, die es bewohnt. Die Entscheidung beinhaltet eine systematische Interpretation der Kosmovision von indigenen Völkern und ihrer autonomen Regierungsform, sowie der nationalen und internationalen gesetzlichen Normen zum Schutz von indigenen Rechten. Die Weltsicht der Awá und Nasa bedeutet, dass sie nicht komplett anerkannt sind ohne ihre Territorien. In diesem Sinn hat die Anerkennung dieser Weltsicht durch die JEP eine grosse Bedeutung. Einerseits zeigt es einen ernsthaften Willen der JEP, den ethnischen Fokus in ihre Handlungen einzubeziehen. Andererseits bedeutet es die Materialisierung der pluralistischen Verfassungsprinzipien und den Respekt vor der ethnischen Diversität, wie auch ein Präzedenzfall für zukünftige Dialoge über den Schutz von indigenen Territorien andernorts, welche an vielen und immer mehr Orten unter Druck sind. Indigene Territorien sind häufig sehr grossflächig und umfassen nicht bloss Wohn-, sondern auch Jagd-, und Fischgebiete sowie heilige Stätten. Diese Landflächen sind wegen ihrer natürlichen Ressourcen heiss begehrt und stark umstritten. Dass eine rechtliche Instanz in Kolumbien als neoliberales Land Territorium als Opfer anerkannt, ist ein wichtiger Schritt. Die Akkreditierung des Territoriums als Opfer durch die JEP ist somit zwar erst ein erster Schritt in Richtung Partizipation der indigenen Gruppen in Prozessen der Anerkennungskommission, aber ein wichtiger. 

 
[1] JEP: Jurisdicción Especial para la Paz. Dt.: Sonderjustiz für den Frieden. Wurde im Rahmen des Friedensabkommens mit der FARC gegründet.