Entwaldung in Kolumbiens Nationalparks nach Unterzeichnung des Friedensabkommens

Nov 3, 2020

Von Lisa Alvarado

Die wissenschaftliche Zeitschrift Nature publizierte einen Artikel zum Einfluss von bewaffneten Konflikten und im Falle Kolumbiens dem Friedensprozess auf die Abholzung von Primärwald, die nach 2016 teilweise drastisch zugenommen hat. Während der Artikel einige spannende Aspekte im Zusammenhang mit Umweltschutz und Frieden aufzeigt, sieht die ask! besonders eine Aussage auch kritisch. 

Der Artikel analysiert 39 «protected areas» in Kolumbien über einen Zeitraum von drei Jahren vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit der FARC bis drei Jahre danach und konstatiert einen dramatischen Anstieg der Entwaldungsrate für die meisten dieser Zonen. Am stärksten betroffen sind dabei die Nationalparks Tinigua, Sierra de la Macarena, Nudo del Paramillo und Catatumbo. Auch die Sierra Nevada de Santa Marta und der Nationalpark der Cordillera de los Picachos sind stark von Entwaldung betroffen. Dies sind alles Gebiete, wo entweder Coca angebaut wird und/oder die wertvolle natürliche Ressourcen enthalten, die von verschiedenen Akteuren abgebaut werden wollen. 

Grundsätzlich sieht der Artikel mehrere Gründe für Abholzung von Primärwald und geschützten Gebieten. Einerseits wird Drogenanbau als Schlüsselfaktor genannt, gerade in Mittel- und Südamerika. Aber auch allgemein Armut und fehlende wirtschaftliche Perspektiven auf dem Land führen laut den Autoren zu Abholzung. 

In Kolumbien wurde seit dem 18. Jahrhundert etwa ein Drittel der Waldfläche in andere Nutzungszonen umgewandelt, hauptsächlich durch die Einführung von Vieh und damit die Ausdehnung von Weideland, Urbanisierung und Kolonialisierung der amazonischen Tiefebene. Die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Frontier [1] dauert in Kolumbien allerdings bis heute an und hat mit dem offiziellen Ende des Konflikts zwischen der FARC und der Regierung neue Bedeutung gewonnen. Denn weite abgelegene Gebiete, wo auch häufig Nationalparks bestehen, wurden während der letzten Jahrzehnte von den FARC kontrolliert. Der kolumbianische Staat war in diesen Gebieten faktisch gar nicht präsent. Gewissermassen hat die FARC die Ausdehnung der landwirtschaftlichen Frontier in diese abgelegenen Zonen über die letzten Jahrzehnte aufgehalten. Das bedeutet nicht, dass die FARC absichtlich für die Biodiversität wichtige Zonen geschützt hätten. Aber der Staat, und mit ihm ausländische Investoren, konnten nicht in diese Gebiete vordringen, die von der FARC kontrolliert wurde. 

Mit dem Wegzug der FARC öffnete sich ein Machtvakuum, welches die Regierung nicht schnell genug füllen konnte. FARC-Dissidenzen, aber auch das ELN, paramilitärische Gruppen und andere Drogenbanden umkämpfen seither diese, teilweise strategisch sehr wichtigen, Orte und Korridore. Es gibt keine alleinstehende Macht mehr, die die Gebiete und was mit ihnen passiert, kontrolliert. Hier sehen wir von der ask! auch die Kritik am Artikel. Dieser geht nämlich davon aus, dass der Konflikt bereits beendet ist und Frieden herrscht. Dies ist jedoch eindeutig nicht der Fall. 

Trotzdem zeigt der Artikel einige wichtige Faktoren auf, weshalb die Entwaldung in den ersten drei Jahren nach Unterzeichnung des Friedensvertrags so stark angestiegen ist. Es wird beispielsweise festgehalten, dass die kolumbianische Regierung eine systematische Schwäche zeigt, Nationalparks und Naturreservate effektiv zu schützen. Gründe dafür sind fehlende finanzielle, technische und operationelle Stärke, um überhaupt ein Register von illegal genutzten Flächen zu erstellen, geringe Fähigkeit, illegal genutztes Land physisch und juristisch zurückzuerlangen und die administrative Zentralisierung, die die Autonomie der regionalen Institutionen beeinträchtigt. Solange die Regierung nicht über die nötigen Ressourcen verfügt, die Nationalparks effizient zu schützen, werden sie auch weiter entwaldet und ausgebeutet werden. Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es wäre, lokale Institutionen zu stärken. 

Zudem wird gezeigt, dass der Kokaanbau weiter gestiegen ist, unabhängig von der Unterzeichnung des Friedensvertrags. Der Artikel sieht als Gründe dafür einerseits eine steigende Nachfrage nach Kokain auf dem internationalen Markt, aber Studien haben auch gezeigt, dass die Politik des gewaltsamen Ausrottens von Kokapflanzen das Entwaldungsphänomen verstärken kann, gerade weil es den Kokaanbau nicht nachhaltig eindämmt. Ein weiterer Grund, weshalb die integrale Umsetzung des Friedensabkommens so wichtig ist. Somit könnte der Punkt 4 zur freiwilligen Ausrottung mit Unterstützung des Staates auch das Entwaldungsproblem entschärfen. 15 der 39 analysierten Parks sind von Kokapflanzungen beeinträchtigt, wovon zwei Drittel sich auf die Nationalparks Serranía de la Macarena und Nukak konzentrieren. 

Schlussendlich trägt also auch dieser Artikel in einer wissenschaftlich so renommierten Zeitschrift wie es die Nature ist, dazu bei aufzuzeigen, wie wichtig die integrale Umsetzung des Friedensabkommens ist. Auch wenn es nicht direkt so angesprochen wird, geht es um das harmonische Zusammenleben von Mensch und Umwelt, wozu die lokale Konzeptualisierung und Führung geschützter Zonen einen wichtigen Beitrag leisten könnte. 

[1] Der Begriff Frontier beschreibt die Grenze zwischen ‘kultiviertem’ und ‘unkultiviertem’ Land und wurde geprägt von der Ostwärts-Bewegung der Pioniere und Siedler in den USA. Dabei wird das zu erobernde Land normalerweise als leer angesehen und Indigene als rechtmässige Besitzer dieser Ländereien ignoriert. Im 20. Jahrhundert gab es in vielen Länder des globalen Südens Anstrengungen seitens der Regierungen, diese Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies wurde häufig mittels grossflächigen Umsiedlungen umgesetzt, wobei arme Kleinbauern (campesinos) mit dem Versprechen von unberührtem, produktivem Land in diese spärlich besiedelten Gebiete geschickt wurden. Konflikte mit lokalen indigenen Gruppen sind auf diese Weise vorprogrammiert und dauern teilweise bis heute an.