Die Auswirkungen der Corona-Krise auf eine verletzliche Region wie die Guajira

Mrz 28, 2020

Von Stephan Suhner

Die Guajira ist schlecht auf das Corona-Virus vorbereitet. Es gibt keine vorausschauende Planung der lokalen und regionalen Behörden, das Gesundheitssystem ist dem Problem in keiner Weise gewachsen. Es gibt auch Probleme mit der öffentlichen Ordnung, Raubüberfälle und Diebstähle. Die Bevölkerung muss die resolute Ausgangsperre befolgen, hat aber kein oder zu wenig Wasser, keine ausreichende Lebensmittelversorgung und keine adäquate Gesundheitsversorgung. Zudem sind die Massnahmen der Regierung nicht ethnisch angepasst. Im Zentrum der Debatte stehen auch Cerrejón und die Frage nach dem richtigen Umgang des Unternehmens mit der Pandemie.   

Am 23. März hat Cerrejón in einem Communiqué angekündigt, dass das Unternehmen den Grossteil der Minenoperationen einstellt, um die Arbeiter, deren Familien und die Bevölkerung im Allgemeinen vor einer Verbreitung des Virus zu schützen. Um Risiken und Zwischenfälle zu vermeiden, werde dieser Prozess innerhalb von 48 Stunden abgestuft erfolgen. So müssen gewisse Bergbauarbeiten beendet werden, Kohle noch zu den Lagerplätzen gebracht oder freiliegende Kohle vor der Selbstentzündung geschützt werden. Ebenso müssen vorbereitete Sprengungen noch durchgeführt werden und dafür gesorgt werden, dass kein Sprengstoff ungesichert herum liegt. Die vorübergehende Stilllegung wird über kollektive Ferien geregelt. Cerrejón betont, dass diese Massnahmen die Wirtschaft der Guajira schwer beeinträchtigen werden, wie überall auf der Welt. Weitere Massnahmen behält sich Cerrejón vor und ruft die allgemeinen Hygienerichtlinien in Erinnerung. Der Gouverneur der Guajira hatte zuvor Cerrejón dringendst aufgerufen[1], auf den Transport von Arbeitern in Bussen aus den Departementen Cesar, Magdalena und Atlántico zu verzichten, da das Virus dort schon angekommen sei. Generell soll Cerrejón die Operation einstellen, um die Verbreitung des Virus zu verhindern. Die Gewerkschaft Sintracarbón und Arbeiter denunzierten, dass es bei Schichtwechseln, in Garderoben und beim Essen fassen extrem eng sei, bis zu 350 Personen befänden sich auf engstem Raum. Zudem würden die Arbeiter in Bussen aus verschiedenen Departementen und innerhalb der Guajira transportiert. Auch seien Personen mit Risikofaktoren gemäss Art. 140 Arbeitsgesetz nach Hause geschickt worden, auch Arbeiter mit Grippesymptomen seien mit den Bussen wieder nachhause geschickt worden. Die Arbeiter und die Gewerkschaft warfen Cerrejón vor, mit klaren Massnahmen zur Eindämmung der Krise und Verbreitung zu lange zuzuwarten, und dass ein Infizierter genüge, um das Virus rasch unter den 12‘000 Arbeitern zu verbreiten.[2] Es gab verschiedene Kampagnen und Aufrufe in den sozialen Medien, dass Cerrejón den Betrieb stoppen soll. Cerrejón und die Gewerkschaft Sintracarbón befinden sich zudem in Verhandlungen über einen neuen Kollektivvertrag, und es ist bisher unklar, was mit den Verhandlungen geschieht.

Cerrejón kündigte auch an, die sozialen Investitionen beizubehalten, die für die Gemeinschaften von grundlegender Bedeutung sind. So verpflichtet sich Cerrejón, weiterhin 7 Millionen Liter Wasser pro Monat zu verteilen, wozu die Zugslinie verwendet wird, mit Investitionen von 2 Mia. Pesos pro Jahr. In Zusammenarbeit mit dem Departement Guajira und den Bürgermeisterämtern wird die spezifische Unterstützung im Gesundheitsbereich für weitere 2 Mia Pesos erfolgen.[3]

Am 25. März antwortete Cerrejón nach zweimaligem Nachstossen auf verschiedene Fragen der ask! darüber, was Cerrejón in dieser kritischen Situation mache.[4] Cerrejón betonte, dass die Gemeinschaften immer im Zentrum der Sorge von Cerrejón stehen würden, zusammen mit den Arbeitern von Cerrejón und deren Familien. Cerrejón führte aus, wie die kolumbianische Regierung am 24. März mit dem Dekret 457 von 2020 eine 15-tägige nationalen Quarantäne verordnete. Das Dekret sehe aber Ausnahmen für wichtige Tätigkeiten vor, darunter gehöre der Bergbau, der weitergehen könnte. Trotzdem habe Cerrejón die Entscheidung getroffen, 80% der Arbeiter bei vollem Lohn vorübergehend zu beurlauben und nur die für die Sicherheit der Mine und den Umweltschutz sowie zur Vertragserfüllung notwendigen Arbeiten weiterzuführen. Schon ab Januar habe Cerrejón erste Massnahmen getroffen, wie eintreffende Frachter genau kontrollieren, Reisen ins Ausland und Besuche in der Mine einzuschränken, ebenso Treffen im Rahmen des Engagements in den Gemeinschaften. So gebe es bis heute in der Guajira keinen einzigen aufgedeckten Coronafall. In Bezug auf die Unterstützung der Gemeinschaften wiederholte Cerrejón nur das, was sie schon per Communiqué verbreiteten: sieben Millionen Liter Wasser pro Monat an 155 Gemeinschaften und 2 Mia. Pesos für Gesundheitsmassnahmen. Die Wasserverteilung sei in den vergangenen Tagen durch gewisse Blockaden behindert gewesen. Zudem betreibe Cerrejón Informationskampagnen über die Pandemie, vieles davon in der indigenen Sprache Wayunaiki. Zum Schluss betonte Cerrejón noch die strikten Massnahmen zur Messung der Luftqualität und die davon abhängigen Massnahmen, um die Staubbelastung zu reduzieren.

Die Beteuerungen von Cerrejón über ihr soziales Engagement kontrastieren aber mit der schwierigen Lage in den Gemeinschaften im Einflussbereich von Cerrejón. Verschiedene Gemeinschaften wie Provincial haben nicht genügend Wasser für die empfohlenen Hygienemassnahmen. Pro Familie in Provincial gibt es 1000 Liter Wasser alle 15 Tage, aber das ist zum Kochen und zum Trinken. Zum Duschen, Händewaschen etc. ist es zu knapp, und das Aquädukt funktioniert nicht immer für das Brauchwasser, das dem Fluss Rancheria entnommen wird. Andere Gemeinschaften weiter im Norden der Guajira leiden noch mehr unter Trockenheit, Wassermangel und Mangelernährung. Auch die Situation in den umgesiedelten Gemeinschaften ist prekär, so hat z.B. Roche immer noch kein Leitungswasser, das Trinkwasserqualität hat, und das mit Tanklastwagen gelieferte Wasser ist auch nur bedingt konsumierbar. Laboruntersuchungen haben problematische Werte ergeben. Diese Situation ist für alle umgesiedelten Gemeinschaften ähnlich, v.a. aber Roche und Chancleta sind betroffen. Tamaquito hat nach wie vor qualitativ gutes Wasser, aber es ist sehr wenig, die Kapazität des Brunnens ging zurück, unter anderem auch wegen der aktuell herrschenden Trockenperiode. El Rocio ist eine der wenigen Gemeinschaften, die dank dem noch intakten Oberlauf des Arroyo Bruno genügend Wasser hat. Dies zeigt die Wichtigkeit der letzten verbliebenen Wasserläufe respektive die gravierenden Konsequenzen der Umleitungen und Zerstörung von Wasserläufen und Quellen. Zudem haben die wenigsten Bewohner der umgesiedelten Gemeinschaften stabile und ausreichende Einkommen, während die Preise für Alltagsgüter stark gestiegen sind und viele Leute ihren informellen Beschäftigungen nicht mehr nachgehen können. Verschiedene Güter haben eine Verdoppelung oder gar Verdreifachung der Preise erfahren. Unter der Ausgangssperre ist es für abgelegene Gemeinschaften schwierig, in den Hauptort zum Einkaufen gehen zu können, zudem wechselt die Erlaubnis, einkaufen zu gehen, je nach Endziffer des Personalausweises jeden Tag ab. Führungsleute der Gemeinschaften erhalten erste Notrufe von Familien, die sich nicht mehr ausreichend ernähren können, oder die dringend Medikamente brauchen, die sie sich nicht mehr leisten können. Lebensmittelhilfe oder Unterstützungszahlungen durch die Behörden gibt es keine. Gemäss mehren Gemeinschaftsführern ist die Verzweiflung unter der Bevölkerung gross. Roche hatte zwei kleine Programme mit Cerrejón, mit denen sie etwas verdienen konnten, aber da seitens der Arbeiter des Cerrejón ein Streik droht, weil der kollektive Arbeitskonflikt immer noch nicht gelöst ist, hat Cerrejón diese Programme letzte Woche suspendiert. Anscheinend suspendiere Cerrejón derartige Sozialprogramme immer wenn ein Streik drohe, um Druck auszuüben. In der Departementshauptstadt Riohacha kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen um Lebensmittel und Hygieneartikel, verschiedentlich wurden Lebensmittel- und Getränketransporte überfallen. Zu all dem kommt die Angst schon bisher bedrohter Führungspersonen, dass illegale bewaffnete Gruppen und Berufskiller die Ablenkung durch die Coronakrise nutzen könnten, um auch in der Guajira Attentate zu verüben, wie es in den letzten Tagen in verschiedenen Landesteilen leider vermehrt vorgekommen ist.[5]

 

[1] Ansprache des Gouverneurs der Guajira vom 23. März 2020. Siehe auch https://www.elheraldo.co/coronavirus/exigen-cerrejon-reforzar-medidas-para-evitar-contagio-de-coronavirus-711579

[2] https://sintracarbon.org/negociacion-colectiva-2020/comunicados-negociacion-colectiva-2020/carta-abierta-contra-las-insuficientes-acciones-de-cerrejon-para-prevenir-el-contagio-del-coronavirus-por-parte-de-los-trabajadores-sus-familias-y-la-comunidad/

[3] https://www.cerrejon.com/index.php/cerrejon-disminuye-provisionalmente-sus-operaciones/

[4] E-Mail Antwort von Inés Andrade, CSR-Verantwortliche bei Cerrejón, 25. März 2020.

[5] Dieser Abschnitt beruht auf Mail- und Whatsapp-Austausch mit NGO-VertreterInnen, sozialen Führungspersonen und Bewohnern der Gemeinschaften. Namen werden aus Sicherheitsgründen nicht genannt.