Weshalb freiwillige Menschenrechtsinstrumente für Konzerne nicht genügen und es die KVI braucht

Nov 17, 2020

Von Stephan Suhner

Glencores Tochterunternehmen Prodeco sagt, sie würden Menschenrechtsinstrumente anwenden und hätten die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf Umwelt und Menschenrechte analysiert. Trotzdem warten die betroffenen Anspruchsgruppen seit Jahren auf Antworten und geeignete Massnahmen, die zu einer Verbesserung der Umwelt- und Menschenrechtslage bei den Kohlenminen führen würden. Prodeco hat bis heute nicht nachvollziehbar über die Menschenrechtspolitik kommuniziert. Derweil kommt es im Umfeld von Prodecos Bergbauprojekten zu weiteren Risiken und zu tatsächlichen Menschenrechtsverletzungen. Zu erwähnen sind die Zerstörung der Lebensgrundlage der indigenen Yukpa, die fehlende Konsultation dieser Indigenen und schwerwiegende Verzögerungen im Umsiedlungsprozess von El Hatillo.

Prodeco schreibt in ihrer knappen Menschenrechtspolitik, dass sie sich u.a. an die UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) halten. Diese Leitsätze verlangen von den Firmen, die Menschenrechte zu respektieren. Dazu müssen sie die Sorgfaltspflicht erfüllen, d.h. mit einer Sorgfaltsprüfung untersuchen, was für Auswirkungen die Unternehmenstätigkeit hat oder haben könnte, was für Risiken bestehen, Menschenrechte zu verletzen oder die Umwelt zu verschmutzen. Die Sorgfaltspflicht und menschenrechtliche Folgeabschätzungen (HRIA) sind Daueraufgaben. Ein neues Projekt, beispielsweise eine Minenerweiterung, eine Änderungen der Arbeitsbedingungen oder sonstige Unternehmensentscheide können zu neuen Auswirkungen (negativen wie positiven) führen und bestehende Auswirkungen verändern. Ein neues Projekt bedingt deshalb eine neue Folgeabschätzung. Die UNGP sehen vor, dass Unternehmen ihre menschenrechtlichen Risiken und allfällige Menschenrechtsverletzungen evaluieren, Massnahmen zu deren Verhinderung und Minderung ergreifen und für die Anspruchsgruppen nachvollziehbar darüber informieren und kommunizieren. In Risikogebieten mit schwacher Regierungsführung oder weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen, wie es der Cesar ist, sind die Ansprüche an die Sorgfaltspflicht noch höher.

Prodeco hat 2014/15 eine erste menschenrechtliche Folgeabschätzung (HRIA) durchgeführt, die dann als erste Annäherung an die Risikoszenarien in der Region beschrieben wurde. Die insgesamt 15 Risikoszenarien betrafen Risiken für das Unternehmen wie auch für Anspruchsgruppen (Arbeiter, Gemeinschaften etc.). Trotz mehrfacher Nachfrage der ask! hatten Glencore und Prodeco nie erklären können, welche Rolle sie für das Unternehmen innerhalb dieser Risikoszenarien sehen, und haben eben schlussendlich die ganze Untersuchungen als erste Annäherung an die komplexe Realität beschrieben. Die ursprüngliche Kommunikation in den Nachhaltigkeitsberichten weckte aber noch ganz andere Erwartungen. Bis heute hat weder Glencore noch Prodeco detailliert kommuniziert, wie sie ihre Unternehmenstätigkeit anpassen, um in diesen Risikoszenarien keine negativen Auswirkungen zu verursachen.

2018 bis Anfang 2019 liess Prodeco eine weitere menschenrechtliche Folgeabschätzung durch den Thinktank Ideas para la Paz (FIP) durchführen. Diesmal wurden die konkreten Folgen und Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit auf die Anspruchsgruppen evaluiert, und zwar die tatsächlichen wie auch die gefühlten oder vermuteten Auswirkungen. Im Rahmen eines Feldbesuches im Juli 2019 im Cesar kam es zu einem längeren Treffen mit Prodeco, wo die ask! wissen wollte, was bei der Folgeabschätzung herausgekommen war und was für Massnahmen Prodeco z.B. in einem Aktionsplan aufnimmt. Prodeco wollte noch praktisch nichts sagen, versprach aber einen ausführlichen Menschenrechtsreport für später. Bei einem Treffen im Januar 2020 sagten die Vertreter von Glencore und Prodeco, dass sie die Resultate immer noch am auswerten seien. Sie würden etwas kommunizieren, es sei aber noch nicht klar was. Verschiedene Informationen seien heikel oder würden gar Gewaltakteuren in die Hände spielen. Zudem sei das HRIA auch mehr ein internes Instrument gewesen.

Am 4. November 2020, anlässlich eines weiteren Treffens mit der Nachhaltigkeitschefin von Glencore, betonte das Unternehmen, dass ihnen die Notwendigkeit einer öffentlichen Kommunikation sehr wohl bewusst sei. Das HRIA sei auch abgeschlossen, aber im Moment seien verschiedene Veränderungen in der Operationsweise der Mine geplant. Aktuell würde die Mine auch gar nicht arbeiten respektive keine Kohle abbauen. Dadurch ergäben sich im Moment weniger bis gar keine Auswirkungen und in Zukunft wären die Auswirkungen anders als die im HRIA von 2018 festgestellten. Da Prodeco alles neu überprüfen müsse und noch gar nicht wisse, wie die neue Operationsweise aussehe und wann die Behörden die Bewilligungen erteilen, mache es keinen Sinn, jetzt darüber zu kommunizieren. Die Einwände der ask!, dass ja viele mögliche Risiken und negative Auswirkungen weiterbestehen und jetzt nach Massnahmen verlangen, unabhängig von Anpassungen in der Bergbautätigkeit, liess die Nachhaltigkeitsmanagerin nicht gelten.

Fakt ist, dass nach deutlich mehr als einem Jahr nach Abschluss der Folgeabschätzung durch die FIP Prodeco noch praktisch nichts publiziert hat. Auch haben die uns bekannten Anspruchsgruppen keine Kenntnisse über mögliche Risiken und getroffene Gegenmassnahmen. Auch die ask! hat trotz verschiedener Gespräche mit Unternehmensverantwortlichen in Kolumbien und in die Schweiz bisher keinerlei Informationen erhalten, die die durchgeführte Folgeabschätzung und darauf basierende Aktionspläne nachvollziehen lassen würden und dem menschenrechtlichen Engagement des Unternehmens Glaubwürdigkeit verleihen würden. Damit haben Prodeco und Glencore die Empfehlungen der UNGP nicht erfüllt. Diese sind zwar für Unternehmen freiwillig, aber wenn sich ein Unternehmen öffentlich dazu verpflichtet, diese Leitsätze zu befolgen, sollte es diese auch wirklich anwenden. Die Zeitspanne bis zu einer Kommunikation über die menschenrechtliche Folgeabschätzung ist viel zu lange und die Argumente, weshalb Prodeco und Glencore nach wie vor nicht darüber kommunizieren können, überzeugen nicht. Auch gibt es keine Hinweise, dass Prodeco tatsächlich Massnahmen ergreift um gewisse negative Auswirkungen zu beheben.

Dazu zwei Beispiele: das indigene Volk der Yukpa, das in der Bergkette Serranía del Perijá in der Nähe der Prodeco-Minen lebt, verlangt vom Staat seit vielen Jahren die Definition des traditionellen, historischen Territoriums der Ethnie, die Vergrösserung der Reservate und ein Konsultationsprozess über Massnahmen und Projekte, die die Ethnie und ihren Lebensraum betreffen. Die Yukpa haben vor den höchsten Gerichtsinstanzen des Landes Recht bekommen, die Behörden setzen diese Urteile aber nicht um. Bezüglich der Kohleminen der verschiedenen Unternehmen wurden die Yukpa nie konsultiert. Nun versucht Prodeco ein Erweiterungsprojekt umzusetzen, bevor das Territorium, das den Yukpa traditionsgemäss zusteht, definiert ist und die Yukpa dann über das Projekt konsultiert worden wären. Der kolumbianische Staatsrat hält in seinem Urteil von März 2020 klar fest, dass Prodeco unrechtmässig versuchte, das Projekt trotzdem vorwärts zu treiben, und dass damit die Grundrechte der Yukpa verletzt würden. Das Erweiterungsprojekt ist jetzt zwar gerichtlich blockiert, aber die Yukpa warten immer noch auf eine Lösung und auf ausreichenden Lebensraum. Die Yukpa beklagen zudem (Todes-)Drohungen, weil sie als Entwicklungsverhinderer beschimpft werden. Gleichzeitig beklagen die Arbeiter und die Gewerkschaft Entlassungen und verlangen mit Nachdruck die Wiederaufnahme des Kohleabbaus. Prodeco kommuniziert in dieser Situation ungenügend und die Öffentlichkeit hat keine Klarheit, wie Prodeco die verschiedenen Auswirkungen und Ansprüche managen will. Ebenso ist keine klare Strategie bekannt, wie Glencore den Yukpa helfen will, ein würdiges, kulturell angepasstes Leben führen zu können, nachdem der Bergbau verschiedene Lebensgrundlagen der Yukpa massiv beeinträchtigt hat.

Das zweite Beispiel betrifft die Umsiedlung von El Hatillo. Zehn Jahre nachdem der Staat die Umsiedlung angeordnet hat und zwei Jahre nach der Unterzeichnung des mühsam ausgehandelten Umsiedlungsplanes kam die Umsiedlung zu einem Stillstand. Eine der drei Firmen, Colombian National Resources CNR, befindet sich in einer Restrukturierung um den Konkurs abzuwenden und hat deshalb ihren Beitrag an die Umsiedlungskosten nicht in den Treuhandfonds eingezahlt. Prodeco bezahlte seine Quote für das letzte Quartal 2020 verspätet und zeigt auch sonst wenig Interesse, seinen Verpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Für die Gemeinschaft El Hatillo hat das schwerwiegende Konsequenzen, da individuelle Umsiedlungen plötzlich ins Stocken kommen, Kaufvereinbarungen für Häuser nicht eingehalten werden können, einkommensgenerierende Projekte zu scheitern drohen und die soziale Situation in El Hatillo sich massiv verschlechtert. Führungspersonen von El Hatillo befürchten eine erneute Hungerkrise wie 2013. Prodeco trägt an dieser Situation nicht die Hauptschuld, aber gemäss Aussagen der Führungspersonen und BeraterInnen der Gemeinschaft hat Prodeco die frühere proaktive, hilfsbereite Haltung gegenüber der Gemeinschaft aufgegeben. Prodeco stellt sich auf den Standpunkt, sie hätten die Verpflichtungen erfüllt und es sei Sache der zuständigen Behörden, über das weitere Vorgehen zu befinden. Prodeco könnte aber zumindest unabhängig von den Umsiedlungsgeldern die grössten Probleme und sozialen Notlagen lindern und dazu eine klare Stellungnahme abgeben. Unternimmt Prodeco nichts, lässt sie es zu, das die Menschenrechte der Gemeinschaft El Hatillo erneut und in gravierender Art und Weise verletzt werden, obwohl Prodeco die Mittel dazu hätte, dies zu verhindern.

Die Ausführungen zur mangelnden Transparenz von Glencore und Prodeco über die Menschenrechtspolitik allgemein und die menschenrechtliche Folgeabschätzung und die darauf aufbauenden Massnahmen im Speziellen sowie die beiden angeführten Beispiele zeigen in aller Deutlichkeit, dass freiwillige Massnahmen nicht genügen. Weder führen freiwillige Instrumente wie die UNGP dazu, dass Glencore und Prodeco transparent informieren, noch dass sie zeitgerecht Massnahmen ergreifen, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Die Konzernverantwortungsinitiative würde dazu führen, dass Glencore und Prodeco ihre Sorgfaltspflicht ernst nehmen müssen, konkrete und geeignete Massnahmen ergreifen müssen, um Risiken und Schäden zu verhindern oder zu mindern und dass sie darüber transparent und nachvollziehbar kommunizieren müssen. Die Konzernverantwortungsinitiative sollte also vor allem präventive Wirkung entfalten und Schäden verhindern helfen. Die Konzernverantwortungsinitiative würde es aber beispielsweise den Yukpa auch ermöglichen, in der Schweiz für den Verlust der Lebensgrundlage und für gesundheitliche Schäden wegen Mangelernährung auf Schadenersatz zu klagen, wenn Prodeco keine geeigneten Gegenmassnahmen ergriffen hat. Deshalb ist ein JA! Zur KVI dringend notwendig.