Weiterhin grosse Herausforderungen und soziale Probleme in der Kohlenregion des Cesar

Mrz 20, 2021

Von Stephan Suhner

In Bezug auf die Rückgabe der Bergbaulizenz von Prodeco an den Staat gibt es weiterhin keine Klarheit. Obwohl die 30-Tagefrist der Nationalen Bergbauagentur (ANM) zur Beantwortung des Ersuchens von Prodeco abgelaufen ist, hat die ANM am 16. März 2021 Prodeco eine weitere zehntägige Frist gesetzt, um weitere Informationen zu erhalten. Auf der Grundlage dieser Informationen will die ANM dann entscheiden, ob sie die Rückgabe der Bergbautitel durch Prodeco akzeptiert oder nicht. Gerüchteweise gebe es Unternehmen aus Australien und den USA, die die Konzessionen übernehmen möchten. Trotzdem hat die ANM eine interdisziplinäre Gruppe aufgestellt, um das Rückgabeersuchen von Prodeco zu prüfen. Evaluiert werden soll unter anderem die Einhaltung der vertraglichen und gesetzlichen Pflichten durch Prodeco bei allen 5 Titeln, sowie die Bereiche soziale, technische und Umweltauflagen. Vor allem auf die Erfüllung der Verpflichtungen im Umweltbereich wird auch die Behörde für Umweltlizenzen ANLA ein Auge drauf werfen.[1]

Opposition im Parlament ergreift die Initiative

Oppositionelle Parlamentarier unter Feliciano Valencia gelangten deshalb am 11. März 2021 an die ANM und forderten sie auf, Klarheit zu schaffen und die Antwort an Prodeco öffentlich zu machen. Dabei beriefen sich die Parlamentarier auf das Oppositionsstatut und auf ihr Recht, politische Kontrolle auszuüben. Artikel 108 des Bergbaugesetztes besagt, dass ein Bergbauunternehmen für die Rückgabe der Titel alle Verpflichtungen die aus der Konzessionsvergabe hervorgehen, erfüllt haben muss. Die Parlamentarier um Valencia zeigten sich besorgt darüber, dass trotz des Ablaufs der 30-Tagefrist noch keine Verlautbarung der Bergbaubehörde ANM bekannt sei.[2] Ebenso wurde am 17. März eine Parlamentarische Ad hoc Kommission gebildet um die Situation des Kohlebergbaus genau zu beobachten und sich um die Krise des Sektors zu kümmern. Ursprünglich wurde diese Kommission ausschliesslich von Abgeordneten der Opposition vorgeschlagen, nach der Abstimmung im Kongress ist sie nun aber breiter aufgestellt, wobei die genaue Zusammensetzung noch nicht völlig klar ist. Senatoren verschiedener Parteien hatten ihre Sorge über die immer grösseren sozialen und Umweltschäden des Kohleabbaus ausgedrückt, verschärft durch den angekündigten überstürzten Rückzug verschiedener Unternehmen aus dem Geschäft. Zudem sei dieser Prozess vom Staat nicht genügend geplant und überwacht worden, was nun zu Massenentlassung und grosser Verunsicherung in den Kohleregionen führt.  Die Ad-hoc Kommission will mit der Zivilgesellschaft und der Akademie zusammenarbeiten und die von der Regierung getroffenen oder noch zu treffenden Massnahmen begleiten und politische Kontrolle ausüben.[3]

Boquerón wird doch nicht umgesiedelt

Die Nationale Behörde für Umweltlizenzen respektive das Umweltministerium hat mit der Resolution 0071 vom 2. Februar 2021 den Status als Verschmutzungsquelle von Boquerón aufgehoben, womit auch die 2010 angeordnete Umsiedlung obsolet wird. Am 16. Februar gab es daher ein Treffen mit der Gemeinschaft Boquerón, an dem Umweltministerium, ANLA, Parlamentarier des Cesar, der Gouverneur des Cesar, die Bürgermeister von La Jagua und El Paso teilnehmen, sowie Vertreter von Boquerón und ein paar umliegenden Gemeinden. Nachdem die Luftverschmutzungsquellen in der Kohleregion des Cesar neu bestimmt wurden und Boquerón nicht mehr zu den verschmutzten Orten gehört und deshalb nicht mehr umgesiedelt werden muss, braucht es dringend Alternativen. Nachdem die Nichtumsiedlung von Boquerón offiziell angekündigt worden war, verpflichteten sich die Nationalregierung, das Departement und die beiden Bürgermeister zusammen mit den Unternehmen, einen Pakt für die Verbesserung der Lebensumstände aufzugleisen. Als Alternative wurden nun ein Pakt für Wohlstand und Entwicklung beschlossen. Es ist eine gemeinsame Anstrengung der kolumbianischen Regierung auf Gemeinde- Departements- und nationaler Ebene mit dem Privatsektor und der Begleitung durch die Parlamentarier aus dem Cesar. Der Pakt hat sechs Strategien: 1) Wohnraum, 2) Trinkwasser und Siedlungshygiene; 3) Gesundheit; 4) Bildung; 5) Ernährungssicherheit, 6) Unternehmertum. Diese sechs strategischen Linien sollen die Lebensbedingungen der Gemeinschaft von Boquerón verbessern.

In den Worten der Vizeministerin für Bergbau, Sandra Sandoval, sollen mit dem Pakt nicht nur dringende Bedürfnisse befriedigt, sondern die Lebensqualität längerfristig verbessert werden. Das zeige die Wichtigkeit der Zusammenarbeit der verschiedenen Regierungsebenen und der Gemeinschaft auf. Es sei eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft einen integralen Investitionsplan und Projekte umzusetzen, die die Gemeinschaft schon lange verlangt. Dabei soll insbesondere der Landwirtschaftssektor gestärkt werden, auch mit neuartigen Projekten, die zur Nachhaltigkeit beitragen. Zuerst werden die Bedürfnisse und die Aspekte, die zu einem Wandel des Territoriums führen können evaluiert, um dann Leuchtturmprojekte definieren zu können. Einige Projekte dazu wurden von der Gemeinschaft schon definiert. Einige der Projekte werden über die Territorialen Entwicklungspläne PDET abgewickelt, andere durch die verschiedenen Regierungsebenen oder die Unternehmen der Region. Für den Bürgermeister von La Jagua de Ibirico geht es in Boquerón darum, nach 13 Jahren der Vernachlässigung definitive Lösungen zur nachhaltigen Entwicklung zu finden, um Armut und Unterentwicklung zu überwinden.[4] Am 18. März fand ein Arbeitstisch, angeführt von Generaldirektor des ANLA Rodrigo Suarez statt, um die Kompensationsleistungen für Boquerón weiter zu diskutieren. Es war der dritte hochrangige Besuch der ANLA in Boquerón. Die Idee ist, dass die Bergbaufirmen nicht weniger als 1% ihres Umsatzes in Kompensationsmassnahmen investieren.[5]

Trotz dieser Ankündigungen bleibt vieles unklar. Zum einen wird bemängelt, dass der Entscheidung keine umfassende technische Untersuchung zugrunde liegt, im Gegensatz zur Untersuchung durch die mexikanische Universität von Monterrey die die Grundlage für die Anordnung der Umsiedlungen bildete. Die Minenunternehmen hatten schon immer bezweifelt, dass basierend auf Umwelt- und Gesundheitskriterien die Umsiedlung von Boquerón, im Gegensatz zu Plan Bonito und El Hatillo, nötig sei. Im Jahr 2018 hatten die Minen offiziell eine Abänderung der Umsiedlungsresolution beantragt. Verschiedene Stimmen äussern Zweifel an den Messwerten bezüglich der (Fein-)Staubbelastung. Gemeinschaftsmitglieder beklagen, dass sich die Messstation unter Bäumen/im Gebüsch befinden und auch dauernd Mitarbeiter der Minenbetreiben bei der Messstation vorbeigehe. Wenn nun die Umsiedlungsresolution aufgehoben wird, ist es denkbar dass die Minenbetreiber vom Staat die investierten Gelder zurückfordern können.

Boquerón selbst ist eine zutiefst gespaltene Gemeinschaft, was es nicht leichter macht zu wissen, was die Gemeinschaft will und was das Beste für die ist. Ein Teil der Gemeinschaft ist in einem afrokolumbianischen Gemeinschaftsrat organisiert, ein anderer Teil in der Junta de Acción Comunal. Es gibt Sprecher der Gemeinschaft, die nicht in Boquerón leben, es gibt Neuzuzüger die spekulativ hinzogen wegen der angekündigten Umsiedlung, und es gibt Familien die seit Generationen in Boquerón leben. Ein Teil der „Bewohner“ will unbedingt die Umsiedlung, ein Teil will sie nicht. Da gerechte Lösungen zu finden ist nicht einfach, zumal auch die Unternehmen und der Bürgermeister Eigeninteressen verfolgen. Problematisch ist auf jeden Fall, dass während gut zehn Jahren die Illusion einer Umsiedlung aufrecht gehalten wurde, und nun ein plötzlicher Übungsabbruch erfolgt.

Die soziale Lage in Boquerón ist auf jeden Fall angespannt, es gibt hohe Arbeitslosigkeit, Hunger, unterernährte Kinder und Gewalt, alles verschlimmert durch die Coronapandemie. Seit vielen Jahren wurde kaum mehr in die Gemeinschaft investiert, es fehlt an Infrastruktur und es gibt viele unbefriedigte Grundbedürfnisse. Stimmen aus der Gemeinschaft und NGOs erachten die getroffenen Massnahmen als ungenügend (Projekt Boquerón avanza y emprende), um eine nachhaltige Lösung der sozialen Probleme und eine selbsttragende Entwicklung anzustossen und fordern einerseits einen Übergangsplan, der nie gestartet wurde, und grössere, nachhaltige, allenfalls kooperative, Projekte. Seit langem hätte es diesen Übergangsplan geben sollen, angeblich wollten die Unternehmen diesen aber erst nach Abschluss des Censo (soziodemographische Erhebung) erarbeiten. Der Censo wurde zwar durchgeführt, aber dessen Resultate nie unterzeichnet

Lösungen für die blockierte Umsiedlung von El Hatillo?

Etwas Bewegung gibt es im Falle von El Hatillo. Die Umsetzung des Umsiedlungsplanes PAR wurde ja blockiert, weil das Unternehmen Colombian Natural Resources CNR in einem Restrukturierungsprozess ist und sie zu 40% für die Finanzierung der Umsiedlung von El Hatillo verantwortlich ist, diese Gelder aber nicht mehr in den gemeinsamen Fonds einbezahlte. Es gab nun am 25. Februar 2021 ein Comité Operativo[6], wo Kontrollmechanismen verbessert wurden und eine Formel gesucht wurde, um die finanziellen Mittel für eine Verbesserung der Lebensumstände der Familien im Umsiedlungsprozess zu garantieren. Um die Mittel für die Umsiedlung garantieren zu können braucht es das Engagement verschiedener Behörden, v.a. solange CNR nicht bezahlen kann. Auch in diesem Fall, wie bei Boquerón, wollen die Parlamentarier aus dem Cesar ein Monitoring machen. Um den Umsiedlungsprozess vorwärts zu bringen, muss v.a. die Regel abgeändert werden, dass nur gearbeitet werden kann, wenn alle Unternehmen ihren Teil einbezahlt haben. Die vorhandenen Mittel sollten aber unabhängig von der Restrukturierung von CNR verwendet werden können.

Der Gouverneur von Cesar will auch sicherstellen, dass die Ernährungssicherheit von El Hatillo gewährt ist und die soziale und Umweltkrise der Gemeinschaft überwunden werden kann. Zusätzlich zu Investitionen in die Gesundheit und die Bildung sei es auch wichtig, in die Produktivität der Gemeinschaft zu investieren und ein landwirtschaftliches Modell zu entwickeln, dass die Armut überwinden hilft und für Einkommen und würdige Arbeit sorgt. Die sozialen Führungspersonen haben etwas Hoffnung geschöpft nach dem Comité Operativo. Einerseits sei es gelungen, die Unregelmässigkeiten bei der Implementierung des Umsiedlungsplanes PAR aufzuzeigen, ebenso wie die falschen Informationen, die zirkulieren. Sie haben nun erneut Hoffnung, dass der 11-jährige Prozess zu einem guten Abschluss kommt und die dafür nötigen finanziellen Mittel gefunden werden.[7]

Die Führungspersonen von El Hatillo verlangten im Comité das Erfüllen des Zeitplanes für die Implementierung des PAR und die daraus sich ergebenden Verpflichtungen und das Erfüllen der Transaktionsabkommen, die die individuellen Umsiedlungen der Familien regeln. Ebenso soll ein Notfallplan erarbeitet werden, um die humanitäre Notlage anzugehen, und der Übergangsplan soll überarbeitet und umgesetzt werden, um die Lebensqualität zu verbessern. Weiter sollen die Vertragsbestimmungen des Fonds so abgeändert werden, dass die bisher vorhandenen Finanzmittel verwendet werden können, ohne dass alle drei Unternehmen unterzeichnen müssen. Zudem sollen im Restrukturierungsprozess von El Hatillo die Ansprüche von El Hatillo Priorität geniessen. Ebenso erwartete El Hatillo Antworten darauf, wann und wie CNR seinen Teil an der Umsiedlung erfüllt, und wer die Verpflichtungen Prodecos übernimmt, wenn die Rückgabe der Titel akzeptiert wird. Wird die Regierung die Erfüllung der sozialen Altlasten (u.a. Umsiedlungen) verlangen, bevor die Rückgabe der Bergbautitel akzeptiert wird?

Das Comité beschloss, alle drei Monate ein Treffen abzuhalten um den Umsiedlungsprozess zu reaktivieren. In den vergangenen zehn Jahren gab es nur drei Sitzungen des Comité Operativo. Ebenso wird ANLA nach Wegen suchen, um die Verpflichtungen der Unternehmen in der Umsiedlung zu individualisieren, so dass der Prozess nicht mehr wegen Zahlungsverzug eines einzelnen Unternehmens blockiert wird. Ebenso wird ANLA mit der Superintendencia de Sociedades (Unternehmensaufsicht) schauen, wie der Restrukturierungsprozess von CNR beschleunigt und die ausstehenden Verpflichtungen gegenüber El Hatillo priorisiert werden können. ANLA und das Gouverneursamt werden schauen, wie sie die finanziellen Verpflichtungen von CNR vorfinanzieren können und der Gouverneur verpflichtet sich, die humanitäre Notlage in El Hatillo anzugehen.

Die Gemeinschaft und Begleitorganisationen bleiben skeptisch, da es sich bisher erst um Ankündigungen handelt, dass man Lösungen suchen werde. Weder die Freigabe der Gelder für die Umsiedlung ist schon Tatsache noch sind die Gelder für die Überwindung der humanitären Notlage tatsächlich gesprochen. Wie kritisch und angespannt die Lage in El Hatillo ist zeigt ein neuer Protest der am 15. März begonnen hat. Frauen aus El Hatillo blockieren die Zufahrtsstrasse zum Palmölunternehmen Palmagro, um den Staat auf die schwierige humanitäre Lage aufmerksam zu machen. Die Frauen beklagten sich, dass sie vom ESMAD angegriffen werden. Am 16. März 2021 gegen 19.15 sei der ESMAD gekommen und habe Tränengas verschossen[8], obwohl Kinder und Betagte am friedlichen Protest beteiligt waren. Die Protestierenden forderten Arbeit und Einkommensmöglichkeiten, Lösung für die humanitäre Notlage und sie beklagen sich über die Umweltbelastung der Palmölfabrik.[9]

 

 

[1] https://www.paisminero.com/mineria/mineria-colombiana/22967-le-piden-a-prodeco-informacion-clave-para-su-retiro-de-colombia

[2] https://mobile.twitter.com/felicianovalen/status/1370148108018016256

[3] https://www.ivancepedacastro.com/senado-de-la-republica-crea-comision-accidental-para-atender-la-crisis-generada-por-la-actividad-minera-de-carbon-a-gran-escala-en-el-caribe-colombiano/

[4] https://www.minenergia.gov.co/web/10180/historico-de-noticias?idNoticia=24272743

[5] https://elpilon.com.co/mesa-de-trabajo-de-la-anla-llego-a-boqueron/

[6] Hochrangiges Organ mit Behördenbesetzung zur Begleitung des Umsiedlungsprozesses

[7] https://www.laregional.net/ante-el-ministerio-de-minas-gestionaran-recursos-para-reasentamiento-en-el-hatillo/

[8] https://twitter.com/fundachasquis/status/1371992408838275074

[9] https://www.elespectador.com/noticias/nacional/comunidades-de-el-hatillo-en-el-paso-cesar-denuncian-represion-por-parte-del-esmad/