Umsiedlung von El Hatillo unterbrochen – Rechtsverletzungen und Hungerkrise drohen

Nov 17, 2020

Von Stephan Suhner

Am 23. Oktober 2020, morgens um 7 Uhr startete die Gemeinschaft von El Hatillo eine Protestaktion gegen die verschleppte Umsetzung des Aktionsplanes für die Umsiedlung, in dem sie die Zugslinie blockierten. Im November 2018, nach fast acht Jahren Verhandlungen, wurde der Umsiedlungsaktionsplan verabschiedet. Die Umsetzung verzögerte sich jedoch immer wieder. So hatte die Gemeinschaft schon am 14. November 2019 eine Protestaktion gemacht und die Zugslinie blockiert. Grund für den erneuten Protest waren weitere Verzögerungen und nicht erfüllte Punkte: So ist das Land für das neue El Hatillo noch immer nicht gekauft, die Verträge für individuelle Umsiedlungslösungen kommen nicht vorwärts, die Frist für individuelle Umsiedlungen würde aber im Januar 2021 ablaufen. Es gibt für diese Familien kaum nachhaltige Projekte zur Einkommensgenerierung und grosse Verzögerung beim Kauf von Wohnungen und Häusern. Die Unternehmen verzögern Antworten beim Beschwerdemechanismus manchmal für Monate. Die staatlichen Kontrollbehörden sind untätig, die Gemeinschaft fühlt sich vom Staat vernachlässigt.

Zudem ist die Lebensqualität in El Hatillo nach wie vor sehr schlecht. Die Situation hat sich auch dadurch verschärft und die Unsicherheiten sind gewachsen, weil wegen der COVID19-Pandemie und der Krise des Kohlemarktes die Minen ihren Betrieb vorübergehend eingestellt haben. Seit längerer Zeit verlangt El Hatillo Antworten und Garantien, dass die Umsiedlung trotz finanzieller Probleme der Minen fertig umgesetzt wird. Die Gemeinschaft verlangte mit dem Protest die Präsenz der Firmenvertreter und die Erfüllung des Umsiedlungsplanes. Von den Unternehmen erschien jedoch nur Drummond vor Ort. Drummond sprach auch nur für sich selbst, nicht im Namen der drei Unternehmen wie früher[1]. Gleichzeitig kam auch die Aufstandsbekämpfungspolizei ESMAD und hat den Protest aufgelöst und die Zugsstrecke geräumt. Vorübergehend wurden Protestteilnehmer auf den Polizeiposten geführt, es kam aber glücklicherweise weder zu übertriebener Gewalt noch wurden die Protestierenden länger festgehalten. Die schlimmsten Befürchtungen der Bewohner von El Hatillo bezüglich der Umsiedlung sollten sich aber bewahrheiten.

Staatliche Untätigkeit und finanzielle Engpässe der Minenbetreiber

Die beiden Resolutionen 970 und 1525, die die Umsiedlung anordneten, verlangten auch die Etablierung eines gemischten Begleitorgans (Comité Operativo). Dieses Comité Operativo sollte ein Mechanismus darstellen, worin die verschiedenen Akteure teilnehmen und wo Probleme identifiziert und analysiert werden, um eine rasche und gute Umsiedlung zu ermöglichen. Dieses Comité müsste ein Follow-up über die Erfüllung der Resolutionen und des Umsiedlungsplanes machen. Es müsste mindestens einmal jährlich einberufen werden, bis Anfang 2020 gab es aber lediglich drei Treffen des Comité Operativo.

Schon im November 2019 war bekannt, dass der Mutterkonzern von CNR, Murray Energy, in den USA in einem Konkursverfahren steht. CNR betonte, dass sie davon nicht betroffen seien und ihre Verpflichtungen, auch bezüglich der Umsiedlung, einhalten werden. Obwohl die Führungspersonen von El Hatillo früh auf die Gefahr eines Operationsstopps aufmerksam machten und Garantien für die Gelder im Treuhandfonds (Fiducia) verlangten, verneinte die Behörde für Umweltlizenzen (ANLA) Ende 2019 jegliche Zuständigkeit in dieser Frage. Da sich die finanziellen Schwierigkeiten mit dem Treuhandfonds und die Rückstände bei der Implementierung des PAR verstärkten, verlangte El Hatillo im Comité Operativo vom 20. Februar 2020 erneut Garantien um die Umsiedlung fertigstellen zu können. Erst sieben Monate später antwortete ANLA und sagte erneut, dass sie nicht die Befugnis hätten, die finanzielle Situation der Unternehmen und des Treuhandfonds zu überwachen.

Wegen COVID19 waren die Minen im Frühjahr 2020 vorübergehend stillgelegt worden. Am 14. Juli 2020 wurde bekannt, dass Prodeco die zeitlich unbegrenzte Stilllegung der Minen bei der Bergbaubehörde verlangte, da verschiedene Unsicherheiten bestünden und Bewilligungen der Behörden ausstehen würden. Im Oktober 2020 suspendierte auch CNR die Abbautätigkeit. Lediglich Drummond bezahlte die Gelder für das letzte Quartal rechtzeitig in den Treuhandfonds ein, d.h. bis am 24. September. Prodeco bezahlte verspätet, erst am 4. Oktober, und CNR bezahlte die Gelder überhaupt nicht mehr. Am 22. Oktober informierte CNR, dass sich das Unternehmen in einem Restrukturierungsprozess durch die Unternehmensaufsicht befinde und deshalb, solange dieser Prozess andauere, den Verpflichtungen des Umsiedlungsprozesses nicht mehr nachkommen könne. Am 24. Oktober informierte der Operator Socya, dass er abwarte welche Massnahmen und Entscheidungen die Firmen treffen würden und, dass in der Zwischenzeit die Arbeiten zur Umsiedlung ausgesetzt würden. Prodeco liess sich zuerst als einziges Unternehmen überhaupt nicht verlauten, erst am 29. Oktober, u.a. nach Interventionen der ask!, veröffentlichte das Unternehmen ein dürres Communiqué.

Glencore Prodeco schweigt angesichts der sozialen Krise in El Hatillo

Der Umsiedlungsprozess ist momentan also unterbrochen und die Gemeinschaft hat bisher auch von den zuständigen Behörden keine öffentliche Kommunikation über das „Wie weiter“ erhalten und steht vor grossen Unsicherheiten. Verschiedene wichtige Aktivitäten sind nun ebenfalls blockiert, mit schwerwiegenden Konsequenzen: etwa ein Dutzend Familien haben die Umsiedlungsverträge für individuelle Lösungen schon unterzeichnet und sind daran, Häuser zu kaufen und einkommensgenerierende Projekte aufzugleisen, was nun nicht weitergeht. Erste Familien befürchten, dass sie die eben erst gekauften Häuser wieder verlieren könnten. Ebenso ist das Grundstück für das neue Hatillo noch nicht gekauft. Zudem sind der 2013 nach der Hungerkrise vereinbarte Lebensmittelkorb und die Unterstützungszahlungen an bedürftige Haushalte gefährdet sowie auch die Gesundheitsversorgung. Da die Minen kaum mehr Arbeit und Aufträge vergeben, ist die soziale Lage in El Hatillo prekär, es besteht das Risiko einer neuen Hungerkrise. Der Übergangsplan, welcher der Bevölkerung ein würdiges Leben bis zum Umzugstermin garantieren sollte, müsste dringend verbessert und den BewohnerInnen von El Hatillo einkommensgenerierende Projekte ermöglicht werden.

Was uns als ask! besondere Sorge bereitet ist die unklare Haltung von Prodeco. Prodeco war bis letztes Jahr eher die aktivste Firma, um den Umsiedlungsprozess vorwärts zu bringen und hat auch mal Projekte alleine durchgeführt und finanziert. Da Prodeco nun Probleme mit dem rentablen Betrieb der Mine hat und die Operation suspendiert ist, hat Prodeco verspätet in den Treuhandfond einbezahlt und sich auch sonst öffentlich kaum geäussert. Führungspersonen und Berater der Gemeinschaft El Hatillo beklagen sich, dass auch Klagen und Fragen der Bevölkerung erst Monate später beantwortet werden. Gegenüber der ask! versicherten Prodeco und Glencore zwar, dass sie grundsätzlich ihre Verpflichtungen in der Umsiedlung erfüllen wollen und auch die sonstigen sozialen Programme, sofern es COVID19 erlaubt, weiter laufen würden. Tatsache ist aber, dass Prodeco die Verantwortung, wie es mit der Umsiedlung weitergehen soll, auf den Staat abschiebt und bisher keine Massnahmen seitens Prodeco bekannt wären, wie sie die Notlage in El Hatillo entschärfen wollen. Auch wenn rechtlich der Prozess blockiert ist, hat Glencore Prodeco die Verpflichtung, zu verhindern dass durch den Unterbruch im Umsiedlungsprozess die Menschenrechte der Bevölkerung von El Hatillo weiter verletzt werden. Dies gilt insbesondere für den Verlust von Häusern mitten im Umsiedlungsprozess und für Einkommensgenerierung und Ernährungssicherheit. Die Respektierung der Menschenrechte darf nicht vom Geschäftsgang abhängig und nur eine Schönwetterpolitik sein. Darum braucht es die Konzernverantwortungsinitiative, damit klar vorgegeben ist, was für Sorgfaltspflichten Unternehmen zu erfüllen haben. Die ask! hat verschiedene Briefe an die kolumbianischen Behörden und die drei Firmen verfasst, Unterschriften dafür gesammelt und die Briefe danach verschickt. Weitere Lobbyaktivitäten sind gemeinsam mit den Partnern vor Ort in Planung und wir werden regelmässig über den Fall berichten.

 

[1] Da die drei Unternehmen Colombian Natural Resources, Drummond und Glencore-Prodeco die Umsiedlung gemeinsam durchführen müssen, war es üblich, dass ein Unternehmen für alle drei Stellung nahmen. Die finanzielle Verantwortung liegt aber anteilsmässig bei jedem einzelnen Unternehmen und kann nicht von anderen übernommen werden.