Offener Brief der sechs Autoritäten der Yukpa an den Generalstaatsanwalt Kolumbiens
Von Stephan Suhner
Am 10. August 2020 gelangten die Gouverneure und Gouverneurinnen der sechs Cabildos vom Volk der Yukpa mit einem offenen Brief an verschiedene Behörden, so an den Generalstaatsanwalt, an den Direktor des Rechnungshofes, an den Procurador, an den Ombudsmann für Menschenrechte, an das Verfassungsgericht sowie an die OAS und die UNO und an ausgewählte Medien. Im offenen Brief forderten sie die Behörden, insbesondere den Generalstaatsanwalt, auf, Wort zu halten und forderten verschiedene Schutzmassnahmen und die Umsetzung der Urteile zu ihren Gunsten. Der offene Brief zitiert verschiedene Zeitungsartikel und Beweismittel. Vorliegend handelt es sich um eine Arbeitszusammenfassung.
Der heutige Generalstaatsanwalt, Francisco Roberto Barbosa, traf sich am 9. Oktober 2019 noch in seiner Eigenschaft als Präsidialer Berater für Menschenrechte mit den sechs Cabildos Gobernadores des Volkes der Yukpa in Valledupar. Eines der Themen bei jenem Treffen war der Tod von 42 indigenen Kindern zwischen dem 7. August 2018 und dem 7. August 2019, d.h. im ersten Regierungsjahr von Präsident Duque. Diese Kinder starben wegen Unterernährung verursacht durch Umweltprobleme und Verlust des Territoriums. Einer der Hauptgründe dafür ist der Vormarsch des Grossbergbaus. Dieser Vormarsch führte dazu, dass Flüsse für die Yukpa nicht mehr zugänglich waren, wo sie fischten, dass ihre Jagdgründe verloren gingen und dass ihr Territorium, in dem sie als Halbnomaden Wanderfeldbau betrieben und Sammeltätigkeiten nachgingen, eingeengt wurde Die Yukpa leben sowohl in Kolumbien und Venezuela und hätten als binationales Volk gemäss ILO Konvention 169 Anspruch auf die doppelte Staatsbürgerschaft. Viele venezolanische Yukpa leben aber als rechtlose Flüchtlinge in verschiedenen kolumbianischen Städten, da ihnen Kolumbien die doppelte Staatsbürgerschaft verweigert. 2008 kam es zur gewaltsamen Vertreibung von 2‘800 Yukpa und diese leben heute verstreut in 15 Städten in grosser Armut. Beim Treffen vom 9. Oktober 2019 versprach Francisco Barbosa, mit den Yukpa alle Flüsse abzulaufen und den Zustand der Flüsse und des Territoriums zu verifizieren.
Dementsprechend verlangen die Yukpa, dass der Generalstaatsanwalt Barbosa zusammen mit dem Direktor der Staatsanwaltschaft für Umweltdelikte die Orte besucht, wo Glencore und Drummond die Flüsse umgeleitet haben. Der Rechnungsprüfungshof (Contraloría) hatte bei einem Audit der Bergbauprojekte in der Serranía del Perijá verschiedene Missstände/Befunde aufgedeckt, von denen einige strafrechtlicher Natur sind. Die Yukpa verlangen Auskunft darüber, wie weit die strafrechtlichen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen die Behörde für Umweltlizenzen ANLA und gegen die regionale Umweltbehörde Corpocesar schon gekommen sind. Ebenso verlangen die Yukpa die Präsenz des Direktors der Staatlichen Disziplinarbehörde Procuraduria, um über den Stand der Disziplinarverfahren gegen ANLA und Corpocesar zu informieren.
Die Überprüfung durch die Contraloría zeigte verschiedene irreparable Umweltschäden auf, die durch die Minenunternehmen in der Region verursacht wurden, sowie die gravierenden Unterlassungen der nationalen und regionalen Umweltbehörden. Der Auditbericht der Contraloría stammt von Mai 2019 und berücksichtigt Ereignisse bis Dezember 2018. Von den 47 Befunden sind 36 disziplinarischer Natur, sieben strafrechtlicher Natur. Unter den Augen des Umweltministeriums, der ANLA und Corpocesar seien das Territorium und die Umwelt geschädigt und verschmutzt worden, mit negativen Folgen für die Bevölkerung, das Waldreservat, für die Qualität und Menge des Wassers, sowie für die Luftqualität und die Biodiversität. Die Contraloría kritisiert weiter, dass es keine Wiedergutmachung, Kompensation und Wiederherstellung der Schäden gebe und auch nach über zwei Jahrzehnten Bergbau immer noch keine Klarheit herrsche über das Ausmass der Verschmutzung und die Folgen für die Gesundheit der Bewohner.
Die Umleitung des Flusses Calenturitas hat zwei weitere Flüsse beeinträchtigt. Von 2007 bis 2015 wurden fünf kleinere Änderungen an der Umweltlizenz der Mine Calenturitas von Prodeco bewilligt, so z.B. die Erhöhung der Förderung von 11 auf 12,5 Mio. Tonnen, Verladestationen und zwei Flussumleitungen. Dabei seien aber nie alle möglichen Schäden die entstehen könnten, evaluiert worden. Da es sich nur um „kleine“ Änderungen gehandelt habe, sei es zu einer schlechten Handhabung und mangelndem Monitoring gekommen. Z.B. führte die Umleitung des Flusses Calenturitas zu einer Veränderung des Wasserflusses und der Wassermenge und beeinträchtigte auch zwei weitere Flüsse, den Tucuy und den Maracas, deren Einmündungen ebenfalls geändert werden mussten. Alle diese Folgeerscheinungen wurden zu wenig in Betracht gezogen. Den Umweltbehörden wirft die Contraloría Unterlassung und Rechtsverzögerung vor, da gewisse Untersuchungen schon 2010 oder 2012 gestartet und bis heute nicht beendet wurden. Calenturitas wurden 1995 mit einem Umweltmanagementplan gestartet, der für mittelgrossen Bergbau gilt, nachfolgende Erweiterungen erfolgten ohne grundsätzlich neue Lizenzen und Umweltmanagementpläne.
Die Yukpa erklären sich durch das verantwortungslose Verhalten von Prodeco verängstigt und bedroht. Glencore Prodeco sei inmitten des bewaffneten Konfliktes in das Territorium der Yukpa gekommen und habe sie in den Hochlagen der Serranía eingesperrt (confinar), obwohl sie Nomaden sind, um so ohne eine vorgängige Konsultation (FPIC) Kohle abbauen zu können. Die multinationalen Unternehmen Glencore Prodeco und Drummond haben gemeinsam mit ANLA, Corpocesar und der Direktion für vorgängige Anhörung und Konsultation des Innenministeriums über 10‘000 Hektaren Land des Waldreservates Los Motilones herausgelöst, um den Bergbau zu ermöglichen. Dieses Land gehörte traditionell den Yukpa. Durch den Bergbau trockneten Flüsse aus, die wichtigste Proteinquelle der Yukpa.
Am 3. März 2020 hat der Staatsrat in 2. Instanz beschlossen, dass keinerlei Lizenzen mehr vergeben werden dürfen, bis das traditionelle Territorium der Yukpa abgegrenzt/definiert ist, und suspendierte das Projekt Palomo von Prodeco, womit eine neue Abraumhalde geschaffen worden wäre. Seit Juli 2020 führt Glencore Prodeco eine gefährliche, verdeckte und missbräuchliche Kampagne durch, in dem sie den Arbeitern, Subunternehmen, Politikern etc. sagen, dass sie die Mine wegen den Klagen der Yukpa schliessen werden und dass daher viele Arbeiter ihren Job und die Bürgermeister die Royaltyzahlungen verlieren werden. Das führt für die Anführer des Volkes der Yukpa zu grosser Gefahr. Ebenso versuche Prodeco nur mit ausgewählten Autoritäten der Yukpa zu verhandeln, und nicht mit der gesamten Bevölkerung, was gegen die ILO Konvention 169 und die 72 Mandate der Yukpa verstösst. Ebenso bieten sie den Yukpa Arbeitsplätze in den Minen an, um den Widerstand gegen den Bergbau zu brechen.
Die Yukpa leben in bitterer Armut und leiden Hunger, während dem die Kohleminen auf ihrem Territorium rund 40% des BIP des Cesar oder gut 5% des nationalen BIP erwirtschaften. Die Abgaben der Kohleminen an den Staat werden gemäss verschiedenen Prüfberichten nicht für die wesentlichen Zwecke wie Wasserversorgung und Siedlungshygiene verwendet, sondern beispielsweise für luxuriöse Dorfplätze und Bauwerke. Zudem waren die bisherigen Reaktionen der nationalen Schutzeinheit UNP ungenügend und ineffizient, es wurden keine individuellen und kollektiven Schutzmassnahmen für die traditionellen Autoritäten und Führungsleute der Yukpa vereinbart. Für die Yukpa tragen die Minenunternehmen sowie staatliche Behörden wie ANLA, Innenministerium, Bergbauministerium, Umweltministerium Nationale Landbehörde etc., die Verantwortung für alles was den Yukpa schon wiederfahren ist und noch wiederfahren wird. Aus diesem Grund gelangen die Yukpa auch an die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte und an die UNO-Instanzen. Am 5. September 2019 hat das Volk der Yukpa vorsorgliche Schutzmassnahmen bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission beantragt.
Den Yukpa wurde ihr angestammtes Land auf verschiedene Arten weggenommen, durch Landnahme durch Kleinbauern und Grossgrundbesitzer, durch Ölpalmenanbau, durch Öl- und Gasförderung sowie Grossbergbau und durch den bewaffneten Konflikt. Durch den Verlust ihres Territoriums wurden sie in den hochgelegenen Lagen der Serranía del Perijá in Reservaten auf kleinen Fincas eingezwängt. Die Yukpa leben als Halbnomaden von Jagd, Fischfang, Sammelwirtschaft und Wanderfeldbau, haben aber aktuell pro Familie nur 5000 m2 Land. Nach einiger Zeit an einem Ort ziehen sie weiter und lassen das Land bis zu zehn Jahren ruhen, ehe sie sich wieder am selben Ort niederlassen. Es handelt sich um das einzige halbnomadische Volk in der Karibikregion und das letzte Volk der Karibischen Sprachgruppe, Yukpa Ywonku. Das Volk der Yukpa geniest besonderen Schutz aufgrund ihrer Charakteristik als Halbnomaden. Die ILO Konvention 169 sieht für nomadische und halbnomadische Völker einen besonderen Schutz für ihr Territorium vor, und Kolumbien hat diese Konvention mit dem Gesetz 21 von 1991 ratifiziert. Ein Grossteil des traditionellen Lebensraumes der Yukpa überschneidet sich mit zwei Waldschutzgebieten, der Zona de Reserva Forestal de los Motilones und der ZRF del Río Magdalena. Mit dem Dekret 2164 von 1995 beschloss der kolumbianische Staat, dass das Land der Waldschutzgebiete, die sich mit dem Territorium von halbnomadischen oder nomadischen Völkern überschneiden, nur zur Bildung/Vergrösserung der indigenen Reservate verwendet und nur diesen Völkern übertragen werden darf. Trotz dieser klaren rechtlichen Ausgangslage hat der Staat seit 1995 über 10‘000 Hektaren Land aus dem Waldschutzgebiet herausgelöst, um den Kohleabbau zu ermöglichen.
Im August 2019 hat sich das Volk der Yukpa selbst als halbnomadisches Wanderfeldbau betreibendes Volk anerkannt. Verschiedene anthropologische Untersuchungen und Gutachten belegen den halbnomadischen Charakter der Yukpa, u.a. von mehreren Universitäten und vom Kolumbianischen Institut für Geschichte und Anthropologie ICHAN. Ebenso wurde dieser Sachverhalt vom zuständigen Innenministerium anerkannt. Schon 1996 wurde das Volk der Yukpa zusammen mit sechs weiteren indigenen Völkern durch das Präsidialdekret 1397 als vom Aussterben bedroht erklärt und angeordnet, der Schaffung und Erweiterung von Reservaten für diese Völker Priorität und finanzielle Mittel einzuräumen. Auf deren Territorium dürfe zudem keine Art von Projekt durchgeführt werden, ohne die vorherige Zustimmung des indigenen Volkes eingeholt zu haben. Im Beschluss 004 von 2009 erklärte das Verfassungsgericht die Yukpa aufgrund von Vertreibungen ebenfalls als vom Aussterben bedroht. Mit dem Beschluss 266 von 2017 hielt das Verfassungsgericht fest, dass die Situation der gewaltbetroffenen indigenen Völker, darunter die Yukpa, immer noch der verfassungsmässigen Ordnung widerspreche (estado de cosas inconstitucional). Im Juli 2019 hat das Ombudsbüro für Menschenrechte (Defensoria) in einem Bericht über die Umsetzung des Beschlusses 004 von 2009 festgehalten, dass die Yukpa wegen dem fortgesetzten Verlust ihres Territoriums in ihrer Bewegungsfreiheit und in ihrer traditionellen Wirtschaftsweise bedroht sind, v.a. wegen der Ausdehnung des Bergbaus und der Palmölplantagen. Insbesondere hielt die Defensoria fest, dass das Innenministerium das traditionelle Territorium der Yukpa ausserhalb der kleinen Reservate nicht berücksichtige und daher ausserhalb der Reservate keine Präsenz der Indigenen bestätige und ihnen daher auch kein Recht auf vorgängige Anhörung zugestehe. Bisher wurde auch der Aktionsplan zur Rettung der Yukpa von staatlicher Seite völlig ungenügend umgesetzt.