Morde und Todesdrohungen gegen Landrechtskämpfer und VerteidigerInnen des Territoriums reissen nicht ab 

Mrz 1, 2022

Von Stephan Suhner

Auch im Februar 2022 nahm die Welle an Drohungen und Ermordungen nicht ab. Es kamen dabei Personen zu Schaden, die die ask! kennt, was bei uns noch mehr Betroffenheit als sonst schon auslöst. Es beschäftigt und auch die Frage, was mehr wir noch tun können, als wöchentlich mehrere Communiqués und Protestbriefe mitzutragen, um dem Blutbad Einhalt zu gebieten. In San Martin im Departement Cesar wurden in der Nacht vom 22. Februar 2022 die beiden historischen Führungsfiguren Teófilo Acuña und Jorge Tafur ermordet. In Puerto Wilches und El Carmen de Chucurí würden Führungspersonen des Widerstandes gegen die Pilotprojekte für Fracking mit dem Tod bedroht.

Mord an Teófilo Acuña und Jorge Tafur

Teófilo und Jorge waren Sprecher der Comisión de Interlocución del Sur de Bolívar, Centro y Sur del Cesar, Sur del Magdalena y Procesos de los Santanderes (CISBCSC). Bewaffnete Männer kamen zum Haus wo sich die beiden Anführer befanden, eröffneten das Feuer und verursachten den sofortigen Tod der beiden. Die CISBSC hatte denunziert, dass Kleinbauerngemeinschaften des Weilers Puerto Oculto in den letzten Tagen von der Polizei eingeschüchtert und bedroht wurden, zusammen mit dem Bürgermeister und einer Person namens Wilmer Diaz, einem Grossgrundbesitzer der Gemeinde. Die ask! kannte Teófilo Acuña seit vielen Jahren, seit dem Exodus von 1998, da wir verschiedene Prozesse und Landkämpfe von der ACVC, von Fedeagromisbol und weiteren Prozessen unterstützten.

Teófilo Acuña war Präsident der Federación Agrominera del Sur de Bolívar (Fedeagromisbol), Sprecher des Congreso de los Pueblos und ein herausragender Bauernführer der Region des Südens von Cesar. Teófilo wurde von der Generalstaatsanwaltschaft juristisch verfolgt und ihm wurde wegen Rebellion der Prozess gemacht, gemeinsam mit weiteren Bauernführern des Coordinador Nacional Agrario. Jorge Tafur war Gewerkschafter und nahm an den Landkämpfen der Asociación Nacional de Usuarios Campesinos – Anuc teil, war Teil von Fedeagromisbol und eine wichtige Führungsperson des CISBSC. Im November 2021 wurde er in den nationalen Vorstand des Coordinador Nacional Agrario gewählt.

Teófilo befand sich in Puerto Oculto, um sich um langwierige Landkämpfe der Campesinos mit dem Grossgrundbesitzer Díaz zu kümmern, und wartete unter anderem auf ein Treffen mit dem Bürgermeister. Jorge war am Abend der Ermordung bei Teófilo. In den Tagen vor ihrer Ermordung gab es Drohungen und die Bewohner erzählten andauernd von bewaffneten Männern, die um die Häuser schleichen. Beim Landkonflikt geht es um Ufergebiete des Flusses Lebrija, die in der Trockenzeit von den Fischern zum Anbau von Lebensmitteln genutzt werden, in der Regenzeit aber überflutet werden. Mit der paramilitärischen Expansion begannen Grossgrundbesitzer wie die Familie Díaz, diese Ländereien permanente trocken zu legen. Zuerst werden Büffel und Rinder in diese Gebiete hineingetrieben, dann Ölpalmen angepflanzt. Die Macht in der Region liegt bei der Familie Prada, des ehemaligen AUC Kommandanten Juancho Prada, und auch die Familie Díaz wird im Prozess von Justicia y Paz wegen ihren Beziehungen zu den Paramilitärs aufgeführt.

Diese periodisch überfluteten Ländereien – Playones oder Ciénagas – sind Staatsland und dürfen eigentlich nicht privatisiert werden. Die Trockenlegung dieser Ländereien stellt auch ein Umweltverbrechen dar. Die Kleinbauern und Fischer, die auf und von diesen Ländereien leben, kämpfen auch juristisch gegen die Privatisierung und die Umwandlung in Palmplantagen. Anwälte die die Kleinbauern unterstützen, sind sich sicher, dass die Besitztitel der Familie Díaz über die Playones erschlichen wurden und vor dem Grundbesitzgericht nicht bestand haben würden. Teófilo und Jorge haben viele Besichtigungen mit den Umwelt- und Landbehörden organisiert und den Widerstand der Kleinbauern organisiert, um die Playones zurück zu gewinnen. Seit mehreren Jahren besetzen die Kleinbauern- und Fischerfamilien Teile des von der Familie Díaz unrechtmässig angeeigneten Landes, um dieses zurückzugewinnen. Die Spannungen haben über die Jahre zugenommen, die Familie Díaz versuchte auch, „ihr“ Land polizeilich räumen zu lassen. Der Landkonflikt dreht sich auch um das Gesetz 1448 (Ley de tierras), das nicht korrekt angewendet wurde. Die Kleinbauern hätten durch die Landbehörden korrekt als Gewaltvertriebene und Kleinbauern registriert werden sollen, um dann das Land legal zurück erhalten zu können. Das war der Kampf, den Teófilo und Jorge führten. Da sie sich damit den wirtschaftlichen Interessen mächtiger Grossgrundbesitzerfamilien entgegen stellten, wurden sie nun umgebracht. Damit fehlen zwei der langjährigsten und erfahrensten Kleinbauernführer in der Region des Mittleren Magdalenatales.

Gegner des Frackings erneut mit dem Tod bedroht

Mitglieder der Alianza Colombia Libre de Fracking haben Drohungen erhalten, nachdem sie an öffentlichen Anhörungen teilgenommen haben. Die Aktivisten verteidigen das Territorium gegen den Versuch, Frackingprojekte durchzuführen. Hinter den Projekten in Puerto Wilches in der Region des mittleren Magdalenatales stehen die kolumbianische Regierung sowie die Unternehmen Ecopetrol und ExxonMobile. Die Allianz umfasst mehr als 100 Organisationen und soziale Prozesse im ganzen Land und hat es über Jahre geschafft, den Start dieser Projekte zu verzögern. Für die Erfolge in diesem Kampf haben die Führungspersonen der Allianz aber einen hohen Preis in Form von (Todes)Drohungen von bewaffneten Akteuren bezahlt. Die Allianz denunziert, dass das staatliche Ölförderunternehmen Ecopetrol mit Unterstützung von Behörden die Umweltlizenz für ein erstes Pilotprojekt namens Kalé bekommen will, um noch vor dem Ende der Amtszeit der Regierung Duque diese Art der Öl- und Gasförderung zu starten. Beim Verfahren zur Erteilung der Lizenz wird das Recht auf einen fairen Prozess und auf aktive Teilhabe auf verschiedene Weise verletzt, in dem z.B. die Fristen für den Prozess verkürzt werden. Dadurch hat sich die Opposition gegen das Projekt Kalé und das Fracking im Allgemeinen noch verstärkt.

In diesem Kontext wurden friedliche Proteste zuerst am 6. Februar 2022 gegenüber den Installationen von Ecopetrol in Barrancabermeja durchgeführt, und am Tag darauf bei einer von der Behörde für Umweltlizenzen ANLA organisierten Informationsveranstaltung im Vorfeld der öffentlichen Anhörung vom 22. Februar. Obwohl es sich um einen friedlichen und künstlerischen Protest handelte, verdrehte Ecopetrol in einem Communiqué die Tatsachen, wonach die Demonstranten den Zutritt für Personen versperrten, das Personal mit Steinen attackiert und Radiogeräte zerstört hätten. Diese Falschangaben stigmatisieren und kriminalisieren das Recht auf friedlichen Protest und führten zu gewalttätigen Reaktionen gegen die Aktivisten der Allianz in Puerto Wilches.

Noch am selben 7. Februar haben Paramilitärs der Autodefensas Gaitanistas die Drohungen gegen die Führungspersonen und Opponenten der Frackingprojekte verstärkt. In zwei Pamphleten, die in sozialen Medien zirkulierten, werden die sozialen Führungspersonen mit Namen aufgeführt. Sie erhielten auch Drohanrufe oder erhielten Todesdrohungen bei Begegnungen mit Paramilitärs. Zwei Leaderinnen haben die Region danach sofort verlassen. Menschenrechtsorganisationen fordern nun umfassende Sicherheitsgarantien für die Mitglieder der Alianza Colombia Libre de Fracking und der Umweltvereinigung von Puerto Wilches, um ihr Recht auf friedlichen Protest und ihre Opposition gegen des Fracking ohne Furcht für Leib und Leben ausüben zu können. Die Staatsanwaltschaft wird aufgefordert, die notwendigen Untersuchungen aufzunehmen. Das Umweltministerium und ANLA wurden aufgefordert, die Anhörung vom 22. Februar über die Umweltlizenz für das Pilotprojekt Kalé zu suspendieren, da es keine Sicherheitsgarantien für eine effektive Teilhabe der Bevölkerung gebe.

Eine weitere bedrohte Führungsperson ist Linda Oneida Suárez Sanchez. Sie erhält seit 2019 andauernd Drohungen. Am 15. Februar 2022 erhielt sie eine Textnachricht, in der sie gewarnt wird, besser das Maul zu halten, ansonsten würde sie umgebracht. Linda Oneida ist seit 2015 Leaderin der sozialen Bewegung „Resistencia a la mineria y al extractivismo“ und koordiniert die Aktivitäten mit der Allianz gegen Fracking. Seit 2019 wird sie auf verschiedene Weise bedroht, seit sie Proteste gegen Fracking in El Carmen de Chucurí organisierte. Im Februar 2022 wurden schon drei Frauen, die sich gegen Fracking wehren, bedroht. Am 19. Februar findet in El Carmen de Chucurí eine öffentliche Anhörung mit ANLA und Ecopetrol statt, was die Bedrohung für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschenrechtsverteidigerin erhöht. Die ask! kennt auch Oneida über verschiedene gemeinsame Events und gemeinsame Netzwerke an Bergbau- und Frackinggegnern.

Der Widerstand gegen diese Pilotprojekte mit Fracking ist nach wie vor sehr gross, einerseits weil sie die notwendige Energiewende, weg von fossilen Energiequellen, verzögern, anderseits weil grosse Umweltschäden befürchtet werden. Die Gegend des mittleren Magdalenatales ist reich an Wasser und Biodiversität, aber auch verletzlich gegenüber der Bergbau- und Erdölmaschinerie. Die Behörden setzten die öffentlichen Anhörungen gegen den Widerstand der Bevölkerung durch. Anwohner der vom Fracking betroffenen Dörfer errichteten Strassenbarrikaden und führten kulturelle friedliche Demonstrationen durch. Die Anwohner und die sozialen Bewegungen lehnen den Druck und die fehlenden Garantien, womit das Fracking aufgezwungen werden soll, ab und kündigen juristische Klagen dagegen an. Am 24. Februar 2022 reichten der Umwelttisch von Puerto Wilches und die Alianza Colombia libre de Fracking eine Verfassungsklage beim Staatsrat ein wegen fehlender Garantien für die Partizipation in den Anhörungen. Am 23. Februar fand auch die erste Umweltdebatte mit PräsidentschaftskandidatInnen statt, an der alle KandidatInnen ausser diejenigen der rechten Koalitionen teilnahmen. Alle TeilnehmerInnen lehnte das Fracking während der Debatte ab. Wieviel diese Zusicherungen wert ist, ist offen, da sich auch Duque im Wahlkampf gegen das Fracking geäussert hatte.

Quellen:

https://reservacampesinariocimitarra.org/no-mas-crimenes-contra-lideres-sociales/

https://www.facebook.com/photo/?fbid=123849710206897&set=pcb.123849980206870

https://verdadabierta.com/el-lio-de-tierras-detras-del-asesinato-de-teofilo-acuna-y-jorge-tafur/?fbclid=IwAR3scUIcP8z6N-_lDZHeejJXmVul0cl-l_NL1KDIcqYtZGCwmM7T24CGQPM

http://im-defensoras.org/2022/02/alerta-defensoras-colombia-intimidacion-y-amenazas-contra-la-defensora-linda-oneida-suarez-sanchez/

https://www.facebook.com/AlianzaColombiaLibreDeFracking/

https://credhos.blogspot.com/2022/02/comunicado-por-la-defensa-del-agua-el.html?fbclid=IwAR1nJDGv5tX6x9CqHnXwzTyHNcC4FgLFIPKPs8-0sfUPZEX5mgEwjzjSskw

https://www.eltiempo.com/justicia/cortes/con-tutela-buscan-frenar-pilotos-de-fracking-en-puerto-wilches-654047?fbclid=IwAR0KLyf9Hfs8_nd3GdEUxbOeKAl37ejJ9r3pFWdwk0RDqrn5Qr5EOvBP6RE

https://www.infobae.com/america/colombia/2022/02/24/primer-debate-ambiental-candidatos-que-participaron-le-dijeron-no-al-fracking/?outputType=amp-type&fbclid=IwAR2U8kcVTq8w1QXqoVJmt4oHqBrzrjijSFHwZBzx_0oYSzu7vH8cxcUjPcc