Kolumbien ist das zweitgefährlichste Land für Menschenrechtsverteidiger, die sich gegen negative Auswirkungen von Unternehmen wehren

Mai 15, 2020

Von Stephan Suhner

Anfang März hat das Informationszentrum für Unternehmen und Menschenrechte (Business & Human Rights Resource Centre, BHRRC), einen Bericht vorgestellt, gemäss dem Kolumbien das zweitgefährlichste Land der Welt (nach Honduras) ist für MenschenrechtsverteidigerInnen (MRV), die Unternehmensthemen bearbeiten. 9% aller Angriffe auf MenschenrechtsverteidigerInnen im Zusammenhang mit Unternehmen geschehen in Kolumbien. Zwischen 2015 und 2019 hat das Informationszentrum 181 bestätigte Fälle von Attacken auf MRV im Kontext von Unternehmen registriert, es könnte jedoch eine beträchtliche Dunkelziffer geben. Der Bericht beabsichtigt nicht, die Unternehmen direkt mit den Angriffen auf MRV in Verbindung zu bringen oder ihnen die Verantwortung zu geben, sondern eine Kontextanalyse zu bieten darüber, was passiert und was Lösungen sein könnten. Es handelt sich um Fälle, wo die betroffenen MRV Bedenken über die Unternehmensaktivitäten äusserten und dies der Auslöser für die Bedrohung war. Die Unternehmen operieren jedoch nicht in einem leeren Raum, sie sollten sich bewusst sein, dass ihre Kritiker Risiken ausgesetzt sind. In 90% aller Fälle dieser Menschenrechtsverletzungen haben sich die Verteidiger über negative Folgen von Bergbau, Erdölförderung, Agrobusiness und erneuerbare Energien geäussert. 44% der Übergriffe auf MRV erfolgten im Umfeld der Unternehmen Anglo Gold Ashanti, Cerrejón, Ecopetrol, die Stadtwerke von Medellín EPM und die Salinen Big Group.

Bergbau und Energieprojekte im Fokus

Der Bericht verweist auch darauf, dass 76,5% der Fälle dieser vier meistbetroffenen Wirtschaftssektoren in Zonen passierten, wo es grosse Investitionen der Unternehmen gibt. Das heisst die Angriffe auf MRV erfolgen nicht in vergessenen Zonen, sondern an sogenannten Entwicklungspolen. Die meisten der registrierten Fälle betrafen Morde (72 Fälle), gefolgt von Todesdrohungen und Schlägen/physischer Gewalt. Das Ombudsbüro für Menschenrechte (Defensoría) hat in einer Frühwarnung von 2018 darauf hingewiesen, dass private Akteure in die Übergriffe involviert sind, die ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet sehen, sei es durch Landrestitution, Proteste gegen Projekte oder Klagen über Übergriffe gegen Gemeinschaften. Das Informationszentrum verweist darum auf die Richtlinien der UNO, die besagen, dass Unternehmen negative Folgen ihrer Geschäftstätigkeit verhindern oder lindern müssen, auch wenn sie sie nicht direkt verursacht haben. Deshalb ruft das Informationszentrum die Unternehmen auf, dass sie sich gegen Menschenrechtsverletzungen äussern und präventive Massnahmen ergreifen sollen. Der Staat soll beim Monitoring der Menschenrechtsverletzungen auch die Unternehmenskomponente berücksichtigen und die Ursachen der Übergriffe untersuchen und aufklären sowie effizienten Schutz gewähren.[1]

Die kolumbianische Wirtschaft wird von Industrien dominiert, die einen hohen Landbedarf haben, wie z.B. der Bergbau, mit beträchtlichen Risiken für die Menschenrechte und die Umwelt. Die Arbeit der MenschenrechtsverteidigerInnen ist deshalb sehr wichtig, aber gerade Personen die versuchen, Übergriffe von Unternehmen auf die Menschenrechte zu verhindern, sind häufigen Attacken ausgesetzt, viele davon tödlich. Die meisten der attackierten MRV waren GemeinschaftsführerInnen, Gewerkschafter sowie AfrokolumbianerInnen und Indigene.

Phil Bloomer, der Direktor des BHRRC sagte dazu, dass wegen den steigenden Investitionen in Risikosektoren wie Bergbau und den vielen Übergriffen auf MRV die kolumbianische Regierung sich entschiedener für den Schutz der Menschenrechtsverteidiger einsetzen sollte, gerade im Bereich der Unternehmenstätigkeiten. Es gebe zwar willkommene Anstrengungen um MRV zu schützen. Solange die Regierung aber die Investitionen höher gewichte als den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt, sei zu befürchten, dass es zu weiteren Attacken kommen wird. Zudem hätten auch die Unternehmen eine international anerkannte Pflicht, die Risiken für diejenigen zu identifizieren, die die negativen Auswirkungen der Geschäftstätigkeit kritisieren. Zwar würden sich nun einige Unternehmen gegen die Gewalt aussprechen, es müsse aber viel mehr gemacht werden. Zudem müsse die Regierung die Unternehmen dabei unterstützen. Michel Forst, der UNO Sonderberichterstatter über Menschenrechtsverteidiger sagte dazu, dass die schwachen staatlichen Institutionen, die bewaffneten Gruppen und die illegalen Ökonomien in Kolumbien dazu führen, dass es ein gefährlicher Ort für MRV ist. Häufig geht aber vergessen, was die Rolle der Unternehmen sowohl für die Verschärfung von Attacken auf MRV ist als auch was ihre Möglichkeiten anbelangen, bedeutsam zum Schutz der Menschenrechte beizutragen. Gemäss Forst würden die MRV und die Unternehmen einen gemeinsamen Raum teilen und denselben Bedrohungen gegenüberstehen. Deshalb müssten die Unternehmen die Sorgen der MRV anhören und danach handeln und eine Nulltoleranz gegen Gewalt gegen MRV in ihren Operationen und Lieferketten an den Tag legen.[2]

Auch Cerrejón steht im Fokus

Cerrejón ist eines der Unternehmen, das als Fallbeispiel aufgeführt wurde, insbesondere wegen den Drohschreiben der paramilitärischen Aguilas Negras gegen die Fuerza Mujeres Wayúu am 30. April 2019. Cerrejón sowie auch Glencore und die anderen Aktionärinnen haben auf den Bericht des BHRRC mit Stellungnahmen reagiert. Cerrejón verfasste eine ausführliche Stellungnahme, in der sie zuerst den Beitrag des BHRRC zur Förderung der Unternehmensverantwortung und den Einsatz für vulnerable Gruppen würdigte. Ebenso begrüsste Cerrejón die Gelegenheit, zum Bericht Stellung nehmen zu können, insbesondere da es um Drohungen gegen soziale Führungspersonen gehe, die angeblich mit Cerrejón zusammenhängen würden. Cerrejón teile die Beunruhigung des BHRRC und habe selber in den letzten Jahren einen Anstieg der Drohungen und der Gewalt gegen MRV in der Guajira festgestellt. Cerrejón habe diese Vorkommnisse immer verurteilt und gegenüber den zuständigen Behörden denunziert sowie Schutzmassnahmen und Aufklärung der Hintergründe verlangt. Cerrejón habe null Toleranz gegenüber jeglicher Art von Aggression gegen Gemeinschaften, Arbeiter und soziale Führungspersonen. Cerrejón weise aber jegliche Anschuldigung, direkt oder indirekt mit diesen Drohungen etwas zu tun zu haben, energisch zurück. Cerrejón verurteile jegliche Menschenrechtsverletzung oder Drohung gegen jede Person, um dadurch Einzuschüchtern oder Vorteile zu erhalten.

Cerrejón habe in einem komplexen Umfeld immer versucht ein Gleichgewicht zwischen der Bergbauaktivität und dem Zusammenleben mit den benachbarten Gemeinschaften zu finden. Für Cerrejón sei die Pflicht des Unternehmens, die Menschenrechte zu respektieren wichtig, und in einem kontinuierlichen Prozess hätten sie stetige Verbesserungen vorgenommen um die negativen Folgen des Bergbaus zu verhindern, zu verringern oder zu kompensieren. 2005 habe Cerrejón eine Menschenrechtspolitik erarbeitet, die sie 2011 in Übereinstimmung mit den UNO Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gebracht hätten. Cerrejón habe zudem diverse Standards übernommen, wie die UNO Leitprinzipien für Unternehmen und Menschenrechte UNGP, die ILO Kernkonventionen, den Global Compact oder IFC Performance Standards der Weltbanktochter und die Freiwilligen Prinzipien über Sicherheit und Menschenrechte VPSHR. Der Prozess der menschenrechtlichen Folgeabschätzung besteht darin, soziale, Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechtsrisiken und Impacts zu identifizieren, die Massnahmen zum Impactmanagement andauernd zu verbessern, im stetem Austausch mit den Anspruchsgruppen zu stehen und einen Klagemechanismus durch partizipative Prozesse zu implementieren. Es gebe einen Prozess, um die Compliance im Menschenrechtsbereich zu überprüfen und zu garantieren.

Bezogen auf Drohungen gegen soziale Führungsleute habe Cerrejón immer sofort die zuständigen Behörden in Kenntnis gesetzt und diese aufgefordert, Untersuchungen durchzuführen und Schutz zu gewähren. Von 2016 bis 2019 habe Cerrejón in über 30 Fällen derart interveniert. 2018 habe Cerrejón mit anderen Kohleproduzenten und staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie die Drohungen und Attacken gegen MRV ablehnten. Zudem hätten sie ein Protokoll verabschiedet, wie auf diese Drohungen und Attacken zu reagieren sei und wer welche Rolle inne habe, dies wurde von CREER[3] unterstützt. Zudem habe Cerrejón ein Programm unterstützt, um mehr Vertrauen zwischen verschiedenen Stakeholdern aufzubauen und die Fähigkeit von lokalen Behörden und Gemeinschaften zu stärken, um diesen Drohungen entgegen treten zu können. Um das Zusammenspiel zwischen verschiedenen Behörden, Führungspersonen etc. zu fördern, habe Cerrejón eine aktive Rolle eingenommen in einem Treffen, das vom Innenministerium organisiert wurde über den Schutzplan PAO (Plan de Acción Oportuna), wo der Plan etwa 80 Gemeinschaftsführern und MRV vorgestellt wurde, darunter aus Tabaco und von der Fuerza Mujeres Wayuu.

Im Namen von Glencore nahm Anna Krutikov sehr kurz gegenüber dem BHRRC Stellung. Sie bedankte sich für die Möglichkeit der Stellungnahme und betonte, dass Cerrejón ein Joint Venture von Anglo American, BHP und Glencore sei, das über ein unabhängiges Management verfüge. Cerrejón habe BHRRC eine ausführliche Stellungnahme zukommen lassen, wo das Unternehmen zu den Vorwürfen Stellung genommen und die Herangehensweise zur Sorgfaltspflicht erläutert habe. Glencore selber achte und respektiere die Menschenrechte, wie im Verhaltenskodex ausgeführt werde, toleriere keine Form von Belästigung und verurteile Drohungen gegen MRV. Details können dem Menschenrechtsbericht auf der Webseite von Glencore entnommen werden[4]. Die beiden anderen Shareholders von Cerrejón, Anglo American und BHP, äusserten sich deutlich ausführlicher, auch über die eigenen Policies und Anstrengungen.

Ungenügendes Engagement der Unternehmen im Menschenrechtsbereich

In den letzten Jahren gab es Dutzende von Drohungen gegen soziale Führungsleute und GemeinschaftsvertreterInnen, die die Interessen und Rechte der Gemeinschaften gegenüber Cerrejón vertreten. Viele Führungspersonen der afrokolumbianischen und indigenen Gemeinschaften im Einflussbereich der Kohlenmine werden seit über zehn Jahren immer wieder bedroht, beschattet, eingeschüchtert oder erlitten gewaltsame Übergriffe. Im Bericht wird positiv erwähnt, dass Cerrejón mit anderen Unternehmen des Kohlesektors mit einer öffentlichen Verlautbarung im Mai 2019 diese Drohungen deutlich verurteilt habe. Auch hat Cerrejón für sich alleine, unter anderem auf Aufforderung der ask!, am 15. Mai 2019 die Drohungen verurteilt und die Legitimation der Arbeit der Gemeinschaftsführer und MRV betont. Das hat aber nicht verhindert, dass hohe Funktionäre von Cerrejón wiederholt öffentliche Aussagen machten, die in der Folge zu vielen Drohungen gegen Kritiker der Mine führten, insbesondere wegen hängiger Gerichtsklagen. So drohte der Präsident von Cerrejón, Guillermo Fonseca, verschiedentlich damit, dass er wegen Einsprachen der Gemeinschaften Tausende Arbeiter entlassen müsse, was für viele Gemeinschaftsführer direkt Drohungen zur Folge hatte. Zudem lehnen viele der betroffenen, bedrohten MRV und Führungspersonen diese Verlautbarung von Cerrejón wie auch beispielsweise Unterstützungsangebote bei der Anzeigeerstattung bei der Staatsanwaltschaft ab, da sie es als unehrlich und nutzlos qualifizieren. Vielmehr erwarten sie, dass Cerrejón aufhört, ihre Rechte zu verletzen und die Umwelt zu zerstören oder durch Worte und Taten Situationen zu schaffen, die zu neuen Drohungen führen.

Nach 14 Jahren, die wir uns von der ask! mit Cerrejón beschäftigen, haben wir im Umgang von Cerrejón mit Kritikern wenig Verbesserung festgestellt, bis heute machen Vertreter des Managements auch uns gegenüber immer wieder abschätzige Bemerkungen über einzelne Führungspersonen, die z.B. Cerrejón in der Gemeinschaft nicht arbeiten lassen oder Fortschritte behindern würden. Auch scheint sich Cerrejón zu wenig bewusst, was für Folgen die sich über Jahre hinschleppenden ungelösten Probleme und Konflikte mit einzelnen Gemeinschaften für die Menschenrechte und die Sicherheit der betroffenen Führungspersonen haben kann, z.B. bezüglich Roche oder Tabaco[5]. Auch bleiben viele Fragen bezüglich der Drohungen offen, so beispielweise wie es möglich ist, dass Pamphlete massenhaft entlang der stark militarisierten Eisenbahnlinie verteilt werden können, ohne dass je jemand das gesehen hätte. Oder welche Rolle die Armeeeinheiten bei den Drohungen spielen. Viele Menschenrechtsorganisationen vermuten hinter den Aguilas Negras Personen, die dem Militär oder den Nachrichtendiensten nahe stehen. Was haben vor diesem Hintergrund all die Schulungen zu Menschenrechten für die Armeeeinheiten, die Cerrejón bewachen, gebracht? Warum nehmen die Drohungen ständig zu, statt abzunehmen? Wieso wurde noch nie ein Fall von Drohungen durch die Staatsanwaltschaft aufgeklärt? Das freiwillige Engagement von Unternehmen wie Cerrejón genügt eindeutig nicht, auch wenn Cerrejón als Klassenbester gilt. Rechtlich verbindliche Normen und Sorgfaltspflichten, wie sie beispielweise die Konzernverantwortungsinitiative fordert, sind notwendig, um effektive Verbesserungen für bedrohte Gemeinschaftsführer und für die Menschenrechte der Gemeinschaften im Einflussbereich der Minen von Glencore zu erreichen.

 

[1] Contagio Radio, Colombia, el segundo país más peligroso para defensores que trabajan temas empresariales, 2. März 2020, in: https://www.contagioradio.com/colombia-el-segundo-pais-mas-peligroso-para-defensores-que-trabajan-temas-empresariales/

[2] BHRRC, Colombia es uno de los países más peligrosos del mundo para los activistas contra el abuso corporativo, según un informe de una ONG, 2. März 2020, in: https://www.business-humanrights.org/es/colombia-es-uno-de-los-pa%C3%ADses-m%C3%A1s-peligrosos-del-mundo-para-los-activistas-contra-el-abuso-corporativo-seg%C3%BAn-un-informe-de-una-ong

[3] https://www.creer-ihrb.org/lideresydefensores

[4] https://www.business-humanrights.org/sites/default/files/documents/Glencore_Response%20to%20BHRRC_210220.docx.pdf

[5] Roche ist die erste umgesiedelte Gemeinschaft, nach einem Prozess der weit über zehn Jahre dauerte und die Gemeinschaft und deren soziale Netzwerke zerstörte. Tabaco wurde 2001 enteignet und zerstört und wartet seither auf den Wiederaufbau an einem anderen Ort. Beiden Gemeinschaften haben auf Grund dieser Situationen interne Konflikte und Konflikte mit Cerrejón und verschiedene Führungsleute sind seit Jahren bedroht.