Kohle und Cesar: Ungewissheit wegen Prodecos Weggang – Hoffnung auf Reaktivierung  

Jul 16, 2022

Von Stephan Suhner

Die Rückgabe der Bergbautitel durch Prodeco an den Staat weist immer noch viele Unklarheiten auf und die Bevölkerung wurde bisher weder umfassend orientiert, noch konnte sie effektiv teilnehmen. Viele Entscheidungen scheinen in kleinen Kreisen oder fast in Geheimabsprachen getroffen zu werden, ohne Konsultation mit den Arbeitern und Gewerkschaften oder Gemeinschaften, und manchmal sogar über die Köpfe der Gemeindebehörden hinweg. Bis heute sind die genauen Fristen, bis wann Prodeco die Titel definitiv zurückgibt, respektive wann der Rückgabeprozess abgeschlossen sein wird, und wie lange Prodeco noch vor Ort sein wird und welche Verpflichtungen sie noch eingehen müssen, unbekannt.

Arbeiter und Gemeinschaften weiter im Ungewissen

Prodeco hat bis heute keinen Schliessungsplan präsentiert. Prodeco und Glencore betonen fortwährend, dass es keine Minenschliessung sei, sondern eine Rückgabe der Titel in produktivem Zustand. Daher brauche es nur einen Übergangsplan. Prodeco betont auch verschiedene Initiativen, wie sie die Bevölkerung einbeziehen und was sie alles für Dialogplattformen hätten. Die Behörde für Umweltlizenzen ist jedoch der Ansicht, dass Prodeco sehr wohl einen Schliessungsplan präsentieren müsse. Seit 2016 existiert dieser, und bis 31. Mai hätte Prodeco eine aktualisierte und der Rückgabe der Titel angepasste Version präsentieren müssen. Ob dies geschehen ist, ist noch unbekannt. Eine Vermutung ist, dass Prodeco die umfassenden Auflagen, die sie mit dem ursprünglichen Schliessungsplan eingegangen sind, reduzieren wollen.

Verschiedene Gemeinschaften beklagen jetzt schon, dass Prodeco viel weniger in soziale Projekte investiere. Dies betrifft auch Gemeinschaften, in denen Prodeco sehr präsent ist oder war, wie Estados Unidos oder La Victoria San Isidro. Die Gemeinschaften fühlen sich über die Absichten und Pläne Prodecos schlecht informiert, sowohl was die Rückgabe der Titel anbelangt als auch was z.B. die menschenrechtlichen Folgeabschätzungen anbelangt. Für die Gemeinschaften sind viele der sozialen Projekte, denen sich Prodeco rühmt, von geringer Auswirkung oder der Beitrag Prodecos im Vergleich zu anderen Gebern oder den Eigenleistungen der Gemeinschaften ist sehr bescheiden. Vertreter von Estados Unidos sagen beispielsweise, dass der Entwicklungsplan den sie mit Prodeco und dem Programm für Frieden und Entwicklung im Cesar (PDPC) ausgearbeitet haben, mehrheitlich nur auf dem Papier existiert. Mit der Aufgabe des Bergbaus durch Prodeco befürchten die Gemeinschaften, dass sich die Projekte weiter reduzieren und so viele negative Auswirkungen nicht überwunden werden können. Sie fordern deshalb einerseits, dass der Schliessungsplan öffentlich gemacht wird, und verlangen einen Fonds, um Entwicklungsprojekte und z.B. ökologische Restaurationsmassnahmen zu finanzieren. Wichtig ist ihnen die Wiederaufforstung, Schutz der Wasserquellen und Wiederbelebung der Flüsse, Begrünung der Abraumhalden sowie Rückgabe der nicht mehr benötigten Böden an die Gemeinschaften.

Die beiden Gewerkschaften Sintracarbón und Sintramienergética und die ihnen angeschlossenen Arbeiter protestierten mehrmals gegen die aus ihrer Sicht missbräuchlichen Massenentlassungen bei Prodeco. Mitte Februar 2022 kam es zu massiven Protesten bei der Mine und beim lokalen Büro des Arbeitsministeriums im Departement Cesar. Die Gewerkschaften denunzierten über 1000 Entlassungen, auch von kranken Arbeitern oder von Gewerkschaftern, die einen Entlassungsschutz geniessen. Ebenso sagen die Gewerkschaften, dass die von Prodeco offerierten Pläne zur freiwilligen Kündigung mit höherer Abgangsentschädigung als bei einer Entlassung ungenügend seien und die Rechte der Arbeiter zu wenig respektieren. Das Arbeitsministerium seinerseits liess verlauten, dass es versucht habe, die beiden Seiten, Arbeiter respektive die Gewerkschaften und das Unternehmen anzunähern und eine gütliche Einigung zu ermöglichen, aber bis dahin ohne Erfolg. Ohne Einigung sei das Arbeitsministerium gezwungen, die beantragten Entlassungen zu bewilligen, da sich auch die Bergbaubehörde positiv dazu geäussert habe. Die Gewerkschaften beharren darauf, dass der Staat die Rechte der Arbeiter, nicht des Unternehmens schützen müsse.[1]

Eine kurze Übersicht über die bisherigen Ereignisse

Am 4. Februar 2021 teilte Prodeco dem kolumbianischen Staat mit, dass es die Bergbautitel zurückgeben, aber den Hafen Puerto Nuevo und eine 40%-Beteiligung an der Eisenbahnlinie Fenoco behalten will. Kolumbianische Bürger haben im Mai 2021 den Rechnungsprüfungshof (Contraloria) darauf hingewiesen, dass das Unternehmen Prodeco Maschinen und Produktionsanlagen abbaue, ohne dass die Rückgabe der Bergbautitel bewilligt worden sei oder die Bergbaubehörde (ANM) den Abbau der Installationen bewilligt hätte. Die Contraloria nahm Untersuchungen auf und schickte auch eine Benachrichtigung an die ANM, in dem sie auf die Hinweise aus der Bevölkerung aufmerksam machte, dass Prodeco Maschinen aus der Mine abtransportiere, ohne dass die ANM dies bisher autorisiert habe. Sie forderte die ANM auf, regelmässig Bericht zu erstatten, um einen möglichen finanziellen Schaden für die Nation zu verhindern. Die Contraloria hielt fest, dass es wichtig sei, dass die Rückgabe der Titel innerhalb des gültigen Rechtsrahmen erfolge und mit der Erfüllung aller technischen, sozialen, wirtschaftlichen und Umweltauflagen. Zudem müsse ein fortschrittlicher Schliessungsplan verabschiedet werden, der die Rechte der verschiedenen Anspruchsgruppen sichere.[2]

Im September 2021 akzeptierte der kolumbianische Staat die Rückgabe der Titel der Mine Calenturitas, nicht aber diejenigen der Mine La Jagua. In der Zwischenzeit hat der Rechnungsprüfungshof eine steuerrechtliche Untersuchung über das Verfahren zur Rückgabe der Titel und die Erfüllung der sozialen, ökonomischen und Umweltauflagen eingeleiteten. Unter anderem Untersuchte die Contraloria die Umsetzung der Verpflichtung zur Umsiedlung verschiedener Gemeinschaften, u.a. den Prozess, der zur Nicht-Umsiedlung von Boquerón führte. Im November und Dezember 2021 veröffentliche die Behörde für Umweltlizenzen ANLA zwei Resolutionen (autos) in denen sie eine Bilanz über die Schliessungspläne für die Minen Calenturitas und La Jagua machten und die Präsentation aktualisierter Schliessungspläne in Bezug auf Prodecos Verpflichtungen per 31. Mai 2022 einforderten.

Der Schliessungsplan von Prodeco für die Minen Calenturitas und La Jagua, der 2016 vorgestellt wurde, sah einen breiten Partizipationsprozess im Umweltbereich für die Gemeinschaften im Einflussbereich der Minen vor, der 2020 beginnen und bis 2032 dauern sollte. Es ist wichtig festzuhalten, dass das ANLA auf einem aktualisierten Schliessungsplan besteht, den sie partiellen Minen-Schliessungsplan nennt. Prodeco hingegen liess immer verlauten, dass sie nur einen Übergangsplan vorlegen müssen, da es eine Minen-Transition sei. Die Reichweite und die darin enthaltenen Verpflichtungen sind aber sehr unterschiedlich. Unklar bleibt das ANLA in Bezug auf die Möglichkeiten der Bevölkerung zur Partizipation. In den Erwägungen hält sie dieses Recht der Gemeinschaft hoch, ist dann aber bei den Anordnungen wesentlich weniger spezifisch, obwohl eine effektive Partizipation eine wichtiges Grundrecht ist. Problematisch bleibt für die Gemeinschaften weiterhin auch der transparente, einfache und zeitnahe Zugang zur Information über die Pläne des Unternehmens, wozu sich das ANLA leider kaum äussert.

Um eine Mine betreiben zu können, braucht es eine Umweltlizenz. Diese wird der jeweiligen Bergbaufirma erteilt, basierend auf einem Umweltmanagementplan, der von der ANLA akzeptiert werden muss. Eine Bergbaukonzession kann zwar an eine neue Firma übergeben werden, aber damit gehen die Verpflichtungen des Umweltmanagementplanes nicht automatisch an die neue Firma, da diese Verpflichtungen an eine natürliche oder juristische Person gebunden sind. Das heisst, Prodeco muss ihre Verpflichtungen erfüllen, und eine neue Firma bekommt mit der Umweltlizenz neue Verpflichtungen auferlegt.

Wie geht es weiter mit der Kohle in Cesar?

Der kolumbianische Staat hat die Bergbautitel, die Prodeco zurückgibt, in die Strategischen Bergbaugebiete aufgenommen und zur neuen Vergabe ausgeschrieben. Zehn Unternehmen haben ihr Interesse bekundet. Es gibt Kapital aus verschiedenen europäischen, asiatischen und amerikanischen Ländern, aber über viele der Unternehmen ist wenig bekannt, auch über ihren Leistungsausweis im Bereich Sorgfaltspflicht, Menschenrechte und Umwelt. Die Auflagen für den Betrieb der Minen sollten theoretisch in etwa die gleichen bleiben, trotzdem gibt es Befürchtungen, dass die Standards gesenkt werden oder es Lücken bei der Umsetzung und Kontrolle gibt. Am 3. Mai 2022 hat die Nationale Bergbaubehörde (Agencia Nacional de Minería ANM) mit den Verfügungen Nr. 045 und 046 zwei Gebiete als strategische Bergbaureserven definiert, die gut 9 Millionen Hektaren umfassen und sich über die Gemeinden Becerril, El Paso und La Jagua de Ibirico erstrecken. Diese beiden Gebiete umfassen auch die von Prodeco zurückgegebenen Bergbautitel von Calenturitas und La Jagua. Am 19. Mai 2022 hat die ANM die Ausschreibung für den Prozess der objektiven Auswahl veröffentlicht, mit dem diese strategischen Bergbaugebiete Unternehmen zugeteilt werden. Die Unternehmen, die zugelassen wurden um in diesem Prozess teilzunehmen sind: MINERALES CAMINO REAL S.A.S., COLOMBIA GOLD S.A.S, VALLEDUPER COLOMBIA SAS, MINERALES OTU S.A.S, EMPRESA DE FOSFATOS DEL HUILA S.A, MINEROS ALUVIAL SAS, DRUMMOND LTD, CNR III SUCURSAL COLOMBIA, CARBOMAS S.A.S, COLOMBIAN NATURAL RESOURCES II S.A.S., COMERCIALIZADORA INTERNACIONAL MILPA S.A., UNIMINEX S.A.S, CONSORCIO CYPRUS LATAM

Die Regierung von Präsident Duque versucht noch möglichst viele Entscheidungen zu Gunsten der Bergbaukonzerne durchzudrücken, vieles per Dekret. Da die Regierung von Gustavo Petro diese Fragen anders handhaben will, ist der Druck gross, den Unternehmen noch möglichst viele Zugeständnisse zu machen. So soll auch im Cesar die Abwicklung der Rückgabe der Bergbautitel durch Prodeco und die Erteilung neuer Konzessionen und Lizenzen noch möglichst vor dem 7. August 2022 über die Bühne gehen. Will Petro diese Massnahmen Rückgängig machen, tangiert es die juristische Sicherheit der Firmen und deren Investitionen und bedeutet für die neue Regierung die Gefahr von neuen Klagen vor internationalen Schiedsgerichten. Kurz- und mittelfristig wird jedoch auch mit einer Regierung Petro weiterhin Kohle abgebaut. Der europäische Hunger nach nicht-russischer Kohle führt zu einer stärkeren Nachfrage nach kolumbianischer Kohle, was zum Paradox führen könnte, dass unter Petro der Kohleabbau und -Export neue Höchststände erreichen könnte. Die energetische Transition kann aber auch sehr problematische Auswirkungen haben. Einerseits werden im Cesar auch Konzessionen für Kupferminen vergeben, andererseits sind grosse Solarfarmen geplant, und mit Solar- und Windstrom soll „grüner Wasserstoff“ produziert werden. Solche Megaprojekte haben ebenfalls grosse potentiell negative Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und sind nicht wirklich nachhaltig.

Gemäss Vertretern der Regierung Duque sei Kolumbien bereit, die Kohleproduktion zu erhöhen und habe die Exporte in mehrere Länder wie Spanien, Holland und Kanada seit der russischen Invasion in die Ukraine schon erhöht. Neu exportiert Kolumbien wieder Kohle nach Irland. Irland hatte 2016 aufgehört, kolumbianische Kohle zu kaufen wegen menschenrechtlichen Bedenken, und hatte diese durch Lieferungen aus Russland ersetzt. Dank der hohen Nachfrage konnte Drummond Verträge über grosse Liefermengen für die nächsten 18 Monate abschliessen.[3] Auch Deutschland ist sehr interessiert, wieder mehr Kohle aus Kolumbien zu importieren. Dabei war Deutschland ein Land, das die Art und Weise wie in Kolumbien Kohle abgebaut, stark hinterfragt hatte und z.B. Abklärungsmissionen schickte. Experten hinterfragen die Lieferkapazitäten Kolumbiens für Kraftwerkskohle. Ein grosser Teil der Produktion sei für asiatische Märkte reserviert und kurzfristig sei eine grosse Produktionssteigerung schwierig.[4] Die Kohlepreise sind heute fast 100% höher als letztes Jahr. Angesichts der grossen Nachfrage sei es schwierig für Käufer, grosse Mengen ordern zu können. Die ganze wahrscheinliche Produktion von 2022 und 2023 sei schon verkauft, liess die Regierung Duque verlauten.[5]

 

 

[1] Mintrabajo se pronuncia sobre las protestas de sindicatos mineros – El Pilón | Noticias de Valledupar, El Vallenato y el Caribe Colombiano (elpilon.com.co)

[2] Contraloría pide tomar acciones por retiro de maquinaria de Prodeco en Cesar (wradio.com.co)

[3] Colombia lista para aumentar su producción de petróleo y carbón – AméricaEconomía | AméricaEconomía (americaeconomia.com)

 

[4] Europa necesita carbón y lo busca en Colombia (elcolombiano.com)

[5] ¿Volvió la buena hora del carbón? Colombia ya vendió su producción de 2022 y 2023 (semana.com)