Halbzeit für die Regierung Duque – schwieriger Friedensaufbau in Kolumbien
Von Stephan Suhner
Nach dem hoffnungsvollen Abschluss des Friedensabkommens zwischen der Regierung Santos und der FARC-Guerilla vom 24. November 2016 wählten die Kolumbianer 2018 einen neuen Präsidenten, der eine andere Vision von Frieden hat. Die Regierung von Ivan Duque startet heute, 7. August 2020, in die zweite Hälfte der vierjährigen Amtszeit. Militarisierung und strikte Legalität sollten unter Duque zum Frieden führen. Über die partizipativen, bottom-up Instrumente des Friedensabkommens, wie territoriale Entwicklungspläne für die am meisten von Gewalt betroffenen Regionen, stülpte Duque die Zukunftszonen (Zonas Futuro) unter zentraler Militärverwaltung über. Zwei sich völlig widersprechende Ansätze in denselben Regionen. Kann das gut gehen?
Nein, dieser Ansatz löst die Probleme nicht. Trotz der Entsendung von Tausenden von Soldaten in gewaltgeplagte Regionen geht das Morden der Drogenbanden, der Paramilitärs und der FARC-Dissidenzen selbst während der Corona-Ausgangsperren weiter. Es häufen sich Zeugenaussagen einer engen Zusammenarbeit der staatlichen Sicherheitskräfte mit paramilitärischen Gruppierungen und die Verwicklung der Armee in schwerste Menschenrechtsverletzungen. So haben Soldaten in den letzten Monaten in mehreren Fällen minderjährige indigene Mädchen über Tage mehrfach vergewaltigt. Es kommt erneut zu gewaltsamem Verschwindenlassen und aussergerichtlichen Hinrichtungen. Ganze Gebiete drohen definitiv unter die Kontrolle illegaler bewaffneter Gruppen zu gelangen, die dort Drogen produzieren oder illegal Gold abbauen.
Am meisten leiden KleinbauernführerInnen, die sich für die Substitution der Kokapflanzungen durch legale Pflanzungen einsetzen. Sie werden von den Drogenbanden erschossen, wenn sie sich gegen den weiteren Kokaanbau aussprechen. Ebenso betrifft es AfrokolumbianerInnen und Indigene. Am kleinen Volk der Awa im Südwesten des Landes wird ein eigentlicher Ethnozid verübt: neun Indigene wurden in den letzten vier Monaten umgebracht. Auch die ehemaligen FARC-KämpferInnen haben keine Sicherheit, 222 von ihnen wurden seit der Unterschrift des Abkommens ermordet und ganze Wiedereingliederungscamps müssen wegen der unsicheren Lage verlegt werden. Beim historisch wichtigsten Punkt des Abkommens, der Agrarreform, harzt die Umsetzung ganz besonders, noch kein einziger Hektar Land wurde umverteilt und an Landlose übertragen. Statt auf die bisher erfolgreiche freiwillige Substitution der Koka durch die Bauern selbst setzt die Regierung Duque auf gewaltsames Ausrotten und Besprühen mit Totalherbiziden. Auch fehlen noch verschiedene Gesetze zur politischen Partizipation und Garantien für die Opposition. Zudem kämpft das System der Wahrheitsfindung und Übergangsjustiz mit vielen Widerwärtigkeiten.
Bei aller Gewalt und Problemen der Umsetzung gibt es aber auch Hoffnung: entgegen der Ankündigung der Regierungspartei, das Abkommen in Stücke zu zerreissen, existiert dieses immer noch ohne wesentliche Abschwächungen. Für die Umsetzung des Abkommens rechnet man mit mindestens zehn Jahren und im internationalen Vergleich steht Kolumbien nicht so schlecht da. Zudem setzt sich die engagierte und gut organisierte Zivilgesellschaft weiterhin tatkräftig für den Frieden und für demokratische und soziale Reformen ein. Im ganzen Land spriessen grössere und kleinere Initiativen, die ihren Beitrag zu einer friedlicheren und gerechteren Zukunft leisten. Diesen Initiativen verleiht die Arbeitsgruppe Schweiz Kolumbien eine Stimme und setzt sich für die Wahrung ihrer Rechte ein.