Glencore Antapaccay und die Bevölkerung Espinars – ein nicht endender Konflikt

Aug 5, 2020

Von Stephan Suhner

Die Bevölkerung in der peruanischen Andenprovinz Espinar hat schon lange eine angespannte, konfliktreiche Beziehung zum Bergbau, der seit 40 Jahren in der Gegend Präsenz markiert. Ein glückliches Koexistieren zwischen Bevölkerung und Bergbau existiert nur im Marketing der Unternehmen. Eines dieser Unternehmen ist Glencore mit der Mine Antapaccay. Die Realität zeichnet sich vielmehr durch strukturelle Armut, zunehmende negative Folgen des Bergbaus auf die Ökonomie der Gemeinschaften im Umfeld der Minen, Gesundheitsprobleme, verschmutzte Wasservorkommen, steigende Lebenshaltungskosten, soziale Spannungen und Vereinzelung sowie Kriminalität aus.

Die Mine Antapaccay produzierte 2018 205‘414 Tonnen Kupfer, über 4 Tonnen Gold und 44 Tonnen Silber. Trotzdem ist 70% der Bevölkerung in Espinar arm. Zudem weisst ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung giftige Schwermetalle im Körper auf. Es gibt eine zunehmende Sterblichkeit von Nutztieren und Verschmutzung der Flüsse Cañipía und Salado, Staubbelastung durch den LKW-Transport und die Explosionen in der Mine, Filtrationen aus dem Rückhaltebecken Huinipampa und Ablassen von Industrieabwässern in den Fluss Cañipía. Dazu kommt die Kriminalisierung der sozialen Führungspersonen, einige sind seit dem Konflikt von 2012 in Verfahren verwickelt.

Der Konflikt vom Juli 2020 wurzelt teilweise in alten Gründen, hat aber auch sehr aktuelle Auslöser. Viele Motive beruhen auf dem Konflikt von 2012 und den Abkommen des danach eröffneten Dialogtisches, dessen zentrale Elemente immer noch nicht umgesetzt worden sind. U.a. sollte das Rahmenabkommen (Convenio Marco) von 2003 überarbeitet werden, und die Gesundheitsprobleme der Personen mit Schwermetall-konzentrationen im Körper angegangen werden. Der aktuelle Konflikt wurde darüber hinaus durch die nicht korrekt erfolgte vorgängige Anhörung und Konsultation gemäss ILO-Konvention 169 (consulta previa) für das Projekt Integración Corocchuayco ausgelöst. Hauptgrund ist aber die Forderung nach einer Einmalzahlung von 1000 Soles pro wahlberechtigte Person zur Unterstützung während der COVID19-Pandemie. Die wirtschaftliche und soziale Notlage hat sich durch die Rückkehr vieler ArbeitsmigrantInnen aus grösseren Städten noch verschärft. Der Bono solidario sollte über das Rahmenabkommen bezahlt werden. Der Entscheid darüber fiel am 14. Mai 2020 mit 5 Zustimmungen, 2 Enthaltungen und einer Gegenstimme in der Verwaltungsinstanz des Rahmenabkommens. Ein weiterer Konfliktgrund ist der intransparente Umgang von Glencore Antapaccay mit an COVID19 erkrankten Bergarbeitern. 48 Arbeiter sind am Virus erkrankt, das verwendete Testverfahren ist aber nicht staatlich anerkannt. Trotzdem arbeitete die Mine ununterbrochen weiter, weshalb eine weitere Verbreitung des Virus befürchtet wurde.

Glencore Antapaccay hat die solidarische Corona-Zahlung abgelehnt und stattdessen vorgeschlagen, 10‘000 Lebensmittelpakete zu verteilen, Zudem präsentierte sie den Plan Reactiva Espinar: 1) ein Arbeitsbeschaffungsprogramm; 2) ein Programm zur Ernährungssicherheit mit Volksküchen; 3) Dynamisierung der lokalen Wirtschaft über Mikrokredite; 4) Stärkung der Bildung durch 50 Stipendien; 5) Zugang zu Telekommunikation dank freiem Internet. Als in langen Verhandlungen über 60 Tage mit kleinen Protesten und cacerolazos (auf Pfannen und Kochtöpfe schlagen) keine Einigung erzielt werden konnte, wurde am 15. Juli durch das Kampf-Komitees der Provinz ein unbefristeter Zivilstreik ausgerufen. Die Mine Antapaccay hat eine intensive Medienkampagne für ihren Vorschlag Reactiva Espinar gemacht. In den ersten acht Tagen des Streiks nahm die Anzahl der Teilnehmer kontinuierlich zu, wegen der massiven Repression durch 200 Polizisten und 100 Armeeangehörige radikalisierte sich der Protest aber auch. Es kam zu gewalttätige Übergriffen durch die Sicherheitskräfte, die am 8. Tag zu heftigen Auseinandersetzungen und zu mehreren Verletzten führten, u.a. wurden drei Demonstranten durch Kugeln der Sicherheitskräfte verletzt. Zudem kam es zur Kriminalisierung von sozialen Führungspersonen. Die Staatsanwaltschaft beschied acht Führungspersonen der wichtigsten sozialen Bewegungen Espinars schon am 15. Juli , dass sie Delikte gegen die Staatsgewalt ausüben würden, durch Widerstand oder Ungehorsam gegen die Behörden gemäss Art. 368 des Strafgesetzbuches. Das Ziel ist klar: Verängstigung, Demobilisierung und Kriminalisierung der Protestierenden. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte verletzt auch ganz klar das Recht auf Demonstration, das erst gerade am 6. Juli 2020 in einem historischen Urteil durch das Peruanische Verfassungsgericht bestätigt wurde.

Zudem zeigt sich einmal mehr die Privatisierung der staatlichen Gewaltanwendung: ging es 2012 um das Abkommen zwischen der Mine und der Nationalpolizei, geht es diesmal um den alleinigen Schutz der Mineneinrichtungen durch die Sicherheitskräfte und den einseitigen Einsatz der Sicherheitskräfte zu Gunsten privater Interessen. Die Mine Antapaccay liess an diesem gewalttätigen, repressiven 8. Tag des Streiks verlauten, dass die Sicherheitskräfte angesichts der vielen Vandalenakte die Mine hätten schützen können. Das langfristig schwerwiegende der Repression ist, dass es Mobilisierungen langfristig verhindert und den Widerstandswillen der Bevölkerung auf Jahre hinaus bricht, so wie es schon bei den Konflikten 2005 und 2012 passiert ist. Nach 2012 hatte Glencore viele Jahre Ruhe, und vielleicht wollen sie auch jetzt Ruhe, um die Erweiterung Coroccohuayco durchzuführen. Die Schweizer Regierung hat sich aktiv darum bemüht, dass sowohl Peru als Land wie auch Xstrata und Glencore als Unternehmen den Freiwilligen Prinzipien für Sicherheit und Menschenrechte beitreten. Zweck dieser Voluntary Principles ist es, die Sicherheit von Bergbauunternehmen durch private oder staatliche Sicherheitskräfte zu garantieren, ohne dass dabei Menschenrechte verletzt werden. Angesichts der wiederholten exzessiven Gewaltausübung durch private wie staatliche Sicherheitskräfte zu Gunsten der Minen von Glencore Antapaccay – u.a. auch im Dezember 2018 als Glencores Sicherheitsdienst indigene Kleinbäuerinnen gewaltsam von ihrem angestammten Land vertrieb – muss gefolgert werden, dass die VP wirkungslos sind oder sich Glencore nicht um deren Umsetzung kümmert und sie damit nur dem Green Washing dienen.

Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen gab es eine Art „Waffenstillstand“ und angespannte Ruhe. Es besteht die Hoffnung, dass der Konflikt durch Dialog gelöst werden kann. Von Glencore Antapaccay erwarten die Protestierenden, dass sie dem verbreiteten Wunsch nach einer solidarischen Einmalzahlung zur Linderung der sozialen Not und grossen Armut, verschärft durch Covid19, sofort nachkommt. Glencore Antapaccay führt rein formelle Gründe dagegen ins Feld: so lehnt Glencore die Zahlung eines Bono ab, da dieser nicht einstimmig verabschiedet worden sei. Das Reglement des Rahmenabkommens sieht aber nur Entscheidung im Konsens vor und keine Einstimmigkeit. Zudem argumentiert Glencore, dass diese Zahlung der Zweckbestimmung des Fonds des Rahmenabkommens wiederspreche und auch nicht verletzliche Familien profitieren könnten. Für den Soziologen José Antonio Lapa sind das vorgeschobene Argumente und er sieht in Wirklichkeit andere politische Motive hinter der Ablehnung: bisher konnte Glencore Antapaccay das Rahmenabkommen kontrollieren und die Entscheidung des Verwaltungsausschusses mitbestimmen. Nun wollen sie durch die Ablehnung einem Kontrollverlust und Präzedenzfall entgegen wirken. Inoffiziell wurde bekannt, dass sich die verschiedenen Bergbauunternehmen (Glencore Antapaccay, Hudbay und MMG Las Bambas) getroffen habe und dass Glencore aufgefordert wurde, bezüglich der Bonuszahlung nicht nachzugeben, da sonst die anderen Unternehmen ebenfalls unter Druck gerieten, auch solche Zahlungen zu leisten. Sowieso gilt das Rahmenabkommen von 2003 in der Bergbauindustrie als Fehler, den es ja nicht zu wiederholen gilt. Wenn Glencore nun diese solidarische Zahlung aus dem Fonds des Rahmenabkommens leisten würde, wäre das in den Augen der anderen Bergbauunternehmen ein erneuter Fehler und könnte weitere Forderungen nach sich ziehen.

Die Forderungen der Protestbewegung sind folgende:

  1. Dass Glencore der Forderung nach einer solidarischen Zahlung, die im Verwaltungskomitee des Rahmenabkommens beschlossen wurde, sofort nachkommt, da die COVIOD19- Pandemie schwere Folgen hat und eine Mehrheit der Bevölkerung der Provinz Espinar nicht vom Bergbau lebt, aber unter den gestiegenen Lebenshaltungskosten und der Umweltverschmutzung leidet.
  2. Dass Glencore die Menschenrechte und das Recht auf Gesundheit garantiert und sich dazu dringend um die Personen kümmert, die Schwermetalle in ihren Körpern aufweisen, insbesondere Kinder und Jugendliche.
  3. Dass Glencore darauf verzichtet, sich auf die öffentlichen Sicherheitskräfte abzustützen, um ihre wirtschaftlichen Interessen abzusichern, da dies zu Gewalt führt und die Menschenrechtspolitik, für die sich das Unternehmen lobt, verletzt.
  4. Dass Glencore die Neuaushandlung des Rahmenabkommens in die Hand nimmt und aufhört, die Mittel des Fonds dazu zu verwenden, ihre Interessen abzusichern statt die Entwicklung der Provinz sicher zu stellen.
  5. Dass Glencore aufhört, die Gesundheit der Gemeinschaften und der lokalen Bevölkerung aufs Spiel zu setzen, dies wegen den aufgedeckten COVID19-Fällen unter den Arbeitern der Mine und wegen der intransparenten Informationspolitik für die Bevölkerung Espinars.
  6. Dass in Bezug auf das Projekt Coroccohuayco eine wirkliche vorgängige Anhörung und Konsultation mit den indigenen Völkern der Provinz Espinar durchgeführt wird.

 

Quellen:

Verschiedene Berichte und Mailauskünfte der peruanischen NGO Derechos Humanos sin Frontera

https://www.pulsoregional.pe/2020/07/27/espinar-un-conflicto-de-viejas-y-nuevas-causas/?fbclid=IwAR1VbL1yJYi0y7iq9qHsLZuBk0rLWqlHPyKxW1fP7BI0fgX0kJXYqctDnbk

https://www.pulsoregional.pe/2020/08/03/por-que-antapaccayse-opone-al-bono-en-espinar/

https://www.herriarte.org/news/represion-espinar/