Die Verhaftung von Otoniel verringert den Drogenhandel kaum

Dez 20, 2021

Von Stephan Suhner

Am 23. Oktober 2021 wurde Dairo Antonio Úsuga, alias Otoniel, gefasst. Präsident Duque verkündete auf der Militärbasis Tolemaida, dass dies der wichtigste Schlag gegen den Drogenhandel in Kolumbien im 21. Jahrhundert sei und nur mit dem Tod von Pablo Escobar in den 90er Jahren vergleichbar sei. Mit der Verhaftung von Alias Otoniel in der Operation Osiris sei das Ende des Clan del Golfo besiegelt. Diesen Aussagen Duques liegt eine verbreitete falsche Annahme zu Grunde, dass mit dem Entfernen des Kopfes einer kriminellen Organisation automatisch deren Handlungsfähigkeit verschwinde. Dabei wird aber die Anpassungsfähigkeit dieser Organisationen an den jeweiligen Kontext unterschätzt. Das Medellín- und das Cali-Kartell operierten im Kontext von nationalen Institutionen mit einer zweideutigen Haltung und einer eher positiven Haltung der Bevölkerung und der Lokalregierungen den Kartellen gegenüber. Es handelte sich um vertikale hierarchische Organisationen mit sichtbarer Präsenz in den wichtigsten Städten Kolumbiens. Das Medellín-Kartell war der Anwendung von Gewalt mehr angetan als das Cali-Kartell. Beide Organisationen umfassten verschiedene Phasen des Drogenhandels, vom Labor bis zur Kommerzialisierung im Ausland.

Anfang der 90er Jahre erhöhten die USA den Druck gegen den Drogenhandel und die kolumbianischen Behörden sahen sich zum Handeln gezwungen: 1993 wurde Escobar auf der Flucht erschossen und 1995 das Cali-Kartell zerschlagen. Beide Organisationen überlebten nicht, der Drogenhandel ging aber mit kleineren Organisationen weiter.

Zwischen 1997 und 2006 kam es zum Aufstieg der Paramilitärs mit den AUC als Konföderation verschiedener Blöcke und das Territorium und dessen Bewohner wurden wichtiger. Ebenso wurden neue illegale Geschäftsnischen besetzt wie Erpressung und Entführung und es kam zu einer Gewaltspirale mit Paramilitärs, der Guerilla und einigen Drogenhändlern. Diese neuen Akteure im Drogenhandel hatten weniger Teilnahme im internationalen Drogenhandel, aber die Drogenpflanzungen in Kolumbien nahmen zu, womit die ländlichen Gemeinschaften für diese kriminellen Organisationen wichtiger wurden. Damit war das Terrain für den Clan del Golfo vorbereitet. Die Entstehung des Clan del Golfo war auch von den Demobilisierungen der AUV 2006 und der FARC 2016 beeinflusst. Nach 2006 entstanden verschiedene hybride Gruppierungen, die Delinquenz mit politischen Absichten kombinierten. Eine dieser Gruppierung waren die Autodefensas Gaitanistas de Colombia (AGC). 2009 wurde Daniel Rendón Herrera alias Don Mario, Ex-Kommandant der AUC und Gründer der AGC verhaftet. Anfangs 2012 wurde Juan de Dios Úsuga David, alias Giovanny, bei Gefechten getötet, sein Bruder Dairo Antonio Úsuga David übernahm die Führung und weitete den Aktionsradius aus. Ende 2012 galten die AGC für die kolumbianische Regierung als die wichtigste Drogenhandelsorganisation. Die AGC gaben sich ein breit aufgestelltes und dezentralisiertes Führungsmodel und waren v.a. in den ländlichen Gebieten verankert, worin sie sich vom Medellín- und Cali-Kartell unterschieden. Als sich die FARC demobilisierten, versuchte die von Otoniel geführte Organisation diese Gebiete zu erobern, was zu Gefechten mit FARC-Dissidenzen, dem ELN und anderen kriminellen Gruppen und zu einem Anstieg der Gewalt führten. Die AGC meisterten die Herausforderungen des kolumbianischen Territoriums über Ausgliederungen an „Subunternehmer“, Erpressung, Vertreibungen und Mord.

Die triumphalen Ankündigungen von Präsident Duque sind wenig wert, die Verhaftung von Alias Otoniel wird nicht das Ende der Organisation bedeuten, die er anführte. Es wird zu Konflikten um die Nachfolge kommen, verschiedene Namen werden aber schon als mögliche Nachfolger gehandelt. Duque gewinnt politisch, in dem er „Resultate“ vorweisen kann, ebenso die Sicherheitskräfte, da Otoniel ein sehr wertvolles Ziel war. Für die USA bedeutet es die Stärkung des bisherigen Ansatzes des internationalen Drogenkontrollregimes. Die bevorstehende Auslieferung von Alias Otoniel bedeutet aber einen Rückschlag für die Opfer, für die Wahrheitssuche und für die Bestrafung der politischen Unterstützer des Clan del Golfo.

Quelle:
https://razonpublica.com/narcotrafico-despues-otoniel/