Defendamos la Paz – Breite Bewegung für den Frieden
Von Stephan Suhner
Ivan Cepeda und Juan Fernando Christo kamen auf Einladung der Friedrich Ebert Stiftung FESCOL nach Deutschland und nach Brüssel. Ziel des Besuches war, die Initiative Defendamos la Paz vorzustellen, eine Initiative die vor einem knappen Jahr entstanden ist und heute 3000 Mitglieder in 35 thematischen und regionalen Gruppen zählt. Dazu gehören ehemalige Verhandlungsführer mit den FARC, 60 Kongressabgeordnete verschiedener Parteien, Ex-Minister, Mitglieder von sozialen Bewegungen und von Menschenrechtsorganisationen sowie ehemalige Militärs. Es ist die breitest aufgestellte Plattform zu Gunsten des Friedens, die es in Kolumbien je gab und sie hat beträchtlichen Einfluss. So konnte Defendamos la Paz negative Entwicklungen verhindern, z.B. die Ablehnung der JEP durch Präsident Duque, oder die Situation der Morde an sozialen Führungspersonen sichtbar machen.
Bei allen Schwierigkeiten und tragischen Ereignissen in Kolumbien möchte Cepeda in seinen Gesprächen doch auch Optimismus verbreiten. So führt er aus, wie der Friedensprozess die politische Landschaft neu geordnet habe, verschiedene politische Sektoren, die vorher nie miteinander gesprochen haben, treffen nun zusammen. So konnte erreicht werden, dass unterschiedliche Parteien im Kongress gemeinsam Mehrheiten für den Frieden erzielen, und das weit über die Linke hinaus. Die Parteien und Kandidaten, die sich für den Frieden einsetzen, hatten auch Erfolg bei den Regionalwahlen, was zu politischen Veränderungen auf lokaler Ebene führt. Bei den Wahlen vom 27. Oktober 2019 gab es viele unabhängige Stimmen (votos de opinión) und so konnten Bürgermeisterämter und Gouverneursposten sowie Sitze in den Gemeinde- und Departementsversammlungen mit dem Frieden wohlgesinnten KandidatInnen gewonnen werden. Die meisten Bürgermeister, die in gewaltgeprägten Zonen mit PDETs gewählt wurden, sind für den Friedensprozess. Es ist ein wichtiges Warnsignal an die Regierung, dass sie in diesen Regionen verloren hat. Diese neugewählten Bürgermeister und die Regierung Duque müssen nun zusammenarbeiten, was sich auf diese Regionen positiv auswirken kann.
Der Friedensprozess hat auch Einfluss auf die Armee. Die Mehrheit der Armee hat die ehemaligen FARC-KämpferInnen geschützt und für deren Sicherheit gesorgt, trotz Ausnahmen wie der Fall der aussergerichtlichen Hinrichtung von Dimar Torres. Zum Schutz der ehemaligen FARC-KämpferInnen wurde eine eigene Einheit in der Armee aufgebaut. Der strenge Korpsgeist versagt immer wieder. Die Politik der neuen Falsos positivos oder des Body-count wurde von höheren Mitgliedern der Streitkräfte öffentlich gemacht, ebenso wie die weiteren Ereignisse, die dann zum Rücktritt des Verteidigungsministers Botero führten.
Heute gibt es eine Debatte über das historische Erinnern, die weit über die NGO und die Akademie hinausgeht. Es gibt eine gesellschaftliche Debatte darüber, mit den Gegenpolen der Verneinung (negacionismo) und dem historischem Erinnern. Abgesehen von der schwierigen Implementierung des Friedensabkommens eröffnen sich neue Möglichkeiten für die Veränderungen, die das Land braucht. Die Morde an sozialen Führungspersonen, MenschenrechtsverteidigerInnen und Indigenen ist nicht mehr nur eine Sorge der NGOs, sondern viel breiterer Sektoren. Wenn vor zehn Jahren ein Indigener im Cauca umgebracht wurde, war das keine Schlagzeile wert, heute kommt es auf die Titelseiten.
Juan Fernando Christo betont, wie sich die Kolumbianer gerne in Selbstkasteiung üben und dies verhindert, die gemachten Fortschritte zu sehen. Es gibt ernsthafte Probleme wie beispielsweise die Morde an Aktivisten, aber es gibt vor allem zwei wichtige Tatsachen: die Morde rufen heute Protest und Wut in der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit hervor, nicht nur bei Menschenrechtsaktivisten, was ist eine qualitative Veränderung darstellt. Und es gibt mehr Respekt für die Diversität. Vor zehn Jahren existierten die Opfer nicht. Sie waren nicht sichtbar, hatten keine Instrumente zur Hand und erhielten keine Unterstützung. Sie waren keine Rechtssubjekte. Um die Konfliktopfer weiter zu unterstützen, verlangt Defendamos la Paz deshalb eine Verlängerung des Opfer- und Landrückgabegesetzes, da dieses im Juni 2021 ausläuft. Christo möchte eine optimistische Nachricht in Mitten der täglichen Tragödien verbreiten: es gibt verschiedene Zahlen zu Gewalt, die stark gesunken sind, wie die Toten in Gefechten, die Entführungen etc., das müsse gesagt werden.
Auch ist das Friedensabkommen mit den FARC viel mehr als ein Abkommen über Entwaffnung und Wiedereingliederung, nämlich ein Abkommen über soziale Transformationen, um den Frieden in die Territorien zu bringen, mit der integralen Agrarreform, den politischen und Wahlreformen und dem 4. Punkt des Abkommens über Drogenpolitik und freiwillige Substitution. Mit dem Friedensabkommen wurde eine Friedensvision für 2030 entworfen, die aber 2018 bei den Wahlen politisch geschlagen wurde. Die Regierung von Präsident Duque hat eine ganz andere Vision als diejenige des Friedensabkommens. Das Positive ist aber, dass obwohl die Regierung wollte, es ihr nicht gelungen ist, das Friedensabkommen zu zerschlagen. Das Abkommen ist weiterhin in Kraft, ohne eine einzige bedeutende Abänderung, und die Regierung hat keine Mehrheit, um es abzuändern. Und etwas schelmisch fügt er hinzu: was auch positiv sei, ist, dass Duque nur noch weniger als drei Jahre an der Spitze der Regierung bleiben werde
Dementsprechend ist Christo auch verhalten optimistisch was den weiteren Verlauf des Friedensprozesses angeht. Die Entwicklungspläne mit territorialem Fokus PDET werden in 170 Gemeinden erarbeitet, sie sollen den Frieden in die Territorien tragen. Den Indigenen im Cauca und den Kleinbauern im Catatumbo interessieren nicht die Streitigkeiten in Bogota über die Übergangsjustiz, sondern die Frage, ob der Frieden in seiner Region Wirklichkeit wird. Die Gebiete wo PDETs umgesetzt werden, gehören weiterhin zu den konfliktträchtigsten. Obwohl sich Defendamos la Paz für eine integrale Umsetzung einsetzt, gibt es einige Elemente des Friedensabkommens, die dringend sind, wie beispielsweise die Garantien zum Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen, die ausgehandelt wurden, und öffentliche Investitionen in den Regionen. Auch wenn unter Duque nicht alles im Abkommen umgesetzt wird, so kann es doch möglich sein, in Teilaspekten wichtige Fortschritte zu erzielen. Darin geht Christo mit Cepeda einig, dass die neu gewählten friedensaffinen Lokalpolitiker einen wichtigen Beitrag zur Implementierung des Friedensabkommens in den Regionen leisten können.
Cepeda und Christo kritisieren auch, dass die Politikmassnahmen der nationalen Regierung in Bezug auf die Territorien reaktiv sind. Erst nachdem dort etwas Schlimmes passiert ist, ein Mord oder ein Massaker, wird reagiert. Die Präsenz der Regierung sollte aber permanent und systematisch sein, und verstärkt soziale statt nur militärische Komponenten aufweisen. Daher entstand die Idee der weissen Zelte, mit denen sich verschiedene Behörden gemeinsam und permanent in den Regionen installieren. Es gibt fünf Territorien, in denen 80% der Gewalt stattfindet: Catatumbo, Bajo Cauca antioqueño, Pazifikregion (v.a. Chocó), Arauca und Cauca. Es geht bei dieser Gewalt vor allem um territoriale Kontrolle für Drogenhandel und illegalen Goldabbau und teilweise hat es mit der fehlenden Implementierung des Friedensabkommens zu tun. Hinter der Vertreibung vom Land und Verhinderung der Drogensubstitution stehen in erster Linie wirtschaftliche Interessen der Gewaltakteure. Unsere grösste Sorge sollten daher die Bewohner dieser fünf Regionen sein, deren Schicksal verbessert werden muss. Die neugewählten Bürgermeister können in diesen Regionen eine wichtige Rolle spielen. Cepeda und Christo zeigen sich optimistisch, dass es zumindest gelingt, Teile des Friedensabkommens für diese Regionen umzusetzen, und dass dank den Wahlergebnissen die Regierung diese Gebiete nicht einfach ignorieren kann.
Die Tatsache, dass verschiedene Länder Lateinamerikas in Aufruhr sind und Aufmerksamkeit verlangen, könnte Kolumbien etwas aus dem Blick nehmen. Cepeda und Christo stellten auf ihrer Reise fest, dass Kolumbien in Europa zwar auf dem Radar ist, es aber eine Sorge unter mehreren ist. Die Ermahnungen aus Europa waren aber von grosser Wichtigkeit um Abänderungen am Friedensabkommen zu verhindern. Und es muss weiterhin von Europa darauf insistiert werden, dass das Friedensabkommen integral implementiert werden muss und nicht andauernd über Änderungen gesprochen werden kann.
Juan Fernando Christo hebt noch eine eher unbekannte internationale Komponente des Friedensprozesses hervor. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 gibt es starke Bestrebungen, das internationale humanitäre Völkerrecht zu hinterfragen. Das Friedensabkommen von November 2016 ist jedoch die Bestätigung des humanitären Völkerrechts, die gefundene Lösung respektiert diese Normen. Die Regierung Duque weiss das, deshalb greift sie das Abkommen an, deshalb der ganze Wirbel um das ELN in Kuba und die Verneinung der Existenz des bewaffneten Konfliktes. Die Beobachtungsmission des UNO Sicherheitsrates in Kolumbien ist daher sehr wichtig für die weitere Geltung des internationalen humanitären Völkerrechts, in Kolumbien steht viel auf dem Spiel für zukünftige Friedensprozesse weltweit.
Zuletzt betonten Christo und Cepeda die Wichtigkeit der sozialen Mobilisierung wie der geplante Nationalstreik vom 21. November. Die Regierung versuche Ängste zu schüren mit den Ereignissen in Chile oder Ecuador. Der Aufruf zum Streik sei aber sehr breit, nicht nur von Gewerkschaften, den Linken und Sozialbewegungen getragen, sondern viel diverser. Die beiden zeigen sich optimistisch, dass sehr viele Menschen auf die Strasse gehen, viele davon das erste Mal. Damit könnte die Regierung gebremst und ermüdet werden. Die Regierung kann nicht gewechselt werden, ein Rücktritt Duques ist praktisch ausgeschlossen, aber seine Initiativen können gebremst werden, er soll verbraucht zu den Wahlen 2022 gelangen. Ivan Cepeda hält zum Abschluss fest, die Sektoren von Defendamos la Paz müssten sein, eine Regierung für einen vollständigen, wirklichen Frieden zu werden, und eine sehr breite Regierungskoalition mit genügend Willen bilden um Frieden aufzubauen und die Gewaltphänomene zu überwinden.