Intensivierte Gewalt im Vorfeld der Wahlen

Okt 31, 2019

Von Lisa Alvarado

Aggressionen und Anschläge gegen soziale Führungspersonen, Politiker und ehemalige FARC-KämpferInnen intensivierten sich im Vorfeld der Wahlen Ende Oktober. Ein Bericht von ‚Somos Defensores‘ sowie unzählige Medienmitteilungen und Artikel zeigen das Ausmass der Gewalt. Während die Ursachen und Gründe vielfältig sind, zeigt der Staat in Form der Armee, besonders in ländlichen Gebieten, zwar viel Präsenz aber keine grosse Wirkung.

In dem kürzlich veröffentlichten Bericht von ‚Somos Defensores‘ (Defensores ¿El Juego Final?)[1] werden die Aggressionen gegen soziale Führungspersonen im letzten Semester zusammengetragen. Nachdem alle 59 im ersten Semester 2019 ermordeten Personen mit Foto und kurzem Text erwähnt werden, geht der Bericht auf die Veränderungen im Vergleich zum gleichen Zeitraum im letzten Jahr ein. Insgesamt haben die Aggressionen um 49% zugenommen. Obwohl es einen Rückgang der Attentate um 23% gegeben hat, warnt der Bericht vor einer möglichen Zunahme im zweiten Semester aufgrund der Lokalwahlen, die Ende Oktober 2019 stattfinden.

Die Verantwortlichen für die Morde sind, wie auch in früheren Berichten festgehalten, weiterhin hauptsächlich paramilitärische Gruppen (53% der Fälle), sowie Unbekannte (28%). Weiter zählen zu den Verantwortlichen auch Dissidenten der FARC (9%), ELN (6%) und das Militär (4%). Die Neuordnung von bewaffneten Gruppen, nachdem die FARC die Waffen abgegeben hatten, führt laut der Direktorin von ‚Somos Defensores‘ dazu, dass in vielen Fällen nicht geklärt werden kann, wer für ein bestimmtes Delikt verantwortlich ist.[2]

Der Bericht zeigt, dass die Situation momentan im Departement Cauca besonders schlimm ist, welches weiterhin das gefährlichste Departement für soziale Führungspersonen darstellt und die stärkste Erhöhung an Aggressionen von MenschenrechtsverteidigerInnen in diesem Jahr erlebt hat. [2] So wurde im September die Kandidatin für das Bürgermeisteramt in Suárez, Karina García zusammen mit ihrer Mutter und weiteren Begleitern in einem Auto umgebracht.[3] Auch diesen Monat gab es weitere Morde, hauptsächlich an indigenen und bäuerlichen Führungspersonen sowie an ehemaligen FARC-Kämpfern.[4]

Doch der Cauca ist nicht die einzige gefährdete Region. In der Region Tumaco ist nicht einmal eine absolute Zahl an Toten bekannt. Ein kürzlich stattgefundener Kampf zwischen Mitgliedern der FARC-Dissidenz ‚Frente Oliver Sinisterra‘ und der paramilitärischen Gruppe ‚Los Contadores‘ hat mindestens vier Tote und unzählige Verletzte hinterlassen. Während Berichten zufolge die erste Gruppe den städtischen Raum von Tumaco kontrolliert, haben die ‚Contadores‘ den ländlichen Raum unter Kontrolle.[5] Die Armee zeigt in dieser Konstellation keine Macht. Ein Mordopfer war Javier Córdoba Chaguendo, ein junger Journalist, der im Studio des lokalen Radiosenders umgebracht wurde, als er die morgige (morgendliche?) Sendung vorbereitet hatte. Auch hier war der Staat nicht präsent.[6]

Die fehlende Wirkung des Militärs ist auch im Cauca zu spüren. Obwohl mehr als 2000 Soldaten in der Region patrouillieren, passieren viele Attentate.[7] Da stellt sich auch die Frage, ob es die richtige Strategie ist, immer mehr Truppen in die konflikterschütterten Gebiete zu senden, wie es die Regierung momentan tut. Der staatliche Menschenrechtsombudsmann, Carlos Negret, hat zusätzlich die Errichtung eines weissen Zeltes (‚carpa blanca‘) zum Schutz der Zivilbevölkerung vorgeschlagen.[8]

Die Gründe für die verstärkte Gewalt sind vielfältig. Einerseits geht es um die bereits erwähnte Neuordnung von bewaffneten Gruppen im Nachgang der Auflösung der FARC. In vielen ländlichen Gebieten, wo der Staat (praktisch) nicht präsent ist, stellt sich in der Folge der Abwesenheit der FARC die Frage nach territorialer Kontrolle, und Machtverhältnisse werden neu ausgehandelt. Die Verhandlungsmacht liegt dabei beim Stärkeren. Es geht um die Kontrolle von illegalem Bergbau, Koka-Anbaugebieten und strategisch wichtigen Durchgangstälern für den Drogenschmuggel.

Ein weiterer Grund für die verstärkte Gewalt gerade jetzt stellten die Regional- und Lokalwahlen dar, die am 27. Oktober 2019 stattfanden. Es gibt Berichte, wonach Parteigegner verantwortlich für die politischen Morde sind, und nicht FARC-Dissidenten, wie es die Position der Regierung verlauten lässt.[9] Ermittlungen der Wahlbeobachtungsmission (MOE) haben ergeben, dass 152 Gemeinden im Land im Zusammenhang mit den Wahlen unter einem Korruptionsrisiko und Gewaltfaktoren leiden.[10] Dies sind zwar weniger Gemeinden als 2015, dafür hat sich die Gewalt konzentriert und in den betroffenen Gemeinden intensiviert. Die drei am stärksten betroffenen Departemente sind dabei Antioquia, Chocó und Nariño.

Der Bericht von ‚Somos Defensores‘ stellt eine detaillierte Analyse der Menschenrechtssituation in Kolumbien dar, welche von diversen anderen Quellen bestätigt wird. Dieser Bericht wurde der Regierung vorgelegt und diese dazu aufgefordert, die Realität in ländlichen Gebieten anzuerkennen und griffige Massnahmen dagegen einzuleiten. [2]

[1] https://somosdefensores.org/wp-content/uploads/2019/10/informe-Somos-defensores-ENERO-JUNIO-2019-oct-8-web-final.pdf.pdf

[2] https://www.contagioradio.com/agresiones-contra-lideres-sociales-incrementaron-un-49-en-el-primer-semestre-del-2019/

[3] https://verdadabierta.com/suarez-tres-anos-bajo-fuego/

[4] https://www.contagioradio.com/asesinan-a-dumar-noe-mestizo-joven-lider-indigena-de-jambalo-cauca/

http://www.colombiainforma.info/el-cauca-esta-de-luto-tres-lideres-sociales-asesinados/

[5] https://www.contagioradio.com/en-tumaco-opera-la-justicia-de-los-grupos-residuales-en-medio-de-la-militarizacion/

[6] https://www.contagioradio.com/javier-cordoba-chaguendo-periodista-de-radio-comunitaria-fue-asesinado-en-tumaco/

[7] https://www.contagioradio.com/asesinan-a-dumar-noe-mestizo-joven-lider-indigena-de-jambalo-cauca/

[8] https://www.eltiempo.com/colombia/otras-ciudades/asesinatos-de-indigenas-generan-preocupacion-en-el-cauca-420400

[9] https://amerika21.de/2019/10/232361/kandidaten-lassen-gegner-ermorden-kolumb?pk_campaign=newsletter&pk_kwd=daily

[10] https://moe.org.co/riesgos-por-fraude-y-por-factores-de-violencia-confluyen-en-152-municipios-del-pais-moe/