Sonderjustiz für den Frieden: ein Gesetz mit Mängeln

Apr 1, 2017

Von Fabian Dreher

Im März verabschiedete der kolumbianische Kongress nach langen Debatten das Gesetz für die Sonderjustiz für den Frieden. Verschiedene Änderungen, die der Kongress eigenmächtig vorgenommen hat, entsprechen weder dem Friedensabkommen noch den Anliegen der Opfer von Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des Konflikts. Die Behebung der Mängel des verabschiedeten Gesetzes erhöht die Chancen für einen nachhaltigen Frieden in Kolumbien.

Im Rahmen des Friedensabkommens zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC einigten sich die Konfliktparteien nach langen Verhandlungen auf ein System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung (Sistema Integral de Verdad, Justicia, Reparación y No Repetición). Dieses System soll die Wahrheitsfindung begünstigen, die Verantwortlichen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Verantwortung ziehen, den Opfern Wiedergutmachung zukommen lassen und dafür sorgen, dass sich diese Vergehen nicht wiederholen.

Kernstück dieses Systems ist die Sonderjustiz für den Frieden[1] (Jurisdicción Especial para la Paz), auch Übergangsjustiz genannt. Nachdem beide Kammern des Kongresses im März dem Gesetz für die Sonderjustiz zugestimmt haben, liegt der Ball nun beim Verfassungsgericht. Die Sonderjustiz soll die Vergehen von Angehörigen von Polizei, Armee, Guerilla sowie Privatpersonen beurteilen, die im Rahmen von Kampfhandlungen verübt wurden.

Um in den Genuss von Straffreiheit (für mindere Vergehen) oder Strafreduktion (für Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit) zu kommen, müssen die in Kampfhandlungen involvierten Personen ein umfassendes Geständnis ablegen. Dadurch soll die Wahrheitsfindung ermöglicht werden. In der Folge können auch die Opfer der Vergehen Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht erlangen. Allerdings hat der Kongress der Republik Kolumbien die Wahrheitsfindung im Gesetz über die Sonderjustiz deutlich geschwächt. Mitglieder der staatlichen Sicherheitskräfte (Polizei, Armee, Sondereinsatzkommandos, etc.) können ohne weitere Untersuchung ihre Vergehen gestehen und um Vergebung bitten. Im Gegenzug dazu erhalten sie umfassende Amnestie und können juristisch nicht mehr belangt werden. Dadurch wird die Wahrheitsfindung verunmöglicht[2]. Und ohne Wahrheitsfindung ist auch die Wiedergutmachung an den Opfern der Kampfhandlungen nicht möglich. So kritisieren Opferverbände und Menschenrechtsorganisationen denn auch die Änderungen des Kongresses. Insbesondere die Rechte der Opfer des bewaffneten Konflikts wurden in der Ausgestaltung der Sonderjustiz vernachlässigt[3].

Seit der Ratifizierung des Gesetzes für die Sonderjustiz für den Frieden haben sich denn auch bereits zahlreiche ehemalige und gegenwärtige Angehörige von Armee und Polizei erklärt, sich der Sonderjustiz zu unterstellen[4]. Sie sehen diese offensichtlich nicht als Bedrohung an, sondern als Möglichkeit, Strafverfolgung für ihre Taten zu vermeiden. Zu Recht befürchten Opferverbände und Menschenrechtsorganisationen dass es sich beim abgeänderten Gesetz für die Sonderjustiz eigentlich um eine Hintertür für die Straflosigkeit der staatlichen Ordnungskräfte handelt[5]. Dies würde den Vereinbarungen im Friedensvertrag mit den FARC zuwiderlaufen. Diese haben entsprechend auch Verwunderung und Enttäuschung signalisiert[6].

Ein weiterer zentraler Punkt der Sonderjustiz für den Frieden ist die No Repetición, also die Garantie, dass sich die Vergehen nicht wiederholen. Dazu gehören die Entwaffnung der Schuldigen – so auch die Entwaffnung der FARC – respektive die Entlassung fehlbarer Mitglieder von Polizei und Streitkräften. Eben diese Entfernung von Tätern aus den Reihen der staatlichen Ordnungskräfte wurde jedoch vom Senat kurzerhand aus dem Gesetz gestrichen. Dies kommt beinahe einer Einladung zur Wiederholung von Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Polizei und Armee gleich.

Des Weiteren verletzt das vom Kongress verabschiedete Gesetz Artikel 28 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs, wonach Vorgesetzte für die Verbrechen ihrer Untergebenen Verantwortung tragen, wenn sie von den Taten wussten oder davon gewusst haben sollten. In der verabschiedeten Fassung wird dies abgeschwächt durch die Bedingung, dass sie die „effektive Befehlsgewalt“ im Moment der Taten ausgeübt haben und entsprechend die Taten hätten verhindern können. Als Vertragsstaat ist Kolumbien zur Einhaltung des Römer Statuts verpflichtet. Sollte diese Abschwächung durch die Übergangsjustiz umgesetzt werden, können militärische Führungspersonen kaum mehr für ihre Taten belangt werden[7].

Die Sonderjustiz für den Frieden sollte gemäss Friedensabkommen nicht nur Mitglieder der Guerilla und der staatlichen Sicherheitskräfte zur Rechenschaft ziehen, sondern auch Zivilpersonen die Kriegsverbrechen unterstützt oder dazu aufgerufen haben. So auch die politischen und wirtschaftlichen Verantwortlichen von paramilitärischen Morden. Die verabschiedete Fassung erklärt die Teilnahme von Zivilpersonen an der Sonderjustiz für freiwillig. Damit werden die Hintermänner der von paramilitärischen Gruppierungen begangenen Massaker, Morde und Vertreibungen vor juristischer Verfolgung geschützt[8]. Menschenrechtsorganisationen vertreten entsprechend die Meinung, dass wenn der kolumbianische Staat diese Personen aus politische Gründen nicht verurteilen will, so sollte der internationale Strafgerichtshof (Corte Penal Internacional) dies übernehmen[9]. Da Kolumbien Vertragsstaat des Römer Statuts ist, wäre dies möglich.

Die Sonderjustiz für den Frieden ist ein zentraler Pfeiler des Friedensabkommens zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC. Während das ursprünglich von Präsident Santos präsentierte Gesetz zumindest versuchte, dem Friedensabkommen gerecht zu werden weisst die vom Kongress verabschiedete Variante gravierende Mängel auf. Es bleibt abzuwarten, wie das Verfassungsgericht dieses Gesetz beurteilen wird. Falls das Verfassungsgericht das Gesetz in seiner aktuellen Form ablehnt, so sollte der Kongress bei seiner Nachbesserung die oben genannten Mängel beheben, damit das Gesetz seinen ursprünglichen Auftrag von Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Wiederholung gerecht werden kann.