Umstrittene Sonderjustiz für den Frieden

Nov 27, 2017

Von Fabian Dreher

Einige wichtige Hürden hat die Sonderjustiz für den Frieden (JEP) im November 2017 genommen, weitere stehen noch an, bis das Gesetz in Kraft treten kann. Das Gesetz sowie die Änderungen von Verfassungsgericht und Senat werden von allen Seiten kritisiert. Während die Zivilgesellschaft befürchtet, dass viele TäterInnen sich der JEP entziehen werden und schlussendlich straffrei davon kommen, blockiert die rechte Opposition aus politischen Gründen die Verabschiedung des Rahmengesetzes im Parlament.

Der kolumbianischen Regierung fällt es weiterhin schwer, das Friedensabkommen mit den FARC umzusetzen. Gemäss Berichten sind erst 18 Prozent des Abkommens umgesetzt und das sogenannte Fast-Track-Verfahren, welches die schnellere Behandlung von Gesetzesvorlagen im Rahmen des Friedensvertrags ermöglicht, fällt ab dem 1. Dezember 2017 weg. Ein zentraler Punkt des Friedensabkommens ist die Sonderjustiz für den Frieden (Jurisdiccion Especial para la Paz, JEP) im Rahmen des Sistema Integral de Verdad, Justicia, Reparación y No Repetición (Punkt 5 des Friedensabkommens).

Die JEP stand in den letzten Monaten im Zentrum der parlamentarischen Auseinandersetzung zwischen Regierung und rechter Opposition. Politiker rund um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe machen geltend, dass die ehemaligen KämpferInnen der FARC mit der Umsetzung der JEP straflos davon kommen. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Um Frieden zu schliessen und damit die Opfer des Konflikts die Wahrheit über Taten und Verantwortlichkeiten erfahren, wurde die JEP entwickelt, die den Teilnehmenden im Falle der Kooperation Strafminderung zusichert. Als Teilnehmende waren neben den Mitgliedern der FARC auch Angehörige der öffentlichen Sicherheitskräfte (Polizei und Armee) sowie Privatpersonen und andere Akteure vorgesehen. Das Verfassungsgericht hat nun am 14. November klar gemacht, dass nur ehemalige Angehörige der FARC sowie der staatlichen Sicherheitskräfte zur Teilnahme an der JEP verpflichtet werden können. Die Teilnahme weiterer Personen ist freiwillig.

Für Mitglieder der FARC, die bereits vor Jahren gefangen und verurteilt wurden, bedeutet die Teilnahme an der JEP jedoch, dass sie bald freigelassen werden. Haben doch viele von ihnen bereits die in der JEP vorgesehene Höchststrafe von acht Jahren abgesessen[1]. Auch ehemalige Anführer der Paramilitärs haben bekräftigt, vor der JEP aussagen zu wollen[2]. An die USA ausgelieferte Personen wie Ricardo Palmera Olivero, alias Simón Trinidad, der wegen der Entführung von US-Bürgern eine Haftstrafe von 60 Jahren absitzt, können sich der JEP unterwerfen. Ob sich dies auf ihre Haftstrafe in den Vereinigten Staaten auswirkt, lässt sich heute jedoch kaum abschätzen[3].

Eine Frage, die immer wieder Anlass zu Debatten gibt ist, ob die JEP mit den universalen Menschenrechten und dem internationalen humanitären Völkerrecht vereinbar ist. Denn bei den meisten Vergehen, die die JEP beurteilen muss, handelt es sich um Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen im Sinne des humanitären Völkerrechts und um Verletzungen der Menschenrechte. Täter solcher Vergehen können nach geltendem Völkerrecht nicht begnadigt werden. Dies ist aber bei der JEP auch nicht der Fall, einzig eine Strafmilderung ist vorgesehen. Organisationen der Zivilgesellschaft haben während den Verhandlungen über die JEP immer wieder kritisiert, dass Regierung wie Kongress die Bestimmungen des Völkerrechts, hier des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), nicht einhalten in Bezug auf die Kommandoverantwortung (responsabilidad de mando) hochrangiger Militärs. Das kolumbianische Verfassungsgericht hat zur Prüfung dieser Frage eine Anfrage an die Staatsanwältin des Internationalen Strafgerichtshof gestellt. Am 18. Oktober hat der IStGH grundsätzlich die Position der Zivilgesellschaft bestätigt. Auch in anderen Punkten wie der Definition von „schweren Kriegsverbrechen“ hat der IStGH die Artikel der JEP kommentiert und präzisiert[4].

Politiker des Centro Democratico haben in den letzten Wochen alle Mittel ausgeschöpft, um die parlamentarische Debatte über die JEP zu verzögern. Auch andere Parteien, die teils zur Regierungskoalition von Präsident Santos gehören, machten bei diesem Trauerspiel mit[5]. Opfer, Opferorganisationen[6] und sogar die UNO[7] baten den Kongress mit Stellungnahmen und offenen Briefen, die JEP zu ratifizieren und damit das Friedensabkommen zu erfüllen. Die kolumbianische Regierung suchte bereits nach Möglichkeiten, die JEP auch ohne Zustimmung des Kongresses einzusetzen[8]. Ob dies allerdings vom Verfassungsgericht gutgeheissen würde, darf bezweifelt werden.

Am 14. November 2017 veröffentlichte das kolumbianische Verfassungsgericht sein Urteil über die JEP, obwohl die Beratungen im Kongress noch andauern. Die JEP wurde dabei gutgeheissen, jedoch mit einigen Änderungen. Die wichtigste Änderung dabei ist wie weiter oben beschrieben die Beschränkung auf ehemalige Angehörige der FARC und Angehörige der staatlichen Sicherheitskräfte. Weitere Personen wie Grossgrundbesitzer, Unternehmensleitungen und Paramilitärs können freiwillig vor der JEP aussagen, von dieser aber nicht zur Teilnahme gezwungen werden[9]. Damit ist zu befürchten, dass ein grosser Teil der während den bewaffneten Auseinandersetzungen der letzten 60 Jahre begangenen Verbrechen nicht aufgeklärt werden. Einzelne Personen werden sich freiwillig der JEP unterwerfen, da sie sich davon eine Strafminderung erhoffen. Personen, gegen die bisher mangels Beweisen keine Anklage erhoben wurde, werden jedoch kaum von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Damit wird auch ein bedeutender Anteil der Opfer nie die Wahrheit über die an ihnen oder ihren Angehörigen verübten Taten erfahren.

Die FARC zeigten sich über die Änderungen des Verfassungsgerichts an der JEP entsetzt und sehen damit den vor einem Jahr mit der kolumbianischen Regierung geschlossenen Friedensvertrag als verletzt an[10]. Ihr Vorsitzender, Rodrigo Londoño Echeverri, bat Präsident Santos um eine Sitzung, um das problematische Urteil zu diskutieren und alarmierte gleichzeitig die UNO als Beobachtungsorgan der Umsetzung des Friedensabkommens[11]. Allerdings verfügen weder Präsident Santos noch die UNO über politische oder juristische Mittel, das Urteil des Verfassungsgerichts umzustossen.

Dank dem Urteil des Verfassungsgerichts verabschiedete der Senat in zweiter Lesung die JEP, nachdem in den vorhergehenden Wochen eine Abstimmung wegen Abwesenheit einer Mehrheit der SenatorInnen nicht möglich war. Dabei gelang es den Gegnern des Friedensabkommens, eine Klausel in die JEP aufzunehmen, nach der MenschenrechtsverteidigerInnen sowie Vertreterinnen und Anwälte von Opferorganisationen nicht als MandatsträgerInnen der JEP in Frage kommen[12]. Je nach Auslegung dieses Artikels sind elf bis 15 der 51 gewählten Mitglieder der JEP von dieser Ausschlussklausel betroffen. Es bleibt zu hoffen, dass diese politisch und rechtlich fragwürdige Klausel vom Verfassungsgericht für ungültig erklärt wird. Ab dem 21. November berät nun das Repräsentantenhaus über die JEP[13]. Das Repräsentantenhaus stimmt nach einer Marathonsitzung am 27. November der JEP zu, damit geht das Gesetz nun in die Differenzbereinigung. Auch hier ist mit weiteren Störmanövern zu rechnen.